Neunzehntes Medienkunststipendium der Kirch Stiftung an HFF-Regie-Student Daniel T. Halsall vergeben
Sein Projekt „the mirror“ ist eine dokumentarische Expanded-Cinema-Installation zur kritischen Erforschung der digitalen Gegenwart / Es stellt die rasante digitale Transformation einer isoliert lebenden Gemeinschaft dem über die Jahrzehnte schleichend allgegenwärtig gewordenen Technologiekonsum in München gegenüber / So entsteht ein visueller Dialog zweier Parallelwelten, in dem die Omnipräsenz von Smartphones und Digitalen Medien neu hinterfragt wird
Schon zum neunzehnten Mal wurde das „Stipendium Medienkunst der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München, ermöglicht durch die Kirch Stiftung und Frau Regina Hesselberger“ vergeben. Aus allen Einreichungen hat sich die Jury für das Konzept „the mirror“ (AT) von HFF-Student Daniel T. Hasall entschieden.
Dr. Reinhard Scolik (Kirch Stiftung): „Es war keine leichte Entscheidung für die Jury, die aus vielen spannenden und interessanten Projekten auswählen konnte. Danke an alle Studierenden für Ihr Engagement! Letztlich fiel die Wahl auf Daniel T. Halsall und sein Projekt „the mirror“, mit dem er unser Leben in der alles durchdringenden digitalen Welt erforschen möchte. Sein Ansatz, das wie in einem Brennglas anhand einer indigenen Gemeinschaft im brasilianischen Amazonasgebiet zu zeigen, hat uns sehr überzeugt. Die Erfahrungen, die er und sein Team bei diesem Projekt machen, werden auch uns zu neuen Blicken auf unser digitales Leben anregen.“
Regina Hesselberger: „Ich freue mich, dass das Medienkunstatelier nun schon seit 18 Jahren einen Ort für die Kreativität junger Künstler*innen schaffen kann. Die Besonderheit ist, dass das Atelierhaus nicht nur den Raum für die spätere Präsentation der künstlerischen Arbeiten bietet, sondern den Künstler*innen zuvor auch ein Jahr als Wohnraum dient, in dem sie leben, arbeiten und ihre Ideen Wirklichkeit werden lassen. Wir freuen uns, diese Möglichkeit jungen Künstler*innen mitten in Sendling bieten zu können.“
„the mirror“ – eine Gegenüberstellung der rasanten digitalen Transformation der Marubo, einer isoliert lebenden indigenen Gemeinschaft im brasilianischen Amazonas, und des alltäglichen Technologiekonsums in München
Die Marubo, eine 2000-köpfige indigene Gemeinschaft im brasilianischen Amazonas, leben seit Generationen entlang des Ituí-Flusses und bewahrten ihre Lebensweise über Jahrhunderte hinweg durch Isolation. Doch seit September verfügen sie dank Elon Musks Starlink – und einer Spende einer Frau aus Oklahoma – über Hochgeschwindigkeitsinternet. Die Auswirkungen waren unmittelbar und tiefgreifend. Enoque Marubo, ein 40jähriges Führungsmitglied der Marubo, gab zu: "Es veränderte die Routine so sehr, dass es nachteilig war. Im Dorf, wenn man nicht jagt, fischt und pflanzt, isst man nicht.”
Die Marubo erlebten vor neun Monaten einen technologischen Wandel, den unsere Gesellschaft über Jahrzehnte erlebte. Diese rasante Transformation wirft provokante Fragen auf und hält uns einen Spiegel vor, der uns erkennen lässt, was wir selbst oft nicht mehr wahrnehmen: die digitale Allgegenwart in unserem Leben und die Omnipräsenz von Smartphones. Innerhalb kürzester Zeit sahen sich die Marubo mit Phänomenen konfrontiert, die unsere Gesellschaft seit Jahren prägen: Teenager, die an ihre Telefone gefesselt sind; ausufernder Klatsch in Gruppenchats; Kontakt mit Fremden; gewalttätige Videospiele; Betrügereien; Desinformationen und der unkontrollierte Zugang zu Pornografie.
