Hirnentwicklung: Extrazelluläre Vesikel steuern zelluläre Kommunikation
Ein Team um Silvia Cappello zeigt, wie reifende Gehirnzellen sich über extrazelluläre Vesikel miteinander austauschen.
Extrazelluläre Vesikel sind winzige Bläschen, die von Zellen freigesetzt werden. Sie dienen als kleine Frachtschiffe, mit denen die Zellen Botenstoffe austauschen und so miteinander kommunizieren. Eine kürzlich im Fachmagazin Cell Reports erschienene Publikation konnte nun nachweisen, dass diese Form des zellulären Austauschs auch eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des Gehirns spielt. „Unsere Ergebnisse unterstreichen die zentrale Rolle von Vesikeln bei der interzellulären Signalübertragung während der Reifung des Gehirns und verdeutlichen ihr Potenzial als Vermittler komplexer zellulärer Interaktionen und als Ziele für künftige therapeutische Strategien“, sagt die Leiterin der Studie Dr. Silvia Cappello, Forschungsgruppenleiterin am Biomedizinischen Centrum der LMU und Mitglied im Exzellenzcluster SyNergy.
Das Team untersuchte extrazelluläre Vesikel in verschiedenen Modellsystemen, darunter neurale Vorläuferzellen, Neuronen, Astrozyten, Hirn-Organoide und strukturierte Sphäroide, die jeweils aus pluripotenten Stammzellen erzeugt wurden. So konnten die Forschenden verschiedene neue Erkenntnisse darüber gewinnen, wie die kleinen Transportbläschen die Hirnentwicklung beeinflussen.
Spezifische Kommunikation und dynamische Proteinzusammensetzung
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass extrazelluläre Vesikel eine spezialisierte Kommunikation zwischen verschiedenen Zelltypen ermöglichen. „Wir konnten zeigen, dass die Empfängerzellen mit Fracht aus unterschiedlichen Spenderzellen beliefert werden und dafür spezifische Aufnahmemuster besitzen“, erklärt Cappello. Dies weise darauf hin, dass die Vesikel gezielt den Austausch von Informationen zwischen den Zellen steuern.
Die Forschenden fanden außerdem heraus, dass die Zusammensetzung der Proteine in den Vesikeln sich während der Hirnentwicklung dynamisch verändert und von der Zellpopulation sowie der Hirnregion abhängt. „Das deutet darauf hin, dass die Biogenese der Vesikel streng reguliert und essenziell für ihre spezifischen Funktionen in den verschiedenen Zelltypen ist“, so Cappello.
Transport bis in den Zellkern
Mit Hilfe hochauflösender Live-Imaging-Techniken konnte das Team darüber hinaus zeigen, dass Vesikel während der Zellteilung sogar in den Zellkern neuraler Vorläuferzellen eindringen. „Diese Entdeckung ist besonders aufregend, da sie darauf hindeutet, dass extrazelluläre Vesikel nicht nur im Zytoplasma, sondern auch auf Zellkern-Ebene entscheidende Prozesse steuern.“ Wie die Studie herausstellt, besteht die transportierte Fracht nicht nur aus Proteinen, sondern auch aus Transkriptionsfaktoren, wie zum Beispiel YAP1, die direkt in die Empfängerzellen übertragen werden und dort schnelle transkriptionelle Veränderungen auslösen. Ein besonders interessantes Beispiel ist der Transkriptionsfaktor YAP1, der auf diesem Wege in den Zellkern von Empfängerzellen transportiert wird und dort die Genexpression reguliert. „Diese Fähigkeit der extrazellulären Vesikel, spezifische molekulare Signale in den Zellkern zu übermitteln, eröffnet neue Perspektiven für das Verständnis komplexer zellulärer Interaktionen im Gehirn“, sagt Cappello.
Diese Erkenntnisse unterstreichen laut den Autoren die zentrale Rolle extrazellulärer Vesikel bei der Hirnentwicklung und könnten langfristig neue therapeutische Ansätze zur Behandlung neurologischer Erkrankungen ermöglichen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Silvia Cappello
Biomedizinisches Centrum
Ludwig-Maximilians-Universität München
Tel.: +49 (0)89 30622253
E-Mail: silvia.cappello@bmc.med.lmu.de
Originalpublikation:
Andrea Forero et al.: Extracellular vesicle-mediated trafficking of molecular cues during human brain development. Cell Reports Volume 43, Issue 10114755October 22, 2024
DOI: 10.1016/j.celrep.2024.114755