Mit sprachbegabten Algorithmen gegen die Fettleber – Ein Life Sciences Bridge Award geht an Carolin Schneider
Die Fettleber hat sich zu einer stillen Epidemie entwickelt. Weltweit sind rund zwei Milliarden meist scheinbar gesunde Menschen davon betroffen. Nicht selten führt eine Fettleber auf die abschüssige Bahn von Entzündung, Fibrose, Zirrhose und Krebs. Dabei ließen sich Entstehen und Fortschreiten der von Ärzten oft unerkannten Krankheit durch präzisere Diagnostik präventiv eindämmen. Evidenzbasierte Kriterien dafür filtert Dr. med. Carolin Schneider (29) mit Hilfe sprachbegabter Algorithmen aus riesigen Datensätzen heraus. Um ihr den Weg zu einer unbefristeten Professur zu ebnen, zeichnet die Aventis Foundation sie mit einem Life Sciences Bridge Award aus, der ihr heute Abend verliehen wird.
Eine Fettleber ist dadurch gekennzeichnet, dass sich in den Leberzellen übermäßig viel Fetttröpfchen ablagern, ohne dass Alkohol oder eine chronische Virusinfektion dazu Anlass gäben. In erster Linie wird sie durch genetische Faktoren und Übergewicht verursacht. Immer häufiger kommt sie aber auch bei schlanken Menschen vor. In den Wohlstandsgesellschaften des Westens sind schon annähernd 30 Prozent der Bevölkerung davon betroffen. Bei einem knappen Viertel aller Betroffenen entsteht daraus über kurz oder lang eine Entzündung, die Fettleber-Hepatitis, von der es für manche nicht mehr weit ist zur Stufenfolge Fibrose, Zirrhose, Krebs. Als Post-Doktorandin bei Prof. Daniel Rader an der Universität von Pennsylvania in Philadelphia durchforstete Carolin Schneider mit Natural Language Processing-Programmen die Penn Medicine Biobank. In jeweils mehr als zwei Millionen Berichten über Biopsien und bildgebende Untersuchungen der Leber entdeckte sie mit Hilfe sprachbegabter Algorithmen Tausende von Patienten mit einer bisher undiagnostizierten Fettleber-Hepatitis. In derselben Studie gelang es ihr, hunderte von Kriterien zu entdecken oder zu bestätigen, die eine rechtzeitige Diagnose ermöglichen könnten.
Big Data für den medizinischen Fortschritt zu erschließen, hat Carolin Schneider während ihrer Doktorarbeit im Rahmen der European Alpha-1 Liver Study Group unter der Ägide von Prof. Pavel Strnad an der RWTH Aachen gelernt. Darin ging es um die durch einen erblichen Mangel des Enzyms Alpha1-Antitrypsin (AAT) ausgelöste Leberkrankheit. Sie wird meist durch eine Punktmutation ausgelöst, die co-dominant vererbt wird. Am häufigsten entsteht sie also dann, wenn ihre Träger homozygot sind, mithin beide Allele des AAT-Gens diese Mutation enthalten. Schneiders Forschungsfrage war nun, wie hoch das Erkrankungsrisiko für heterozygote Menschen ist, bei denen nur ein Allel mutiert ist. Sie beteiligte sich daran, eine europaweite klinische Studie mit rund 1.000 Probanden aufzubauen. Die Ergebnisse glich sie anschließend mit rund 450.000 Datensätzen aus der UK Biobank ab. So konnte sie unvermeidliche Verzerrungen im Design der klinischen Studie korrigieren und nachweisen, in welchem Umfang auch heterozygote Träger gefährdet sind und von Veränderungen ihres Lebensstils und Präventionsmaßnahmen profitieren würden.
