Die Evolution des Großen Pandas begann als Allesfresser
Team des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen untersucht Ernährung der Raubtiere aus der Menschenaffen-Fundstelle Hammerschmiede
Die einzige Bärenart aus der etwa 11,5 Millionen Jahre alten Fundstelle Hammerschmiede im Allgäu war ein Verwandter des Großen Pandas, seine Ernährung ähnelte jedoch eher der pflanzlich-tierischen Mischkost heutiger Braunbären. Das hat ein internationales Forschungsteam aus Hamburg, Frankfurt, Madrid und Valencia unter der Leitung von Professorin Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen bei der Untersuchung der Ernährungs- und Lebensgewohnheiten von 28 inzwischen ausgestorbenen Raubtierarten aus der Hammerschmiede festgestellt. Zur Untersuchung dieser Funde sind zwei Publikationen in den Fachjournalen Papers in Palaeontology und Geobios erschienen.
Die Hammerschmiede wurde 2019 durch den rund 11,5 Millionen Jahre alten Fund des bereits aufrecht gehenden Menschenaffen Danuvius guggenmosi, genannt Udo, bekannt. Die jüngsten Ausgrabungen in der Hammerschmiede unter der Leitung von Madelaine Böhme haben eine außergewöhnliche Vielfalt an 166 fossilen Tierarten zutage gefördert. „Solch ein blühendes Ökosystem bietet eine Fülle von ökologischen Nischen für die darin lebenden Arten“, sagt Böhme. Viele der entdeckten Tiere hätten sowohl im Wasser als auch an Land gelebt oder eine kletternde Lebensweise gehabt. „So konnten sie sich an den bewaldeten Fluss anpassen, der zu jener Zeit in der Region vorhanden war“, sagt die Forscherin.
Was die Zähne verraten
Die einzige Bärenart der Hammerschmiede mit dem Namen Kretzoiarctos beatrix wird als ältester Verwandter des modernen Großen Pandas angesehen, da die Form und Gestalt seiner Zähne Ähnlichkeiten mit denen des chinesischen Bären aufweist, der sich fast aus-schließlich von Bambus ernährt. Kretzoiarctos beatrix war kleiner als moderne Braunbären, wog aber mehr als 100 Kilogramm. „Die heutigen Großen Pandas gehören in der zoologischen Systematik zu den Fleischfressern. Tatsächlich ernähren sie sich aber ausschließlich von Pflanzen. Sie haben sich auf harte pflanzliche Nahrung, insbesondere Bambus spezialisiert“, berichtet Dr. Nikolaos Kargopoulos von der Universität Tübingen und der University of Cape Town, der Erstautor der neuen Studien. Wissenschaftlich interessant sei, wie sich bei ursprünglichen Fleischfressern eine Anpassung an eine solch extreme pflanzliche Ernährungsweise entwickelte.
In einer ersten Studie untersuchte das Forschungsteam die Ernährung von Kretzoiarctos anhand der Makro- und Mikromorphologie der gefundenen Zähne. Auf der Makroebene ändert sich die Form der Zähne je nach ihrer Rolle bei der Nahrungsverarbeitung, was Aufschluss über die allgemeine Hauptnahrung eines Tieres gibt. Auf der Mikroebene der Zahnoberfläche kann man Kratzer und Grübchen erkennen, die durch Kontakt von Nahrungspartikeln mit dem Zahn verursacht werden. „Die Merkmale dieser Oberflächenveränderungen können Aufschluss über die Ernährungsgewohnheiten eines Tieres während eines kurzen Zeitraums vor seinem Tod geben“, sagt der Wissenschaftler.
Das Forschungsteam verglich die Makro- und Mikromorphologie der Zähne von Kretzoiarctos mit Braunbären, Eisbären, südamerikanischen Brillenbären sowie heutigen und ausgestorbenen Großen Pandas. Es kam zu dem Schluss, dass der Bär aus der Hammerschmiede weder ein Spezialist für harte Pflanzen war noch ein reiner Fleischfresser wie der Eisbär. Die Ernährung der ausgestorbenen Art ähnelte eher der eines modernen Braunbären und enthielt sowohl pflanzliche als auch tierische Bestandteile. „Diese Ergebnisse sind wichtig für unser Verständnis der Evolution von Bären und der Entwicklung des Veganismus bei den Großen Pandas. Kretzoiarctos beatrix, die ältesten Großen Pandas, waren demnach Generalisten. Eine Spezialisierung in der Ernährung der Pandas erfolgte erst spät in ihrer Evolution“, sagt Böhme.
