Stabilisierung des Rentenniveaus wirkt gegen Erosion der Alterssicherung und kommt auch Rentner*innen von morgen zugut
Neue Analyse des WSI zum Rentenpaket II
Stabilisierung des Rentenniveaus wirkt gegen Erosion der Alterssicherung und kommt auch „Rentner*innen von morgen“ zugute
Die Stabilisierung des gesetzlichen Rentenniveaus bei 48 Prozent bis 2040 als Teil des Rentenpakets II ist ein richtiger, wenn auch relativ kleiner Schritt hin zu einer zukunftsfähigen Alterssicherung in Deutschland. Davon profitieren nicht nur heutige Rentner*innen, sondern auch aktuell noch relativ junge Beitragszahler*innen, die bei einem stabilisierten Leistungsniveau selber mit höheren Renten rechnen können.
Erstmals seit mehr als 20 Jahren soll die gesetzliche Rente wieder umfassend und dauerhaft gestärkt werden. Sie wird damit als effektives Vorsorgesystem bestätigt, das neben den Zahlungen an Menschen im Ruhestand auch die Absicherung gegen Erwerbsunfähigkeit und für Hinterbliebene umfasst. Wird dieser Weg fortgesetzt, besteht die Möglichkeit, die Erosion der wichtigsten Einrichtung der Alterssicherung in Deutschland zu stoppen, der sich seit der Jahrtausendwende vollzieht: Während die Zahl der Rentner*innen deutlich stieg, gingen die Zahlungen der gesetzlichen Rentenversicherung in Relation zur Wirtschaftsleistung über gut zwei Jahrzehnte um rund einen Prozentpunkt zurück. Die Stabilisierung bei 48 Prozent hilft zudem, die Altersarmut in den kommenden Jahrzehnten leicht zu reduzieren – auch wenn das gar nicht die Hauptstoßrichtung der Reform ist, die allen Versicherten zugutekommt. Zu diesen Ergebnissen kommt eine neue Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.* Das Rentenpaket II wird am Freitag erstmals im Bundestag behandelt.
„Wie bei vielen Fragen der Sozialpolitik werden auch bei der Diskussion um die Alterssicherung oft Behauptungen aufgestellt und Sachverhalte zugespitzt, die sich als verkürzt oder falsch erweisen. Das überrascht auch nicht. Denn Systeme, die auf verschiedene Problemlagen reagieren, Millionen Menschen absichern und darüber hinaus über Jahrzehnte hinweg immer weiterentwickelt worden sind, sind komplex“, erläutert Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Wir wollen mit Analysen zur Sozialpolitik zu einer faktenbasierten Diskussion beitragen.“
„Der große Irrtum in vielen Debatten um die Alterssicherung während der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte war, dass Altersvorsorge billiger und zukunftsfester wird, wenn man das gesetzliche Umlagesystem schwächt und im Gegenzug die Versicherten privat sparen lässt, mit staatlicher Subventionierung“, sagt Dr. Florian Blank, WSI-Experte für Alterssicherung und Autor der Analyse. „Mehr und mehr ist aber deutlich geworden, dass die öffentliche Rentenversicherung ein flexibles, effizientes und stabiles Instrument ist, dass verschiedenste Lebenslagen absichern kann. Ohne geht es nicht. Das Rentenpaket II trägt dieser Erfahrung durch die Stabilisierung des Leistungsniveaus Rechnung“, so Blank. „Das ebenfalls darin enthaltene Generationenkapital zielt zwar weiter in Richtung Kapitalmarktfundierung mit all ihren Risiken. Es bricht aber wenigstens nicht mit dem Prinzip einer kollektiven Sicherung als effizienteres System.“
In seiner Untersuchung stellt der Rentenexperte verschiedene populäre Annahmen zur Altersvorsorge auf den Prüfstand. Dabei kommt er unter anderem zu folgenden Resultaten:
- Von einer Stabilisierung des Rentenniveaus profitieren neben Rentner*innen auch Beitragszahler*innen, die im künftigen Ruhestand ebenfalls davon betroffen wären, dass die Entwicklung der Renten vom Wirtschaftswachstum seit der Jahrtausendwende ein erhebliches Stück abgekoppelt wurde. Denn während die Zahl der Rentner*innen bis 2022 um mehr als zwei Millionen Menschen zunahm, gingen die Ausgaben der gesetzlichen Rente im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sogar zurück: Von mehr als 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf noch gut 9 Prozent im Jahr 2022.
- Die Alterssicherung in Deutschland ist in der Vergangenheit durch die Absenkungen des gesetzlichen Rentenniveaus nicht billiger geworden, dafür aber weniger transparent. Das öffentliche System der Rentenversicherung wurde tendenziell verkleinert, freiwillige private Absicherung, etwa durch die „Riester-Rente“ sollte die entstehende Lücke schließen – mit erheblichen Kosten: Beschäftigte, die wie von der Politik vorgesehen privat vorsorgen, müssen dafür vier Prozent ihres Bruttoeinkommens aufwenden – was insbesondere Menschen mit geringen Einkommen oft nicht tun können, trotz teurer staatlicher Subventionierung.
