Blutfette können wichtige Hinweise auf Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen geben
Ringversuch ermöglicht erste Festlegung von Ceramid-Referenzwerten und ebnet den Weg für neue Biomarker-Tests
Bestimmte Fettmoleküle im Blut gelten als vielversprechende Kandidaten, um Erkrankungen wie Diabetes, Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen schon im Frühstadium zu erkennen. Eine wichtige Rolle spielen hierbei sogenannte Ceramide, die auf krankheitsbedingte Anpassungsprozesse des Körpers hindeuten. In einem Ringversuch, an dem Forschende des Forschungszentrums Jülich, der Universität Wien sowie Wissenschaftlerteams aus Singapur und Espoo maßgeblich beteiligt waren, wurden nun wichtige Fortschritte bei der Festlegung von Referenzwerten für Ceramide erzielt.
Diese Refrenzwerte stellen eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung entsprechender Biomarker-Tests dar. Die Ergebnisse der ersten Phase des Ringversuchs wurden in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Die Lipidomik untersucht, wie Fettmoleküle, sogenannte Lipide, im Körper wirken und welche Rolle sie bei Gesundheit und Krankheit spielen. Im Kern geht es dabei darum, die Strukturen, Funktionen und Interaktionen dieser Moleküle in den Körperzellen zu analysieren und ihre Bedeutung für den gesamten Organismus zu verstehen. Um krankhafte Abweichungen von der Norm feststellen zu können, ist es wichtig, die oberen und unteren Konzentrationsgrenzen zu kennen. Zu diesem Zweck wurde unter der Schirmherrschaft der International Lipidomics Society (ILS) ein weltweiter Ringversuch ins Leben gerufen. In der ersten Phase ging es zunächst darum, einheitliche Messmethoden zu entwickeln, die in Laboren international genutzt werden können.
Interview mit Dr. Nils Hoffmann zum Hintergrund der Studie
Die untersuchten Fettmoleküle, auch Lipide genannt, werden teilweise bereits im „Coronary Event Risk Test“ (CERT1) zur Risikoeinschätzung für koronare Herzerkrankungen, schwere Herzinfarkte, Herzinsuffizienz und Schlaganfälle verwendet. Dr. Nils Hoffmann, Bioinformatiker und Datenwissenschaftler am Institut für Computergestützte Metagenomik des Forschungszentrums Jülich (IBG-5), ist einer der drei Erstautoren der Studie und war von Beginn an maßgeblich an der Studienplanung, der Harmonisierung des Datenaustausches sowie der verblindeten Datenintegration, -auswertung und -visualisierung beteiligt. Im Interview erläutert er die Hintergründe und erklärt, wie die Ergebnisse nun ihren Weg in die Anwendung finden sollen.
Was sind überhaupt Ceramide?
Ceramide sind Lipidmoleküle, die im Fettstoffwechsel gebildet werden und an vielen Prozessen in unseren Zellen beteiligt sind. Ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel und genetische Faktoren begünstigen die Entstehung von Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese Erkrankungen wirken sich auf den Ceramid-Spiegel aus, was Ceramide zu potenziellen Biomarkern für die Früherkennung dieser Erkrankungen prädestiniert. Darüber hinaus lässt sich der Ceramid-Stoffwechsel durch Medikamente, aber auch durch eine Anpassung der Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten gut beeinflussen.
Wie läuft so ein Ringversuch ab?
Ein Ringversuch ist ja eine Methode, bei der mehrere Laboratorien unabhängig voneinander dieselben Proben mit ähnlichen oder unterschiedlichen Methoden analysieren, um ihre Ergebnisse zu vergleichen. Dies trägt dazu bei, die Zuverlässigkeit und Konsistenz von Messungen in verschiedenen Laboratorien zu bewerten und die Standardisierung und Qualitätskontrolle wissenschaftlicher Tests zu verbessern. Solche Studien sind in der Regel sehr arbeits- und zeitintensiv. Im Fall des Ringversuchs zu den Ceramiden wurden die Ergebnisse nach sieben Jahren gemeinsamer Arbeit von 34 teilnehmenden Laboratorien aus 19 Ländern zusammengefasst. Um eine strikte Fokussierung beizubehalten und gleichzeitig die Komplexität zu reduzieren, konzentrierte sich dieser Ringversuch auf menschliches Plasma oder Serum und zielte darauf ab, die Konzentrationen und die Variabilität von vier verschiedenen Ceramid-Lipiden zu untersuchen, die für die Bewertung des Risikos eines Herzinfarkts und verwandter Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems verwendet werden können.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
Aus den Ergebnissen unseres Ringversuchs können einige wertvolle Lehren gezogen werden. Zunächst einmal ist die Standardisierung der Schlüssel zur Verringerung der Variationen im Testverfahren und zur Erzielung eines Konsenses über die Konzentrationen der untersuchten Ceramide. Die massenspektrometrischen Methoden, die wir zur Bestimmung der Ceramid-Konzentrationen in diesem Ringversuch verwendet haben, zeichnen sich durch eine hohe Empfindlichkeit aus. Das ist Fluch und Segen zugleich, denn damit lassen sich auch sehr geringe Stoffkonzentrationen messen und bestimmen. Gleichzeitig ist die Qualität der Messungen abhängig von der manuellen Vorbereitung der Proben.
