Bildung nicht durch Steuern verteuern
Wenn die Rahmenbedingungen von Bildung / beruflicher Weiterbildung wie im Regierungsentwurf zu § 4 Nr. 21 UStG im Jahressteuergesetz 2024 vorgesehen verschlechtert werden, hätte dies fatale Folgen für die Bildung von Menschen und die Qualitätssicherung der Hilfesysteme in Deutschland.
Bildung ist für viele Menscheneine Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln oder aus einem emotionalen Tief oder einer Krise herauszufinden und daraus mit neuen Perspektiven gestärkt hervorzugehen. Klient:innen und Patient:innen in psychosozialen Einrichtungen und bei Hilfedienstleistungen wie Beratung, Coaching, Psychotherapie, Sozialer Arbeit und Therapie im Gesundheitsbereich und der Jugendhilfe dürfen nicht durch Verteuerung von Bildung zusätzlich finanziell belastet werden. Auch psychosoziale Hilfeeinrichtungen und Fachkräfte sowie selbstständig Tätige dürfen nicht mit zusätzlichen Kosten durch Bildungsausgaben belegt werden, damit sie ihre Aufgaben in angemessener Qualität erbringen können.
Die Umsetzung des aktuellen Entwurfs würde im Einzelnen bedeuten:
• Eine Umsatzsteuerpflicht von Bildungseinrichtungen und/oder deren Honorarkräften würde Bildung für die Menschen verteuern, da es sich um eine Verbrauchersteuer handelt.
• Neue Bürokratisierung durch eine Unterscheidung zwischen Fortbildung versus Ausbildung und Weiterbildung ist gerade den vielen kleinen Bildungseinrichtungen nicht zumutbar und würde zusätzliche Kosten für die Endkunden bewirken.
• Teilnehmer*innen von Weiterbildungen im psychosozialen Feld haben oft nur ein recht geringes Budget für Weiterbildung zur Verfügung, sei es dass ihre Arbeitgeber soziale Einrichtungen oder Behörden sind oder dass sie es von einem recht geringen Arbeitslohn selbst tragen müssen. Eine Verteuerung beruflicher Bildung würde somit der Qualität der gemeinwohlorientierten Arbeit schaden.
• Freiberufliche Honorarkräfte ("Selbständige Lehrer") sind per se gewinnorientiert, da sie mit ihrem Honorar ihre Existenz bzw. auch die ihrer Familien sichern müssen. Sie würden durch den Ausschluss der Gewinnorientierung von der Umsatzsteuerbefreiung bei Fortbildung generell ausgeschlossen. Das würde darüber hinaus die Infrastruktur des Weiterbildungsmarktes gefährden, wenn freiberuflich Lehrende umsatzsteuerpflichtig würden.
• Auch Ausbildung und Umschulung würde sich für die Menschen und Einrichtungen verteuern, wenn der Entwurf so umgesetzt würde und die selbständigen Lehrer nicht ausdrücklich befreit würden.
Daher empfehlen die unterzeichnenden Verbände:
• Die Umsatzsteuerbefreiung durch die EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie, deren Ziel es ist Endverbraucher:innen von Zusatzkosten in der Bildung zu entlasten, muss tatsächlich bei den Menschen (Arbeitnehmer:innen, Familien, Kindern und Jugendlichen) ankommen. Eine Förderung von Bildungseinrichtungen, die vorsteuerabzugsberechtigt sind, ist demgegenüber nicht das Ziel der EU-Richtlinie und ist entsprechend zu verhindern.
• Nicht nur Bildungseinrichtungen, sondern auch deren Honorarkräfte (rechtlich: "Selbständige Lehrer") müssen deshalb ausdrücklich von der Umsatzsteuer befreit bleiben.
• Für die Bildungsmöglichkeiten der Menschen ist es unerheblich, ob die Bildungseinrichtungen Gewinn erzielen oder nicht. EU und EuGH haben in diesem Sinne festgestellt, dass auch gewinnorientierte Einrichtungen durch ihre Bildungsleistungen dem Gemeinwohl dienen. So darf die Befreiung nicht von Modalitäten der Einrichtungen abhängig gemacht werden.
• Das Bescheinigungsverfahren durch eine im Kultus-/Bildungsbereich tätige Landesbehörde bietet gegenüber einem Bescheinigungsverfahren durch die Finanzämter Rechtssicherheit. Ein Bescheinigungsverfahren können Finanzämter inhaltlich nicht leisten und würde zu Prozessen durch alle Instanzen führen sowie zu Insolvenzen bei Bildungsdienstleistern und freiberuflichen Dozent:innen. § 4 Nr. 21 muss allerdings die Engführung auf Ausbildung überwinden, um Europarecht zu entsprechen. Eine rechtsverbindliche Bescheinigung bedeutet dabei ein strukturiertes Verfahren, das Bürokratie für Bildungseinrichtungen, Honorarkräfte und Behörden minimiert und die Kosten auch für Endverbraucher langfristig vorhersehbar macht.
• Die Erziehung von Kindern und Jugendlichen (Nummer 23) muss ebenso umfassend von der Umsatzsteuer befreit werden. Gerade bei einem existierenden Fachkräftemangel in einem Feld, das traditionell geringer vergütet wird als in der freien Wirtschaft, ist es nicht nachvollziehbar die dem Gemeinwohl dienenden Dienstleistungen durch Umsatzsteuer zu verteuern.
• Supervision und Coaching haben sich als eine Bildungsform, die der Qualitätssicherung und Weiterentwicklung von qualifizierten Dienstleistungen dient, etabliert. Die Befreiung durch die Rechtsprechung des EuGH und des Bundesfinanzhofs (Urteil des BFH vom 20.3.2014, V R 3/13) darf durch das Jahressteuergesetz 2024 nicht gefährdet werden: Deshalb müssen "Privatlehrer" auch außerhalb der Strukturen von Schul- und Hochschulunterricht von der Umsatzsteuer befreit bleiben und die damit „eng verbundenen Leistungen“ in den zu begünstigenden Bereich einbezogen werden.
Die unterzeichnenden Verbände rufen Bundestag und Bundesrat dazu auf, Artikel 132 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie umfassend im Sinne seiner Intention umzusetzen:
Eine umfassende Befreiung von Bildungsleistungen ohne neue Bürokratie, zum Wohle gerade auch hilfebedürftiger Menschen und im Sinne des Gemeinwohls muss rechtlich abgesichert werden.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Joachim Wenzel, j.wenzel@ifs-essen.de
Mitglied der Institutsleitung, ifs – Institut für Systemische Familientherapie, Supervision und Organisationsentwicklung
Weitere Informationen:
https://dgsf.org/aktuell/news/umsatzsteuerreform-fuer-bildung-ab-2025-geplant