- Die These „Beitragszahlungen lohnen sich nicht, da Beitragszahler*innen eh nur Grundsicherung bekommen werden“, ist falsch. Zwar ist die Zahl der Empfänger*innen von Grundsicherung im Alter in den vergangenen Jahren spürbar auf knapp vier Prozent gestiegen. Das hat aber verschiedene Gründe, von denen ein zentraler eher positiv ist, schreibt Blank. Durch die Einführung der Grundrente und, damit verbunden, eines neuen Freibetrags sei „das System großzügiger geworden“ und helfe mehr Menschen mit sehr niedriger Rente als zuvor bei der Finanzierung ihres Alltags.
- Die Stabilisierung des Rentenniveaus durch das Rentenpaket II verbessert zudem auch für Beschäftigte im niedrigen Einkommensbereich oder mit Lücken in der Erwerbsbiografie die Aussicht, eine Rente über Grundsicherungsniveau zu erzielen. Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gehen in Simulationsrechnungen davon aus, dass die Festschreibung bei 48 Prozent im Zeitraum bis 2040 zu einer sinkenden Armutsquote unter Älteren führen wird. Der Bezug von Grundsicherung würde nach den DIW-Berechnungen um rund einen Prozentpunkt weniger ansteigen als ohne Stabilisierung.
- Es ist davon auszugehen, dass der Beitragssatz der gesetzlichen Rente durch den demografischen Wandel in den kommenden Jahren ansteigen wird. Allerdings geschieht das von einem sehr niedrigen Niveau aus. Denn mit aktuell 18,6 Prozent ist der Beitragssatz heute um 1,3 Prozentpunkte niedriger als Mitte der 2000er Jahre. Dazu haben der Sparkurs beigetragen sowie die Entwicklung am Arbeitsmarkt, die zu einem Höchststand der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung geführt hat.
- Gleichzeitig sind laut einer repräsentativen Umfrage von 2023 im Auftrag der Arbeitnehmerkammern von Bremen und des Saarlands sowie des DGB zwei Drittel der Befragten bereit, gegebenenfalls lieber höhere Rentenbeiträge zahlen als noch später in Rente zu gehen. Erwerbstätige zwischen 18 und 39 Jahren tendieren mit 70 Prozent sogar besonders häufig zu höheren Beiträgen.
- Die Zahlungen aus dem Bundeshaushalt an die Rentenversicherung steigen, wenn man allein die Euro-Beträge betrachtet. Werden sie aber in Relation gesetzt zu den Ausgaben der Rentenversicherung oder zum Bundeshaushalt, zeigt sich Stabilität. Wichtig ist dabei, dass es sich hier nicht um einen Defizitausgleich handelt. Der Umfang der Zahlungen folgt Regeln, die sich unter anderem auf die Lohnentwicklung beziehen. Die Zahlungen dienen teils dazu, pauschal gesamtgesellschaftliche Leistungen der Rentenversicherung zu finanzieren oder sollen den Beitragssatz senken, teils sind es Beiträge für Zeiten der Kindererziehung, die der Bund übernimmt. Im Rahmen des Rentenpakets II ist eine Kürzung der Zahlungen zu befürchten.
- Der „Altenquotient“, der das zahlenmäßige Verhältnis der Personen im Rentenalter zu den Personen im erwerbsfähigen Alter (z. B. von 20 Jahren bis zur Regelaltersgrenze) abbildet, steigt in den kommenden Jahrzehnten. Allerdings ist der Zuwachs weniger stark als etwa zwischen 1990 und 2010. Schaut man auf das aussagekräftigere Verhältnis zwischen Beitragszahler*innen und Rentner*innen, ist die prognostizierte Entwicklung noch weniger dramatisch – und es gibt erhebliche, bislang nur teilweise ausgeschöpfte Potenziale, sie weiter zu verbessern, betont WSI-Forscher Blank. Der Schlüssel dazu liege wiederum auf dem Arbeitsmarkt: „Eine höhere Erwerbsbeteiligung von älteren Beschäftigten, Frauen oder Migrant*innen kann das Verhältnis zwischen Sozialleistungsbezieher*innen und Beitragszahler*innen deutlich zum Positiven verändern – vorausgesetzt, es handelt sich um sozialversicherungspflichtige Beschäftigung“, schreibt der Wissenschaftler.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Florian Blank
WSI-Experte für Alterssicherung
Tel.: 0211-7778-581
E-Mail: Florian-Blank@boeckler.de
Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de
Originalpublikation:
*Florian Blank: Rentenpolitik und das Rentenpaket II – Fakten und Argumente. WSI Policy Brief Nr. 84, September 2024. Download: https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?produkt=HBS-008952