Wie sich Pflanzengemeinschaften verändern, wenn sie unbesiedeltes Gelände einnehmen - Neues Rechenmodell vorgestellt
Bestimmte Pflanzen sind in der Lage, Naturräume wie Sanddünen, vulkanische Substrate und Steinschlaggebiete zu erschließen. Dank spezieller Eigenschaften können die frühen Kolonisierer in solch lebensfeindlichen Umgebungen gedeihen. Den Pionierarten folgen schon bald andere Pflanzen, denen diese Eigenschaften fehlen. Ricardo Martínez-García vom Center for Advanced Systems Understanding (CASUS), einem Institut des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR), und Kollegen aus Spanien und Brasilien untersuchten das Wechselspiel zwischen verschiedenen Spezies auf diesen neu eroberten Böden mithilfe eines mathematischen Modells der Pflanzenwurzeln.
Ihr neues Modell stellt eine Verbindung zwischen dem Typ der Interaktion der Arten und der allgemeinen Verfügbarkeit begrenzter Bodenressourcen her. Zudem verrät es die beste Strategie für den Pionier, der eine nicht frei verfügbare Ressource nutzbar machen kann.
Pflanzen interagieren auf vielfältige Weise, und häufig sehen wir, dass ein Exemplar einen Vertreter einer anderen Art unterstützt. Die Fachwelt bezeichnet dies als Fazilitation. Bei der symbiotischen Fazilitation unterstützen sich beide Pflanzen gegenseitig. Bei der kommensalistischen Fazilitation beeinflusst die unterstützte Pflanze ihren Förderer weder positiv noch negativ. Die dritte Art der Unterstützungsinteraktion wird als antagonistische Fazilitation bezeichnet. Hier profitiert der unterstützte Partner auf Kosten des Förderers. Letzterer überlässt dem Partner zum Beispiel eine selbst produzierte Ressource, obwohl er die eigentlich auch gut selbst gebrauchen könnte. Der Förderer scheint diese Situation offenbar zu „akzeptieren“: Weder ist eine Art Abwehrreaktion gegen die Ressourcenwegnahme noch ein kompletter Produktionsstopp festzustellen.
„Es gibt eine anhaltende Debatte darüber, ob antagonistische Fazilitation tatsächlich existiert. Unsere Studie liefert ein eindeutiges Ergebnis: Dieser Interaktionstyp zwischen Pflanzenarten könnte in der Natur vorkommen“, sagt Dr. Ricardo Martínez-García, CASUS-Nachwuchsgruppenleiter und korrespondierender Autor der Studie, die in der zweiten Oktoberausgabe des Fachmagazins New Phytologist (DOI: 10.1111/nph.20053) veröffentlicht wird. „Es erfordert einen hohen Aufwand, antagonistische Fazilitation experimentell zu belegen. Zum einen muss beim Nachweis ausgeschlossen werden, dass es sich weder um eine symbiotische noch um eine kommensalistische Fazilitation handelt. Des Weiteren muss gezeigt werden, dass hier kein klassischer Konkurrenzkampf vorliegt, bei dem sich beide Pflanzen im Wettstreit um Ressourcen gegenseitig schaden.“
Pflanzen als Bergarbeiter
Martínez-García sowie die beiden Hauptautoren der Studie, Ciro Cabal (König-Juan-Carlos-Universität, Madrid, Spanien) und Gabriel A. Maciel (Südamerikanisches Institut für Grundlagenforschung, São Paulo, Brasilien), konzentrierten sich bei der Modellierung auf ein Beispiel aus der Natur, bei dem eine antagonistischen Fazilitation schon lange vermutet wurde: Pionierpflanzen, die beginnen unbesiedelten Boden zu kolonialisieren, und andere Pflanzen, die ihnen bald darauf folgen. Pionierpflanzen sind in der Lage ihre Umgebung so zu beeinflussen, dass die Verfügbarkeit bestimmter begrenzter Bodenressourcen wie Stickstoff oder Phosphor erhöht wird. Diese Fähigkeit hilft ihnen, gut zu gedeihen. Dabei scheinen sie sich nicht daran zu stören, dass sich opportunistische Pflanzen am gedeckten Tisch bedienen. Unter dem Strich profitiert der Pionier dennoch von seiner besonderen Eigenschaft. Aus experimenteller Sicht scheint es sich bei dem Pionierpflanzenbeispiel um ein überschaubares System zu handeln. Dennoch gelang es den Praktikerinnen und Praktikern bislang nicht, bei diesem Beispiel den Interaktionstyp mit Sicherheit zu bestimmen. Die Ergebnisse der hier vorgestellten Modellierung weisen nun deutlich auf die Existenz einer antagonistischen Fazilitation in diesen Pioniergeländen hin. Es liegt natürlich auf der Hand, dass diese Art der Interaktion wahrscheinlich nicht nur hier, sondern auch anderswo in der Natur existiert.
