Interdisziplinäres Symposion über Philosophinnen und Künstlerinnen an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel
Heterogenität, Diversität und Anderssein erhitzen in identitätspolitischen Auseinandersetzungen die Gemüter. Doch neu scheinen Thematik und Problematik nicht zu sein, nur eine gendertheoretische Zuspitzung ist hinzugekommen. Liest man Philosophinnen, so fällt auf, dass Anderssein, Fremdheit und Differenz übergreifende Themenschwerpunkte in ihren Schriften sind. Das Symposion „Wie anders? Philosophinnen und Künstlerinnen“ widmet sich vom 20. bis 22. September diesem Themenspektrum. An der Muthesius Kunsthochschule werden renommierte Vortragende erwartet.
Heterogenität, Diversität und Anderssein erhitzen in identitätspoliti¬schen Auseinandersetzungen die Gemüter. Doch neu scheinen Thematik und Problematik nicht zu sein, nur eine gendertheoretische Zuspitzung ist hinzugekommen. Liest man Philosophinnen, so fällt auf, dass An¬derssein, Fremdheit und Differenz übergreifende Themenschwerpunkte in ihren Schriften sind.
Diese vielfältigen Perspektivenwechsel, die Philosophinnen uns eröffnen, stehen ebenso im Zentrum des Symposions wie die vielfältigen künstlerischen Versinnlichungen von Anderssein, die Künstlerinnen einbringen. Das Symposion des Forums für interdisziplinäre Studien und des Instituts für Kunst-, Design- und Medienwissenschaften der Muthesius Kunsthochschule veranstaltet Petra Maria Meyer, Professorin für Kultur- und Medienwissenschaften mit Schwerpunkt Philosophie.
Von Freitag, 20., bis Sonntag, 22. September, werden zahlreiche Vortragende an der Muthesius Kunsthochschule erwartet: Neben Prof. Dr. Dirk Westerkamp und Dr. Astrid von der Lühe (beide vom Philosophischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) sind die Kunsthistorikerin Prof. Dr. Elisabeth Oy-Marra von der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, die Künstlerin und Kunstwissenschaftlerin Dr. des. Maike Mastaglio, die freischaffende Philosophin und Kulturwissenschaftlerin Dr. Sabine Kock, die Kunsthistorikerin Dr. Barbara Uppenkamp, der Musikwissenschaftler Prof. Dr. i. R. Martin Zenck, die Philosophin Dr. Monika Boll und die freiberufliche Fotografin Dipl.-Des. Heidi Krautwald zu Gast. Themen ihrer Vorträge sind unter anderem die Politik und Identität im Denken Hannah Arendts, die Künstlerin Maria Martins, Jorinde Voigts „Words and Views“, die Musik von Chaya Czernowin oder das fotografische Werk der DDR-Frauen Ute Mahler, Eva Mahn und Gundula Schulze-Eldowy.
„Die Geschichte der Philosophie ist phallogozentrisch“ (Jacques Derrida)
Obwohl das Denken von Frauen in der Geschichte immer wieder eingebracht wurde und auch einwirkte, fand es lange Zeit keine philosophiegeschichtliche Berücksichtigung. Männlich konnotierte Schlüsselkonzepte fungierten und fungieren immer noch vorrangig als normativer Maßstab für andere Welterfahrungen und deren Ausdrucksweisen. Damit verbunden sind Auslegungen des Anderen, auch eine epistemologische Strategie der Auslegung von Frauen als „das andere Geschlecht“ (Simone de Beauvoir). Doch wie wird das Andere des anderen Geschlechtes verstanden und wie äußert sich das „andere Geschlecht“ selbst dazu?
Simone de Beauvoir, Luce Irigaray oder Julia Kristeva haben verdeutlicht, dass es stets das Selbe nur anders gedacht ist, das Andersartigkeit aus männlicher Perspektive von Platon bis Freud und Lacan definiert. Die „phallogozentrische“ Philosophiegeschichte, nach der Platon das griechische Substantiv ἑτερότης (Andersheit, lat. alteritas; engl. otherness; frz. différence / auch Verschiedenheit, lat. diversitas; engl. diversity; frz. diversité) im Kontext seiner Ideenphilosophie einbrachte, umgeht diese Andersartigkeit identitätslogisch, denn der Grund für das Andersartige wird nicht im Andersseienden, sondern in der graduell unterschiedlichen Teilhabe an einer Idee gesucht.
Mit anderer Aufmerksamkeit leisten Philosophinnen eine Decouvrierungsarbeit, wenn sie das Andere, Fremde, Rätselhafte als das in patriarchalen Kulturen und Gesellschaften Verdrängte reflektieren. Derart treten die Schauplätze des Unbewussten, das „Fremde in uns“ (Julia Kristeva) ebenso in den Fokus wie ein zumeist ausgeschlossenes Gefühlswissen (Susanne K. Langer oder Ágnes Heller). Dadurch zeigt sich „mehr Körper und deshalb mehr Schrift“ (Hélène Cixous), mehr Traum und deshalb mehr Kunst, lässt sich mit Rücksicht auf „die Kindheit der Kunst“ (Sara Kofman) hinzufügen. Ein „präsentativer Symbolismus“ (Susanne K. Langer) wird im Diskursfeld von Philosophinnen einbedacht und in den Künsten vielfältig erkennbar. Eine tiefere Beschäftigung und Wechselwirkung mit den Künsten erweist sich bei vielen Philosophinnen als grundlegend.