Ausgestattet mit einer Fördersumme von 1,25 Millionen Euro, die ihr das Land Nordrhein-Westfalen im Rahmen seines Rückkehrprogramms für herausragende Forscherinnen gewährt, baut Schneider an der RWTH Aachen seit Juli 2022 eine eigene Forschungsgruppe auf. Diese sucht mit ihren mittlerweile 15 Mitgliedern aus medizinischen Datenbanken neue Präventions- und Therapieansätze für Stoffwechselkrankheiten abzuleiten. „Wir stellen mit unserer Forschung zwar zunächst nur Zusammenhänge fest“, sagt Carolin Schneider. „Aber wir überprüfen diese Assoziationen dann bald in klinischen Pilotstudien.“ Ihr Ziel ist es, vor allem niedergelassenen Ärzten einfach einsetzbare Verfahren anzubieten, damit sie Erkrankungen wie die Fettleber besser erkennen und präventiv eindämmen können. Zum Beispiel durch den evidenzbasierten Hinweis darauf, dass Vitamin E-haltige Lebensmittel wie Olivenöl, Haferflocken und frisches Gemüse leberprotektiv sind.
Als Physician Scientist befindet sich Schneider noch mitten in ihrer Ausbildung zur Fachärztin für Innere Medizin. Neben der Krankenversorgung und Forschung liegt ihr die Lehre am Herzen, besonders auch die Förderung junger Frauen. Im September 2023 wurde sie an der RWTH zur W1-Professorin für die Prävention und Genetik von metabolischen Erkrankungen der Leber ernannt und ist damit eine der jüngsten Juniorprofessorinnen Deutschlands.
„Wir möchten ihr mit diesem Preis über die Brücke zu einer unbefristeten Professur helfen“, sagt Prof. Werner Müller-Esterl, Vorsitzender der Jury des Life Sciences Bridge Award. „Big Data für die Prävention von Krankheiten zu nutzen, ist eine innovative Strategie, der Carolin Schneider mit bisher schon vielversprechenden Ergebnissen beharrlich folgt.“
Der Life Sciences Bridge Award ist einer der höchstdotierten Nachwuchspreise Deutschlands. Er wird jährlich an drei Preisträger:innen vergeben, die an deutschen Universitäten forschen.
Sie erhalten jeweils 100.000 Euro. Zehn Prozent davon dürfen sie für persönliche Zwecke nutzen, der Rest ist der Finanzierung ihrer Forschung vorbehalten.
Die Aventis Foundation ist eine unabhängige, gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Frankfurt am Main. Sie dient der Förderung von Kunst und Kultur sowie von Wissenschaft, Forschung und Lehre.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Carolin Victoria Schneider
RWTH Aachen
Medizinische Klinik III
Pauwelsstr. 30
52072 Aachen
0241- 803-7522
https://tinyurl.com/4m7pfyrk
Originalpublikation:
Schneider CV et al. Large-scale identification of undiagnosed hepatic steatosis using natural language processing EClinMed 2023. https://doi.org/10.1016/j.eclinm.2023.102149
Schneider CV et al. , Hamesch K*, Gross A, Mandorfer M, Moeller LS, Pereira V, Pons M, Kuca, P , Reichert MC, Benini F, Burbaum B, Voss J, Gutberlet M, Woditsch V, Lindhauer C, Fromme M, Kümpers J, Bewersdorf L, Schäfer B, Eslam M, Bals R, Janciauskiene S, Carvão J, Neureiter D, Zhou B, Wöran K, Bantel H, Geier A, Dirrichs T, Stickel F, Teumer A, Verbeek J, Nevens F, Govaere O, Krawczyk M, Roskams T, Haybaeck J, Lurje G, Chorostowska-Wynimko J, Genesca J, Reiberger T, Lammert F, Krag A, George J, Anstee QM, Trauner M, Datz C, Gaisa NT, Denk H, Trautwein C, Aigner E, Strnad P,# On behalf of European Alpha- Liver Study Group; Liver Phenotypes of European Adults Heterozygous or Homozygous for Pi*Z Variant of alpha-1 antitrypsin (Pi*MZ vs Pi*ZZ genotype) and Non-carriers. Gastroenterology 2020 https://doi.org/10.1053/j.gastro.2020.04.058
Scorletti E*, Creasy KT*, Vujkovic M, Vell M, Zandvakili I, Rader DJ, Schneider KM, Schneider CV. Dietary Vitamin E intake is associated with a reduced risk of developing digestive diseases and NAFLD. Am J Gastroenterol. 2022 https://doi.org/10.14309/ajg.0000000000001726
Weitere Informationen:
https://www.aventis-foundation.org/wissenschaft/life-sciences-bridge-award/
https://www.aventis-foundation.org