Im Rest der Welt sind die meisten Menschen wie Frösche, bei denen die Temperatur des Wassers langsam erhöht wurde – ohne es zu bemerken, haben sie sich an einen Zustand gewöhnt, der ihre zwischenmenschlichen Beziehungen, ihre Kultur, im Grunde alles beeinflusst hat. Die Erfahrung der Marubo ermöglicht es, kritisch zu hinterfragen, wie Technologie unser Leben formt und welche bewussten Entscheidungen wir im Umgang damit treffen könnten. Diese Geschichte bietet viel Raum für Exploration und Dokumentation.
„the mirror“ wird die beiden Welten als Expanded Cinema mit zwei Leinwänden und Spiegelungen so projizieren, dass man sie sie getrennt, aber auch im Dialog miteinander sehen kann.
Daniel T. Halsall, geboren 1989, ist ein queerer Regisseur und Drehbuchautor aus den Niederlanden, der Spielfilmregie an der HFF München studiert. Zuvor arbeitete er in den Niederlanden als Regisseur für Dokumentar-und Werbefilme. Für „the mirrors“ arbeitet er zusammen mit dem preisgekrönten Journalisten und Filmemacher Lukas Augustin, der hier als Produzent fungieren wird, sowie dem Bildgestalter Jefta Varwijk. Das Projekt begann tatsächlich über eine digitale Kontaktaufnahme durch Daniel T. Hasall mit den Marubo, denn: „Die Marubo sind sehr aktiv auf Social Media – wir sind in Kontakt, was vor einem Jahr noch völlig undenkbar war. Wir stehen momentan in engem Austausch für die geplante Zusammenarbeit an unserem Projekt.“
Zu „the mirrors“ inspirierte Daniel T. Hasall u.a. sein Vater-sein: „Als junger Vater beschäftigt mich die Frage, wie ich meinem Sohn einen gesunden Umgang mit digitalen Medien vermitteln kann. In meiner Familie erlebe ich beide Extreme: Mein Bruder schenkte seiner Tochter zum ersten Geburtstag ein iPad, während meine Schwägerin mir nach der Geburt meines Sohnes Artikel schickte, die davor warnten, in Anwesenheit von Babys auf Handys zu schauen, da dies ihre soziale Entwicklung beeinträchtigen könne.“
Für die Umsetzung des Projekts wird den Preisträger*innen ein Jahr lang ein Atelier mit Wohnraum in München mietfrei zur Verfügung gestellt; zusätzlich erhalten sie eine monatliche finanzielle Unterstützung in Höhe von 800 € sowie einen einmaligen Materialkostenzuschuss über 5.000 €. Im Herbst 2024 werden Marc Philip Ginolas und Judith Anouschka Grosch die Medienkunstinstallation voraussichtlich im Atelier zeigen; ggf. auch als Kooperation mit weiteren Ausstellungsräumen. Sie folgen damit auf HFF-Studentin Felizitas Hoffmann und Performancekünstlerin Theresa Hoffmann, die gemeinsam das Kunstkollektiv Hybris bilden und in wenigen Wochen ihr Projekt fake it till you break it präsentieren.
Die Jury 2024 setzte sich zusammen aus Dr. Reinhard Scolik (Kirch Stiftung), Regina Hesselberger-Purrmann (Hesselberger Architekten GmbH), Prof. Dr. Michaela Krützen (Abteilung Medienwissenschaft HFF München), Su Steinmassl (ehemalige Stipendiatin, Medienkünstlerin und Studentin an der HFF München), Dr. Stefan Urbaschek (Kurator u.a. für die Sammlung Goetz), Prof. Heiner Stadler (ehemaliger Prof. Abteilung Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik) und Dr. Johannes Wende (ehemaliger Stipendiat und Akademischer Rat in der Abteilung Medienwissenschaft).
Weitere Informationen:
http://www.hff-muc.de