AIHTA-Framework erleichtert Identifikation öffentlicher Beiträge zur Entwicklung von Innovationen im Gesundheitswesen
Artikel 57 des Vorschlags zur neuen EU-Arzneimittelgesetzgebung soll mittels verpflichtender Angaben zu Geldflüssen die Transparenz bei öffentlichen Zuwendungen für die Entwicklung medizinischer Innovationen erheblich verbessern. Innerhalb der vorgesehenen Offenlegungspflicht gibt es allerdings Grenzen: So müssen etwa der Finanzierungszeitraum und sogenannte indirekte Finanzierungen (z.B. in Form von Steuererleichterungen) nicht angegeben werden. Vor diesem Hintergrund arbeitet das Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) an einem Framework zur Erfassung und Kategorisierung öffentlicher Beiträge an Forschung und Entwicklung (F&E).
Artikel 57 der neuen EU-Arzneimittelgesetzgebung verpflichtet sowohl Antragsteller als auch Inhaber von Marktzulassungen jede direkte finanzielle Unterstützung für Forschung und Entwicklung (F&E) aus öffentlichen Mitteln offen zu legen. Die Verpflichtung beschränkt sich nicht nur auf die finanzielle Unterstützung aus EU-Ländern. Der Anwendungsbereich ist sehr weit gefasst und beinhaltet jegliche direkte Finanzierung aller Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten im Zusammenhang mit der Entwicklung eines Arzneimittels. Eine Berichterstattung über indirekte Geldflüsse (etwa regulatorische oder Steuererleichterungen) ist dagegen nicht vorgesehen.
Das AIHTA-Framework wurde im Kontext des EU-Projekts HI PRIX (Health Innovation Next Generation Payment and Pricing Models) erarbeitet. Es soll eine standardisierte Berichterstattung anstoßen, Unklarheiten bei der Auslegung zwischen direkten und indirekten Beiträgen verringern und die dafür notwendigen Kategorien erarbeiten. Zu diesem Zweck wurde eine Literaturrecherche durchgeführt und Vertreter*innen verschiedener Interessensgruppen interviewt. Die Auswertung von 26 Publikationen ergab, dass mehr als die Hälfte aller zugelassenen Arzneimittel und mehr als 90 % der Zielmoleküle von Arzneimitteln mit Einrichtungen des öffentlichen Sektors und/oder deren Ausgründungen in Verbindung stehen. Entlang der Wertschöpfungskette, d.h. von der Grundlagenforschung bis zur Überwachung nach der Markteinführung, ermittelte das AIHTA acht Kategorien öffentlicher Beiträge zu medizinischen Innovationen.
Öffentlichkeit zahlt doppelt und über Grundlagenforschung hinaus
2017 schätzte Global Justice Now, dass die öffentliche Hand für zwei Drittel aller „Upfront“-Ausgaben (d.h. vor der Zulassung) für die Entwicklung von Medikamenten aufkommt und etwa ein Drittel aller Arzneimittel aus Forschungseinrichtungen des öffentlichen Sektors stammt. Praktisch alle wichtigen, innovativen Impfstoffe, die in den letzten 25 Jahren auf den Markt gekommen sind, wurden von öffentlichen Einrichtungen entwickelt. Obwohl sich die meisten vom AIHTA ausgewerteten Analysen auf öffentliche Beiträge zur Grundlagenforschung konzentrierten, wurde bei mindestens einem von vier neuen Arzneimitteln auch ein öffentlicher Beitrag in der Spätphase der Entwicklung festgestellt.
„Die Belege für öffentliche und philanthropische Beiträge zur Entwicklung medizinischer Produkte sind unbestritten. Während die Öffentlichkeit doppelt zahlt, die Risiken sozialisiert und die Gewinne privatisiert werden, verbirgt sich hinter dem Begriff „Forschung und Entwicklung“ eine Vielzahl von Tätigkeiten mit völlig unterschiedlichen Zielsetzungen,“ kritisiert Claudia Wild, Leiterin des AIHTA. Die Studien zeichnen jedoch die Entwicklungswege dieser Produkte nach, die von der Grundlagenforschung im akademischen Umfeld über Ausgründungen oder kleine Biotech-Unternehmen bis hin zu späten Übernahmen durch große Pharmaunternehmen reichen.