Die Vielfalt der Raubtiere aus der Hammerschmiede
Neben dem Panda wurden bisher in der Hammerschmiede weitere 27 Raubtierarten gefunden, berichten die Forscher in einer zweiten Studie. Die Räuber reichen von winzigen, wie-selartigen Tieren, die weniger als ein Kilogramm wogen, bis hin zu großen Hyänen und Säbelzahnkatzen, die mehr als 100 Kilogramm auf die Waage gebracht haben dürften. „Ihre jeweilige Hauptnahrung deckt eine große Bandbreite ab: Es gab reine Fleischfresser wie die Säbelzahnkatzen, Fischfresser wie die Otter, Knochenfresser wie die Hyänen und Insektenfresser wie die Zibetkatze. Einige andere Arten wie Pandas und Marder ernährten sich opportunistisch von Pflanzen und Tieren unterschiedlicher Größe“, fasst Kargopoulos zusammen. Die entdeckten Arten seien auch hinsichtlich ihrer bevorzugten Lebensräume sehr unterschiedlich: „Die Otterartigen waren gute Schwimmer, Bären, Hyänen und andere hielten sich auf dem Land auf oder lebten grabend wie die Stinktiere. Besonders viele Arten waren Baumkletterer wie die Marder, die Katzenartigen, die Schleichkatzen und die Katzenbären“, erläutert der Forscher.
„Eine derart vielfältige Raubtierpopulation ist nicht nur fossil äußerst selten; es gibt wohl auch kaum einen modernen Lebensraum mit ähnlich vielen Arten“, sagt Böhme. Diese Artenvielfalt an der Spitze der Nahrungskette zeige, dass das Ökosystem der Hammer-schmiede sehr gut funktioniert haben muss. Mehr noch, es gebe sogar Arten, die nebeneinander her bestanden, obwohl sie sehr ähnliche Nischen besetzten, so die Forscherin. „Zum Beispiel gab es vier verschiedene fischotterartige Tiere gleicher Größe und Art der Ernährung. Sie würden normalerweise um die natürlichen Ressourcen in ihrer Umgebung konkurrieren. Aber es scheint, dass die Ressourcen der Hammerschmiede reich genug waren, um den Bedarf aller Arten zu decken.“
Die Hammerschmiede
In der Grube bei Pforzen im Allgäu führen die Universität Tübingen und das Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment seit 2011 wissenschaftliche Grabungen unter Leitung von Prof. Dr. Madelaine Böhme durch. Seit 2017 finden diese auch als Bürgergrabungen in einem Citizen-Science-Projekt statt und werden seit 2020 finanziell vom Freistaat Bayern unterstützt. Rund 40.000 Fossilien von 150 Wirbeltierarten konnten bisher geborgen werden, darunter die beiden Menschenaffen Danuvius guggenmosi und Buronius manfredschmidi.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Nikolaos Kargopoulos
University of Tübingen / University of Cape Town
Phone +30 69 80 17 01 72
nikoskargopoulos[at]gmail.com
Prof. Dr. Madelaine Böhme
Universität Tübingen
Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment
Telefon +49 7071 29-73191
m.boehme[at]ifg.uni-tuebingen.de
Originalpublikation:
Nikolaos Kargopoulos, Juan Abella, Alexander Daasch, Thomas Kaiser, Panagiotis Kampouridis, Thomas Lechner, Madelaine Böhme: The primitive giant panda Kretzoiarctos beatrix (Ursidae, Carnivora) from the hominid locality of Hammerschmiede: dietary implications. Papers in Palaeontology, https://doi.org/10.1002/spp2.1588
Nikolaos Kargopoulos, Alberto Valenciano, Juan Abella, Michael Morlo, George E. Konidaris, Panagiotis Kampouridis, Thomas Lechner, Madelaine Böhme: The carnivoran guilds from the Late Miocene hominid locality of Hammerschmiede (Bavaria, Germany). Geobios, https://doi.org/10.1016/j.geobios.2024.02.003