„Darüber hinaus zeigt unser Modell, dass Pflanzeninteraktionen eine emergente Eigenschaft der Ressourcenverfügbarkeit sind“, fügt Cabal hinzu. „In Umgebungen mit geringer bis mittlerer Ressourcenverfügbarkeit erweist sich laut unserem Modell die antagonistische Fazilitation als die günstigste Strategie. Auch das wurde schon vor geraumer Zeit vorgeschlagen, konnte jedoch bisher weder durch experimentelle Daten noch durch theoretische Modelle gestützt werden.“ Demzufolge konnte das Forscherteam nicht nur belastbare Ergebnisse für die generelle Existenz dieses Interaktionstyps liefern. Vielmehr ist die antagonistische Fazilitation unter bestimmten Umweltbedingungen sogar die optimale Interaktion zwischen zwei Pflanzengemeinschaften.
Während sich der Boden im Laufe der Zeit verändert und immer mehr Pflanzenarten auf dem ehemals unbesiedelten Gelände gedeihen, ändern sich auch die Interaktionen zwischen den Arten. Die Pionierarten erhöhen zwar unverändert die Ressourcenverfügbarkeit, doch die anderen Pflanzen beeinflusst das aufgrund der allgemein guten Ressourcenlage nicht mehr. Die Phase der antagonistischen Fazilitation ist vorüber und alle Pflanzen stehen im Wettbewerb miteinander. Im weiteren Zeitverlauf wird die besondere Fähigkeit der Pionierpflanzen, Ressourcen zugänglich machen zu können, in diesem Wettbewerb sogar zur Belastung. Sie befinden sich zunehmend im Nachteil. Am Ende setzen sich andere Pflanzenarten im Wettbewerb durch und auf dem Gelände sind keine Pionierpflanzen mehr anzutreffen.
Wie Wurzelmodellierung dabei hilft, ökologische Muster zu erklären
Die Modellierung ist ein wertvolles Instrument in der Ökologie, um Hypothesen zu testen und Ideen zu erforschen, die sich in Feld- oder Laborversuchen nur schwer untersuchen lassen. Computergestützte Simulationen können in diesen Fällen dazu beitragen, ökologische Dynamiken und Muster besser zu verstehen und für ein zielführendes Design von Feld- und Laborexperimenten zu sorgen. In einem 2020 im Fachmagazin Science veröffentlichten Artikel stellten unter anderem Cabal und Martínez-García ein mathematisches Modell vor, das die Dichte und räumliche Verteilung der Wurzeln interagierender Pflanzen vorhersagt. Der Vergleich mit Gewächshausexperimenten zeigte eine weitgehende Übereinstimmung mit der Modellvorhersage.
Für die im New Phytologist publizierte Studie wurde das Wurzelmodell von 2020 erweitert und präzisiert, um die Wechselwirkung von Pionierpflanzen mit ihrer Umwelt sowie mit anderen Pflanzen darzustellen. Unter anderem berücksichtigt das Modell die Dynamik einer benötigten Bodenressource (Zufuhr, Zerfall, Verfügbarkeit für die Pflanzen, Einfluss der Pionierpflanzen), die Größe und Form der Wurzelsysteme der Pflanzen, die Kosten für Wachstum und Erhalt der Wurzeln sowie das Verfügbarmachen der Ressource und deren Transport innerhalb der Pflanzen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Ricardo Martínez-García | CASUS-Nachwuchsgruppenleiter
Center for Advanced Systems Understanding (CASUS) am HZDR
E-Mail: r.martinez-garcia@hzdr.de
Originalpublikation:
C. Cabal, G. A. Maciel, R. Martínez-García, Plant antagonistic facilitation across environmental gradients: a soil-resource ecosystem engineering model, New Phytologist, 2024 (doi: 10.1111/nph.20053)
Weitere Informationen:
https://www.casus.science/de-de/news/casus-news/how-plant-communities-change-when-conquering-uninhabited-ground/