Für die Reproduzierbarkeit und Zuverlässigkeit der gemessenen Konzentrationen ist die Etablierung von Standards und Routinen in den beteiligten Laboratorien daher sehr wichtig. Eine wichtige Aufgabe dieses Experiments war es daher, den beteiligten Laboratorien eine bereits mehrfach erfolgreich erprobte "Probenvorbereitungs- und Messprozedur“ (SOP) zur Verfügung zu stellen, um den Einfluss dieser Schritte auf die Ergebnisse zu reduzieren. Die teilnehmenden Laboratorien konnten aber auch zusätzlich zur SOP eigene Messprozeduren verwenden und zur Datenanalyse einreichen. Die Auswertung zeigte, dass sich nur in wenigen Fällen die Ergebnisse zwischen der vorgegebenen Messprozedur und den eigenen Messprozeduren signifikant unterschieden. In diesen Fällen konnte nach Rücksprache mit den beteiligten Laboratorien in den meisten Fällen auch die Ursache für diese Abweichungen gefunden werden. Der Ringversuch diente den teilnehmenden Laboratorien somit auch als Lackmustest für die eigenen internen Qualitätssicherungsprozesse.
Was passiert jetzt mit den Ergebnissen?
Die Bestimmung der mittleren absoluten Ceramid-Konzentrationen bildet die Grundlage für zukünftige biologische und medizinische Studien, die für Ceramid-assoziierte Erkrankungen relevant sind. Die in dieser Studie ausgewählten vier Ceramide stellen nur einen kleinen Teil der vom menschlichen Körper produzierten Ceramide dar. Darüber hinaus gibt es viele weitere Ceramid-assoziierte Lipidklassen, die für die Vorhersage oder Diagnose anderer Krankheiten genutzt werden können. Derzeit werden die ausgewählten Ceramide hauptsächlich für den so genannten „Coronary Event Risk Test“ (CERT1) verwendet, mit dem das Risiko für schwere Herzinfarkte, Herzinsuffizienz und Schlaganfälle abgeschätzt werden kann. Eine Weiterentwicklung dieses Tests, CERT2, verwendet neben den Ceramiden auch die Konzentrationen und Verhältnisse von so genannten Phospholipiden, was den Test für den gleichen Anwendungsbereich wie CERT1 genauer macht.
In der klinischen Forschung werden derzeit diese Tests in Kombination mit weiteren Lipidkonzentrationen und -verhältnissen auch im Zusammenhang mit der Früherkennung anderer Erkrankungen, die mit dem Ceramid-Stoffwechsel in Zusammenhang stehen, erprobt. So sind z.B. die genauen Mechanismen zwischen kardiovaskulären Erkrankungen und veränderten Ceramid-Konzentrationen noch nicht ausreichend bekannt. Hier gemeinsam mit Chemikern, Biologen und Medizinern datengestützt und mit Methoden der modernen Bioinformatik und des maschinellen Lernens die Entwicklung und Validierung mechanistischer Hypothesen zu erforschen, wird einer meiner Forschungsschwerpunkte in den nächsten Jahren sein.
Welche Rolle spielen die verschiedenen Arten von Plasmaproben, die in der Studie untersucht wurden?
Durch die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen National Institute of Standards and Technology (NIST) hatten wir für diese Studie Zugang zu Referenzproben, die unter kontrollierten Bedingungen hergestellt wurden. Diese werden aus Blutplasmaproben eines repräsentativen Querschnitts der (amerikanischen) Bevölkerung hergestellt. Zum Beispiel versucht der Hauptstandard, den wir für die Studie verwendet haben, NIST SRM 1950, die durchschnittliche Variabilität des Blutplasmas der erwachsenen amerikanischen Bevölkerung widerzuspiegeln.
Die anderen drei Standards, die wir in der Studie verwendet haben, bestehen jeweils aus einer Stichprobe gesunder junger Erwachsener, einer Stichprobe stark übergewichtiger Erwachsener und einer Stichprobe von Personen mit Typ-1-Diabetes. Durch die in dieser Studie bestimmten Konzentrationen in diesen verschiedenen Gruppen konnten wir zeigen, in welchen Konzentrationsbereichen die Ceramide für die jeweiligen Gruppen zu erwarten sind. Diese Ergebnisse kann man in Zukunft verwenden, sobald die Werte an größeren, repräsentativen Bevölkerungsquerschnitten validiert wurden, um Grenzbereiche zu definieren, ab denen z.B. ein Arzt bei seinen Patienten eine medikamentöse Behandlung einleiten würde, oder bis zu denen er seinen Patienten mehr Bewegung oder eine angepasste Ernährung zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen empfehlen würde. Durch den Vergleich gemischter Plasmaproben liefert die Studie erste Ergebnisse zu biologischen Unterschieden zwischen gesunden Personen, Personen mit erhöhtem Cholesterinspiegel und Personen mit Typ-1-Diabetes. Um die typischen Konzentrationsbereiche der Ceramide und deren Einflussfaktoren besser zu verstehen, sind in Zukunft weitere Phasen des Ringversuchs zur Bestimmung von Variabilität und Repräsentativität in Abhängigkeit von genetischen und anderen individuellen Faktoren, wie z.B. der Ernährung, notwendig.
Originalpublikation:
Federico Torta, Nils Hoffmann, Bo Burla, et al.
Concordant inter-laboratory derived concentrations of ceramides in human plasma reference materials via authentic standards
Nature Communications (2024), DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-024-52087-x
Weitere Informationen:
https://www.fz-juelich.de/de/aktuelles/news/highlights/2024/blutfette-koennen-wichtige-hinweise-auf-diabetes-und-herz-kreislauf-erkrankungen-geben Meldung des Forschungszentrums Jülich