Schlachtfeld im Tollensetal: Pfeilspitzen deuten auf frühe überregionale Gewaltkonflikte
Im Tollensetal in Mecklenburg-Vorpommern untersuchen Forschende seit 2008 die Überreste des ältesten Schlachtfeldes Europas. Entlang des Flusses entdeckten sie an verschiedenen Fundstellen menschliche Skelettreste von rund 150 Individuen – vor allem jungen Männern – und Waffenreste aus der Bronzezeit. Sie sprechen für einen Gewaltkonflikt mit hunderten Kämpfern in der Zeit um 1250 vor Christus. Seit Beginn der Entdeckung wird die Herkunft der Beteiligten diskutiert. Jetzt hat ein Forscherteam der Universität Göttingen die im Tal aufgefundenen Bronzepfeilspitzen untersucht und wichtige Erkenntnisse zur Herkunft der Kämpfer gewonnen.
Bis vor einigen Jahren galt die Bronzezeit als eine friedliche Epoche, in der Europa durch Handel mit Kupfer und Zinn überregional verbunden war. Diese Vorstellung haben die Entdeckungen im Tollensetal nördlich von Neubrandenburg deutlich verändert: Zunächst wurden ungewöhnlich viele menschliche Skelettreste aus dem Flusstal gemeldet. Nach und nach kamen dann mehr als 12.000 menschliche Gebeine aus dem Fluss und den angrenzenden Uferbereichen ans Licht aus einem über 2,5 Kilometer langen Flussabschnitt. Allein an der Hauptfundstelle, „Weltzin 20“ genannt, wurden die Knochen von über 90 Individuen freigelegt, die wiederholt Verletzungen von Waffen zeigen. Zwischen den Überresten entdeckten die Forschenden hier auch zehn Pfeilspitzen aus Bronze und Feuerstein. Insgesamt liegen aus dem Flussabschnitt neben den Gebeinen und zahlreichen Bronzeobjekten etwa 64 Pfeilspitzen vor, davon 54 aus Bronze. An keiner anderen Fundstelle in Norddeutschland wurden so viele Bronzepfeilspitzen entdeckt – ohne Zweifel waren Pfeil und Bogen eine entscheidende Waffe in dem Konflikt.
Vergleiche mit rund 4.700 Pfeilspitzen aus ganz Mitteleuropa zeigen: „Einige Pfeilspitzentypen, besonders solche mit Widerhaken, stammen hauptsächlich aus einem Gebiet zwischen dem heutigen Bayern und Mähren in Tschechien“, so Erstautor Leif Inselmann, der die Pfeilspitzen im Rahmen seiner Masterarbeit am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen erforschte. „Demnach kommt ein Teil der Kämpfer eindeutig aus dem südlichen Mitteleuropa.“ Prof. Dr. Lorenz Rahmstorf ergänzt: „Diese Pfeilspitzentypen kommen nicht in den Gräbern der Region vor, was darauf hindeutet, dass die Pfeilspitzen nicht nur von einheimischen Kämpfern aus dem Süden importiert und selbst verwendet wurden.“ „Die neuen Ergebnisse stützen die frühere Annahme, dass im Tollensetal einheimische Kräfte und Kämpfer aus dem Süden aufeinandertrafen", sagt Prof. Dr. Thomas Terberger, der Initiator der Studie. Damit handelt es sich bei dem Tollensetal um den bislang frühesten Beleg für überregionale Kriegsführung in Mitteleuropa.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Leif Inselmann
Freie Universität Berlin
E-Mail: leif@inselmann.net
Telefon: 0152 09897245
Prof. Dr. Lorenz Rahmstorf
Georg-August-Universität Göttingen
Seminar für Ur- und Frühgeschichte
Nikolausberger Weg 15, 37073 Göttingen
Telefon: 0551 39-25081
E-Mail: lorenz.rahmstorf@uni-goettingen.de
Prof. Dr. Thomas Terberger
Universität Göttingen
Seminar für Ur- und Frühgeschichte
Nikolausberger Weg 15, 37073 Göttingen
und
Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege
Telefon: 0171 3565493
E-Mail: thomas.terberger@phil.uni-goettingen.de
Originalpublikation:
Leif Inselmann et al. Warriors from the South? Arrowheads from the Tollense valley and Central Europe. Antiquity 2024. DOI: https://doi.org/10.15184/aqy.2024.140
Weitere Informationen:
https://www.uni-goettingen.de/de/3240.html?id=7549 mit weiterem Bildmaterial zum Download