Zuse-Gemeinschaft setzt sich für nachhaltige Impulse zur Steigerung der Innovationskraft ein
Zuletzt hatte die Deutsche Industrieforschungsgemeinschaft Konrad Zuse e.V. (Zuse-Gemeinschaft) die aus Sicht des Verbands unzureichenden Mittel für die praxisnahe, lösungsorientierte Industrieforschung im ersten Entwurf des Bundeshaushalt 2025 kritisiert. Jetzt befürchtet sie weitere Nachteile für die innovations- und transferorientierte Forschung und setzt sich für nachhaltige strukturelle und finanzielle Impulse zur Steigerung der Innovationskraft ein. Dazu ein Gespräch mit dem Wissenschaftlichen Vizepräsidenten der Zuse-Gemeinschaft, Prof. Dr. Steffen Tobisch.
F: Herr Professor Tobisch, welche Befürchtungen hat die Zuse-Gemeinschaft mit Blick auf die zuletzt kommunizierten Haushaltszahlen für die Industrieforschung?
A: Wir sehen mit großer Sorge, dass im jetzt vorliegenden, überarbeiteten Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 von Haushaltslücken in Milliardenhöhe gesprochen wird. Wir befürchten, dass nach der Rasenmähermethode pauschale Kürzungen im Etat des BMWK vorgenommen werden und nachhaltige, zukunftsorientierte Investitionen in Bereich wie die innovations- und transferorientierte Industrieforschung unterbleiben. Bereits die im ersten Haushaltsentwurf des Bundes für 2025 vorgesehenen Budgets für ZIM, IGP, IGF und INNO-KOM sind ja viel zu niedrig. Es bräuchte mindestens 950 Millionen sowie einen jährlichen Aufwuchs um fünf Prozent, um die Programme halbwegs zweckmäßig auszustatten und eine deutlich spürbare Steigerung des Innovationsgeschehens in Deutschland zu erzielen.
F: Wenn alle sparen müssen, warum sollte die Industrieforschung davon ausgenommen sein?
A: Lassen Sie mich zunächst daran erinnern, dass Deutschland aktuell vor besonderen Herausforderungen steht: Zum Einen müssen die anstehenden Transformationsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft, die Mobilitäts-, Energie- und Produktionswende sowie die Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen erfolgreich umgesetzt werden. Zum Anderen stagniert die Wirtschaft, lähmt die Bürokratie das Innovationsgeschehen und fließen immense Summen in rein konsumptive Maßnahmen. Ohne kreative technische Lösungen, ohne Innovationen werden wir diese Herausforderungen nicht erfolgreich bewältigen können – und gerade diese unverzichtbaren Beiträge liefert die Industrieforschung.
F: Können Sie Beispiele nennen, wie Industrieforschung einen Beitrag zu den Transformationsprozessen und zum Innovationsgeschehen in Deutschland leistet?
A: Die über 80 Institute der Zuse-Gemeinschaft forschen seit Jahrzehnten in den Bereichen, die seitens der Bundesregierung in den sechs Missionen der „Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“ definiert sind. Aus der Vielzahl an innovativen, praktischen und marktfähigen Lösungen und Produkten möchte ich zu jeder der Missionen ein Beispiel stellvertretend skizzieren:
(1) Die Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF) haben beispielsweise ein System zum Wassersparen mit Grauwasser – bereits gebrauchtes Wasser – entwickelt. Es basiert auf dem Einsatz von Textilien für die biologische Wasseraufbereitung. Das System selbst kann in Ein- und Mehrfamilienhäusern, Hoteleinrichtungen, Wohn- und Altenheime sowie Schwimmbädern und Saunabetrieben eingesetzt werden und so einen Beitrag zum ressourceneffizienten Umgang mit (Trink-)Wasser leisten.
(2) Dass der Klimawandel auch die Landwirtschaft unter Druck setzt, zu einer energieeffizienten, ressourcenschonenden und dezentralen Nahrungsmittelproduktion zwingt, die nicht um landwirtschaftliche Nutzflächen konkurriert (Landless Food Production), zeigt die Gesellschaft zur Förderung von Medizin-, Bio- und Umwelttechnologien, Fachsektion Bio- und Umwelttechnologien, in Halle (GMBU) mit ihrem „Vertical Farming-System“. Dieses System basiert auf dem aeroponischen Prinzip, d.h. die Wurzeln der Pflanzen hängen in der Luft und sind von einer feinen Nebel- oder Sprüh-Lösung aus Wasser und Nährstoffen umgeben. So kann der Anbau statt in der Fläche in die Höhe gebracht und mit dem passend entwickelten Beleuchtungssystem auch in Gebäuden optimale Bedingungen für die Pflanzen geschaffen werden. Das ist ein Beitrag zur Ernährungssicherheit und schont zugleich die Umwelt.
(3) Hitze wird in Zeiten des Klimawandels zu einer immer größeren Herausforderung; sie setzt Kindern und alten Menschen sehr zu, führt zum Aufheizen der Städte. Natürlich kann man Gebäude und Fahrzeuge mit herkömmlichen Klimaanlagen kühlen, aber das benötigt viel Energie. Das Institut für Holztechnologie Dresden (IHD) entwickelte nun wärmereflektierende Holzbeschichtungen für den Einsatz im Außenbereich, die durch Reflektion der auf das Gebäude treffenden Wärmestrahlung das Aufheizen der Gebäude reduzieren und so den Energiebedarf für die Gebäudekühlung senken. Das ist ein Beitrag zur Verbesserung der Gesundheit für alle.
