Meinungsmache oder Vermittler-Rolle? Wie Journalisten auf Twitter in Krisen kommunizieren
Zwei Studien der Universität Trier beleuchten Themen, Vernetzungen und Meinungsäußerungen von Journalistinnen und Journalisten während der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg.
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine: Zwei Themen, die die Weltöffentlichkeit nun schon seit mehreren Jahren beschäftigen. Ein Team der Medienwissenschaft an der Universität Trier hat in zwei Studien die Rolle von Journalistinnen und Journalisten in diesen Krisen auf dem sozialen Dienst Twitter, jetzt X, untersucht. Soziale Medien wie Twitter spielen in Krisenzeiten eine zentrale Rolle für den politischen Diskurs und die Berichterstattung. Das Netzwerk zeichnet sich besonders durch die Echtzeit-Kommunikationen vieler Nutzender aus und ist für lebhaften Austausch zu kritischen Themen und in Krisenzeiten bekannt.
Die Studie zur Corona-Pandemie zeigt, dass sich Journalistinnen und Journalisten auf Twitter kaum anders positionierten als in den etablierten Medien. Prof. Dr. Christian Nuernbergk und Dr. Peter Maurer (Universität Karlstad, Schweden) haben zur globalen Corona-Pandemie fast 10.000 Tweets mit Schlagworten wie „Corona“, „Lockdown“ oder „#Coronapandemie“ analysiert. Etwa 250 Journalistinnen und Journalisten der Bundespressekonferenz, die überwiegend in großen Medienhäusern beschäftigt sind, haben auf dem Netzwerk zur Krise gepostet.
Das Ergebnis: Bei der Themenverteilung gibt es kaum Hinweise auf eine kritische Auseinandersetzung mit der Pandemiepolitik. Auch interagierten Journalistinnen und Journalisten vor allem mit Akteuren aus Politik und Wissenschaft, welche die Regierungsmaßnahmen befürworteten. In den Tweets kommen häufig öffentlich bekannte Gesichter der Pandemie und deren Perspektiven vor; wie etwa die von Virologe Christian Drosten oder von Kanzleramtsminister Helge Braun, von politischen Eliten wie Angela Merkel, Jens Spahn oder Karl Lauterbach.
„Es war überraschend zu sehen, dass die Plattform, die oft als Ort für offene Debatten gilt, in dieser Krisenzeit von Medienschaffenden vor allem zur Bestätigung des etablierten Diskurses genutzt wurde“, erklärt Nuernbergk. Die Lockdown-Maßnahmen standen im untersuchten Zeitraum von Januar 2020 bis Ende April 2021 nur in einem von zehn Themenbereichen in einem kritischen Kontext. Wenn Protest gegen die Corona-Politik thematisiert wurde, geschah dies teils abwertend.
„Ein Erklärungsversuch für diese Ausrichtung könnte sein, dass es gerade zu Beginn der Pandemie wenig verlässliche Informationen zu Auswirkungen und Wirksamkeit von Maßnahmen gab. Das war auch für die Journalistinnen und Journalisten die erste große Pandemie“, gibt Nuernbergk zu bedenken.
Die zweite Studie, die die Berichterstattung zum Krieg in der Ukraine untersucht, zeichnet ein anderes Bild. Deutsche Journalistinnen und Journalisten setzten auf Twitter tendenziell mehr auf eine zurückhaltende, friedliche Kommunikation. Oftmals äußerten sie ihre Meinung. „Die Tweets, die wir als friedlich kategorisiert haben, sind besonders von einer moderaten Sprache geprägt. Auch wenn Journalistinnen und Journalisten in Dreiviertel der untersuchten Tweets subjektive Meinungsäußerungen auf ihren persönlichen Profilen veröffentlichen, spiegeln diese die Sachlage im Angriffskrieg wider“, meint Studienleiter Christian Nuernbergk.
Bei der Auswahl der Personen und Perspektiven zeigt sich ein klares Bild: „Natürlich kommt der Name Wladimir Putin häufig mit negativen Konnotationen in den Tweets vor. Auch Russland wird häufig negativ erwähnt“, führt der Medienwissenschaftler aus. Darüber hinaus zeige sich aber, dass Journalistinnen und Journalisten versuchten, nicht nur die politischen Akteure an der vordersten Front in den Fokus zu rücken, sondern auch die von den Auswirkungen betroffenen Menschen in ihren Lebenslagen vor Ort.
Allerdings gab es auch Medienschaffende, die eine kriegsjournalistische Perspektive betonten. Vor allem Redakteurinnen und Redakteure der Boulevardmedien rücken hier in den Fokus: Sie setzten bei der Auswahl der Themen auf reaktive Berichte zu Angriffen und Schäden sowie durch sprachliche Formulierungen auf ein kriegsjournalistisches Framing. In der Mehrzahl der untersuchten Tweets dominierte diese Art der Berichterstattung jedoch nicht. In Studien zur Konfliktberichterstattung ist das eher selten der Fall.
Während in der Corona-Krise Journalistinnen und Journalisten auf Twitter überwiegend offizielle Positionen vermittelten, präsentieren sie sich im Russland-Ukraine-Krieg insgesamt differenzierter und lassen unterschiedliche Herangehensweisen klarer erkennen. „Die Ergebnisse zeigen, dass der Journalismus auf sozialen Plattformen in Krisenzeiten unterschiedliche Wege gehen kann“, fasst Christian Nuernbergk die Studien zusammen. Fest steht, dass Journalistinnen und Journalisten auch auf ihren persönlichen Profilen Einordnungen des aktuellen Geschehens liefern und sie dabei ihre Prägung durch ihre jeweiligen Medien häufig nicht abstreifen können oder wollen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Christian Nuernbergk
Medienwissenschaft
Mail: nuernbergk@uni-trier.de
Tel. +49 651 201 4022
Originalpublikation:
Peter Maurer und Christian Nuernbergk: No watchdogs on Twitter: Topics and frames in political journalists’ tweets about the coronavirus pandemic. In: Journalism (2024). https://doi.org/10.1177/14648849241266722
Nina Fabiola Schumacher, Kristin Shi-Kupfer und Christian Nuernbergk: Personalized, war and peace journalism on Twitter: The Russo-Ukrainian War through the lens of political journalists. In: Media, War & Conflict (2024). https://doi.org/10.1177/17506352241268403