Die Fragestellung des Symposions bedarf insofern der Ergänzung. Wie anders äußern sich Künstlerinnen von Lotte Laserstein bis Tomma Abts, von Käthe Kollwitz bis Rita McBride, von Katharina Sieverding bis Jorinde Voigt, von Nan Hoover bis Hito Steyerl, von Mary Wigman bis Anne Teresa De Keersmaeker, von Luna Alcalay bis Olga Neuwirth, von Emily Dickinson bis Elfriede Jelinek?
Mit Aufgeschlossenheit für Anderssein in vielfältiger Eigenart werden auch andere „Schreibweisen“ erprobt, die der Dichtung, Literatur und anderen Künsten nahestehen und andere Vorstellungswelten versinnlichen. „Die Vorstellungswelt der Frauen ist unerschöpflich, wie Musik, Malerei, Schrift: (…)“ (Hélène Cixous).
Zugleich entstanden und entstehen andere Konzepte von „Philosophieren. Wider Theorie und Begründungszwang“ (Ute Guzzoni) im Diskursfeld von Philosophinnen, die versprechen, auch aktuell politisch relevant zu sein.
„Ein bisher verkannter Teil unserer Wahrheit kann uns dank der anderen erscheinen, wenn wir akzeptieren, unseren eigenen Horizont ein wenig zu öffnen, um den anderen als anderen wahr- und aufzunehmen, ohne ihn beherrschen, ihn kolonisieren oder in unsere Vergangenheit integrieren zu wollen.“ (Luce Irigaray).
Die „Solidarität“ (Karen Gloy) mit dem Anderen des Anderen, dem Fremden führt Philosophinnen auch in die Bereiche von Ethik und Politik. Schon Hannah Arendt setzt der traditionell bevorzugten „vita contemplativa“ ihren Entwurf einer „vita activa“ entgegen, in dem Natalität, immer wieder neu geboren zu werden, Menschen die Freiheit gibt, die Welt zu verändern. Zugleich verabschiedet sie sich von einem solipsistischen Cogito, betont die Existenz des Menschen nur in der Pluralität und ein multiperspektivisches Denken aus Erfahrung. Corine Pelluchon richtet eine Philosophie des Genusses gegen dominante Mangeltheorien, will ebenfalls die Existenz des Menschen nicht mehr – wie traditionell vorrangig – vom endlichen Dasein aus, sondern vom Geborensein verstehen, wodurch die „Dimension der Intersubjektivität“ grundlegend wird. Zugleich nimmt sie eine Umwertung eines weiteren Zentralbegriffs der Philosophie vor. „Geschmack“ interessiert weniger als Vermögen zur reflektierten Beurteilung, sondern der „Geschmackssinn als Empfindungs- und Beziehungsorgan“. Mit einer „Phänomenologie der Nahrung“ reagiert sie auf ökologische Gegenwartsprobleme. Sie stellt nicht die traditionellen Fragen nach dem Warum oder Wozu, sondern die Frage danach „Wovon wir leben“ steht im Zentrum ihrer Reflexionen.
Diese vielfältigen Perspektivenwechsel, die Philosophinnen uns eröffnen, stehen ebenso im Zentrum der Zusammenkunft wie die vielfältigen künstlerischen Versinnlichungen von Anderssein, die Künstlerinnen einbringen.
Die interdisziplinäre Zusammenkunft geht mit Rekurs auf Philosophinnen und Künstlerinnen der Frage nach, wie anders hier Anderssein / Andersheit verstanden und versinnlicht wird. Es geht dabei jedoch nicht um Gegensätze der Geschlechter, denn differenzorientierte Philosophen (von den Vorsokratikern über Leibniz, Nietzsche bis Merleau-Ponty, Deleuze oder Derrida etc.) oder Künstler wie Lautréamont, Joyce oder Duchamp haben die Freisetzung und Behauptung von Anderssein ihrerseits vorangetrieben. „Das Anderssein ist das Anderssein des Einen wie des Anderen. Es wahrt, gerade indem es dem Einen wie dem Anderen zukommt, das Eigensein der Einzelnen“ (Ute Guzzoni). Mit Fokus auf Philosophinnen und Künstlerinnen gilt es, abseits neuer ideologischer Tendenzen um Differenziertheit bemüht zu sein, aber zugleich den Ansatz von Philosophinnen aufzugreifen, um Anderssein differenzlogisch zu denken, was auch aktuell politisch relevant zu sein verspricht. (Petra Maria Meyer)
Weitere Informationen:
https://muthesius-kunsthochschule.de/veranstaltungen/interdisziplinaeres-symposion-des-forumsikdm-wie-anders-philosophinnen-und-kuenstlerinnen/ Weitere Informationen und das gesamte Programm des Symposions