(4) Mehr als 10.000 Unfälle gibt es jedes Jahr allein in Deutschland mit konventionellen Gabelstaplern. Das liegt vor allem an der eingeschränkten Sicht: Die Ladung, der Hubmast und die Säulen des Staplers versperren den Blick. Für mehr Durchblick am Steuer und eine Steigerung der Sicherheit setzen Forscher des Instituts für Integrierte Produktion Hannover (IPH) und des Instituts für Transport- und Automatisierungstechnik (ITA) der Leibniz Universität Hannover nun auf den Einsatz von Augmented Reality (AR) sowie Kameras und Bewegungssensoren am Fahrzeug. Staplerfahrer setzen sich künftig mit AR-Brille ans Steuer. Auf deren Display werden Kamerabilder aus der Umgebung eingeblendet. Dadurch erscheinen Hindernisse wie Hubmast und Ladung durchsichtig – ein Beitrag, der auf die Potentiale der Digitalisierung setzt.
(5) Jedes Jahr gelangen tausende Tonnen Kunststoffabfälle in die Binnengewässer und Ozeane – eine Gefahr für Lebewesen und Pflanzen. Abwasseraufbereitungsanlagen sind bisher nicht in der Lage, die anfallende Mikroplastik vollständig aus dem Abwasser zu entfernen, vor allem große Teile der besonders kleinen Mikroplastik (< 150 µm). Das Institut für Automation und Kommunikation Magdeburg (ifak) entwickelte dazu einen Ansatz zur Entfernung von Mikroplastik aus Klarwasser ohne den Einsatz mechanischer Filter oder chemischer Zusätze - ein eingriffsfreies Verfahren zur Trennung und Abspaltung von Mikroplastik aus aufbereitetem Klarwasser in Abwasseraufbereitungsanlagen. Das ifak setzt auf ein akustophoretisches Separator-Modul, das auf Basis akustischer Felder im Ultraschallbereich eine gezielte Abspaltung der Mikroplastik vom umgebenden Klarwasser ermöglicht. So können per Ultraschall die Plastikpartikel eingefangen und vom Wasser (als Reinigungsleistung) getrennt werden – ein Beitrag zum Schutz der Gewässer und Meere.
(6) In den letzten Wochen erlebten wir eine Vielzahl erschreckender Angriffe mit Messern, zuletzt beim Stadtfest in Solingen, die zu Toten und Verletzten sowie ganz allgemein zu einer Zunahme an Aggression und Gewalt in unserer Gesellschaft etwa durch Angriffe auf Feuerwehr und Polizei bei der Ausübung ihrer Pflicht führten. (Spezial-)Einsatzkräfte sind aber auf Schutzkleidung angewiesen, um die vielfältigen Gefahren effektiv abwehren zu können. Meist schränkt eine höhere Schutzwirkung den Tragekomfort ein, erschwert die Arbeit. Forscher des Sächsischen Textilforschungsinstituts Chemnitz (STFI) haben jetzt zusammen mit einem Projektpartner ein hitzebeständiges Gewebe entwickelt, das vor Angriffen mit Molotowcocktails schützt und dabei gleichzeitig einen hohen Tragekomfort gewährt. Molotowcocktails können aufgrund der hohen Temperaturen von 800 °C bis 1700 °C schwerwiegende Verletzungen hervorrufen. Die neu entwickelte Schutzkleidung zeichnet sich durch eine optimierte Faserzusammensetzung sowie durch eine spezielle Garn- und Gewebekonstruktion aus – ein Beitrag zur gesellschaftlichen Resilienz.
F: Angesichts dieser sehr beeindruckenden, praktischen und lösungsorientierten Beispiele: Müsste es nicht gerade jetzt im Interesse der Politik liegen, der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands durch eine signifikante wie systematische Förderung der Industrieforschung neue Impulse zu verleihen?
A: Absolut! Doch Geld allein wird die Probleme nicht lösen, denn der Fehler steckt bereits im System: Industrieforschung bildet – neben der Grundlagen- sowie der anwendungsorientierten Forschung – die „dritte Säule“ der Wissenschaft und leistet den Transfer aus der Wissenschaft in die Wirtschaft, trägt damit zum Innovationsgeschehen in Deutschland signifikant bei. Doch während für Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung jedes Jahr automatisch Mittel in Milliardenhöhe in Form der institutionellen Förderung fließen, ist die innovations- und transferorientierte Forschung auf punktuelle, antragsgebundene Projektförderung beschränkt. Hier können nur ein grundlegendes Überdenken der Prioritäten in der Wissenschaftspolitik, neue Finanzierungsmodelle nebst zweckmäßiger Verteilung der Gelder im Wissenschaftssystem sowie letztlich ein sachangemessener Umbau der Forschungslandschaft zu einer spürbaren Verbesserung führen …
F: … was in Deutschland wohl eher ein sehr langfristig zu denkendes Projekt ist. Doch mit welchen Maßnahmen könnten rasch Abhilfe geschaffen und das Innovationsgeschehen neu belebt werden?
A: Zum Einen wäre wichtig, dass die innovations- und transferorientierte Forschung und ihre Forschungseinrichtungen in aktuelle Vorhaben zur Steigerung des Innovationsgeschehens, wie z.B. die DATI, deutlich prominenter eingebunden werden. Die Zuse-Gemeinschaft hat dazu gemeinsam mit Landesforschungsgemeinschaften konkrete Vorschläge erarbeitet und vorgelegt. Zum Anderen wäre der Industrieforschung sowohl mit zweckmäßig ausgestatteten Förderprogrammen und einem kontinuierlichen, jährlichen Mittelzuwachs als auch mit einer systematischen, vorausschauenden, klugen, verlässlichen und bedarfsgerechten Stärkung jener Sektoren der Wissenschaft gedient, die Lösungen für Transformationsprozesse, zur Bewältigung des Klimawandels und seiner Folgen sowie zur Dekarbonisierung beisteuern können.
Vielen Dank für das Gespräch.