Wie die öffentliche Hand bezahlt
Das AIHTA hat auf der Grundlage von Veröffentlichungen und Expert*inneninterviews acht sehr unterschiedliche Kategorien identifiziert, anhand derer öffentliche Beiträge näher beschrieben werden können. Sie zeigen eine durchgängige öffentliche Beteiligung in den verschiedenen Phasen der medizinischen F&E: Von der Grundlagenforschung, über klinische Studien bis hin zur Zulassung und Monitoring der Produkte nach deren Einführung spielt die öffentliche Hand eine zentrale Rolle. Etwa beim Technologietransfer, bei der Förderung der universitären Spin-Outs (Ausgründungen aus Universitäten) und Start-Ups. Ebenfalls dazu gehören die Unterstützung bei regulatorischen Fragen, klinischen Studien (auch in den letzten Entwicklungsphasen) oder bei der Generierung von Evidenz nach der Marktzulassung. Beispiele hierfür sind etwa die Universität Oxford, die jährlich 15 bis 20 neue Spin-Out-Unternehmen hervorbringt, die Europäische Arzneimittelagentur (EMA), die teilweise aus öffentlichen Mitteln finanziert wird (2023 mit rund 50 Mio. EUR), oder die zahlreichen nationalen und EU-weiten Unterstützungsangebote für Start-ups, etwa durch den Europäischen Innovationsrat (EIC) oder nationale öffentliche Fonds.
Als Beispiel führt C. Wild die Zulassungen sogenannter Arzneimittel für neuartige Therapien (engl. Advanced Therapy Medicinal Products, ATMPs) an: Von diesen wurden bis September 2023 in Europa und den USA insgesamt 18 zugelassen. „Diese Produkte stammen überwiegend aus öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen oder wurden von philanthropischen Organisationen finanziert. Die Übertragung des Eigentums dieser Produkte erfolgt typischerweise nach erfolgreich absolvierten frühen Entwicklungsphasen. Nämlich dann, wenn das Risiko eines Scheiterns sinkt. Mit jedem Eigentümerwechsel steigt anschließend der Wert des Unternehmens entsprechend der Bewertung des Produktportfolios. Dieser Prozess der „Finanzialisierung“ wird in vielen Studien diskutiert und die damit verbundenen Kosten sind üblicherweise in den Aufwendungen für industrielle Forschung und Entwicklung enthalten“, führt Wild weiter aus.
Politik in der Pflicht
Neben diese Fragen wie direkte und indirekte öffentliche Beteiligungen identifiziert und differenziert werden können, drängen sich auch jene ihrer Umsetzung auf: D.h. wie diese Erkenntnisse entlang der einzelnen öffentlichen Finanzierungskategorien für die Preisgestaltung nutzbar gemacht werden können. Voraussetzung hierfür ist allerdings die politische Bereitschaft, Spielregeln auf regulatorischer Ebene festzulegen und dafür alle transparenten Informationen über Beiträge aus öffentlicher Hand zu nutzen. „Einige Länder, wie Italien und Frankreich, sind Vorreiter bei der Umsetzung von Transparenzanforderungen. Doch ohne klare Definitionen oder Sanktionen bei Nichteinhaltung bleiben diese Bemühungen wirkungslos. Eine effektive Implementierung setzt nämlich transparente Daten voraus. Dazu gehören neben Informationen zu angewandten Methoden, Instrumente und Techniken, aber klarerweise auch jene zu indirekten Finanzierungen“, betont Wild.
Um einen wirklichen Paradigmenwechsel einzuleiten, schlägt das AIHTA daher mehrere Gestaltungsoptionen vor – etwa eine standardisierte Berichterstattung über öffentliche und philanthropische F&E-Ausgaben, die EU-Ebene und nationale Geldgeber umfasst. Diese sollte für die Industrie obligatorisch sein, Ergebnisse, wie Spin-Outs, Patente etc., beinhalten und der Öffentlichkeit sowie Forschung zur Verfügung stehen. Nicht zuletzt müssen klare vertragliche Regelungen über Bedingungen und Auflagen getroffen werden, wie z.B. Klauseln über angemessene Preise, freien Zugang zu geistigen Eigentumsrechten, Gewinnbeteiligungen sowie Regelungen über die Rückzahlung von Anfangsinvestitionen oder anfallenden Lizenzgebühren an die Öffentlichkeit.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Kontakt für inhaltliche Fragen und Interviews:
Austrian Institute for Health Technology Assessment
Claudia Wild
T +43 / 1 / 2368119
Garnisongasse 7/20 1090 Wien
E-Mail: claudia.wild@aihta.at
Originalpublikation:
Wild, C. and Fabian, D. (2024): The Role of Public Contributions to the Development of Health Innovations. HTA-Projektbericht 158. Wien: HTA Austria – Austrian Institute for Health Technology Assessment GmbH. https://eprints.aihta.at/1499/
Wild C, Sehic O, Schmidt L, Fabian D. (2024) Public Contributions to R&D of Medical Innovations: a Framework for Analysis, journal article forthcoming.