Bahnbrechende Technologie ebnet den Weg für lebensrettende Behandlung bei tödlicher Hautreaktion
Räumliche Proteomik liefert Therapieansatz für Patienten mit toxischer epidermaler Nekrolyse – Off-Label-Nutzung von JAK-Hemmern bei ersten Patienten führte zur vollständigen Genesung
Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Professor Matthias Mann vom Max-Planck-Institut für Biochemie (MPIB) in Martinsried und Professor Lars French vom LMU Klinikum München hat eine bahnbrechende Entdeckung gemacht, die das Leben von Patienten mit toxischer epidermaler Nekrolyse (TEN) retten kann. TEN ist eine seltene, aber oft tödliche Nebenwirkung gängiger Medikamente, die zu großflächigen Hautablösungen führt. Mit innovativer räumlicher Proteomik, einem der fortschrittlichsten molekularbiologischen Verfahren, konnte das Team den entzündlichen JAK/STAT-Signalweg als Hauptursache der Krankheit identifizieren. Nach der Überprüfung ihrer Ergebnisse in vorklinischen Modellen behandelten die Experten die ersten sieben Patienten weltweit erfolgreich mit JAK-Inhibitoren. Alle Patienten erholten sich schnell und vollständig. Diese wegweisende Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Proteomik verschiebt das Paradigma
In der aktuellen Studie nutzten Forschende die räumliche Proteomik zur Analyse von Hautproben von TEN-Patienten. Dieser hochmoderne Ansatz, bekannt als Deep Visual Proteomics (DVP), verbindet leistungsstarke Mikroskopie mit KI-gesteuerter Analyse, lasergeführter Mikrodissektion und schließlich hochsensitiver Massenspektrometrie. Die Wissenschaftler untersuchten einzelne Zellen und erstellten eine Karte von Tausenden Proteinen, die diese tödliche Reaktion antreiben.
Dr. Thierry Nordmann, Erstautor und Wissenschaftler am MPIB sowie Oberarzt in der Klinik für Dermatologie und Allergologie am LMU Klinikum erklärt: "Durch die Anwendung räumlicher Proteomik auf archivierte Patientenproben mit TEN konnten wir einzelne Zelltypen präzise isolieren und analysieren, um zu verstehen, was tatsächlich in der Haut der Patienten passiert. Wir stellten eine auffällige Überaktivierung des entzündungsfördernden JAK/STAT-Signalwegs fest und fanden so eine Möglichkeit, mit JAK-Inhibitoren in diese tödliche Erkrankung einzugreifen. JAK-Inhibitoren sind eine Klasse von Medikamenten, die bereits zur Behandlung anderer entzündlicher Erkrankungen wie atopischer Dermatitis oder rheumatoider Arthritis eingesetzt werden."
TEN ist eine seltene, aber äußerst schwere Nebenwirkung gängiger Medikamente wie Allopurinol (ein Mittel zur Behandlung von Gicht) oder bestimmter Antibiotika. TEN verursacht großflächige Blasenbildung und Ablösung der Haut. Mit einer Sterblichkeitsrate von bis zu 30 Prozent entwickelt sich der scheinbar harmlose Ausschlag schnell zu einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Bislang gab es keine wirksame Therapie gegen TEN, die Behandlung beschränkte sich hauptsächlich auf unterstützende Maßnahmen, wie z.B. auf die Linderung von Schmerzen und Vermeidung von Infektionen.
Das Team analysierte die Ergebnisse anhand einer Reihe von präklinischen Studien, einschließlich In-vitro-Modelle und zwei unterschiedlichen Mausmodellen. Die Ergebnisse der Forschungszusammenarbeit von Wissenschaftlern in sechs Ländern waren konsistent und durchweg positiv: JAK-Inhibitoren zeigen echtes Potenzial bei der Behandlung dieser verheerenden Erkrankung.
Eine neue Therapie am Horizont für TEN-Patienten
In Kooperation mit klinischen Teams unter der Leitung von Professor Ji am First Affiliated Hospital der medizinischen Universität Fujian in China verabreichte das Forschungsteam JAK-Inhibitoren an Patienten, die an TEN erkrankt waren. Bemerkenswerterweise zeigten alle sieben behandelten Patienten eine rasche Verbesserung und vollständige Genesung.
Professor French, Ko-Korrespondenzautor und Lehrstuhlinhaber für Dermatologie an der LMU München, erläutert: "Die neuen Beweise, dass die Hemmung des JAK/STAT-Signalwegs das Potenzial hat, die hohe Sterblichkeit dieser schweren kutanen Arzneimittelreaktion zu reduzieren, ebnet den Weg für klinische Studien zur Zulassung von JAK-Inhibitoren, um eines der bedeutendsten, bislang nicht behandelbaren medizinischen Probleme zu lösen."
Obwohl größere klinische Studien erforderlich sind, um die Wirksamkeit und Sicherheit von JAK-Inhibitoren bei TEN zu bestätigen, bietet die neuen Erkenntnisse einen vielversprechenden Ansatz für eine künftige Behandlung von Patientinnen und Patienten, die an TEN erkrankt sind. Die Studie zeigt auch neue Möglichkeiten für die alternative Nutzung und Entwicklung von Medikamenten auf. Die Max-Planck-Gesellschaft hat gemeinsam mit der Ludwig-Maximilians-Universität ein Patent für den Einsatz von JAK-Inhibitoren zur Behandlung von TEN und verwandten Erkrankungen angemeldet.
Matthias Mann vom MPIB fasst zusammen: "Unsere Ergebnisse eröffnen nicht nur neue Wege zur Behandlung von TEN, sondern unterstreichen auch das Potenzial der räumlichen Proteomik, medizinische Durchbrüche voranzutreiben. Unseres Wissens nach ist dies das erste Mal, dass eine räumliche Omics-Technologie eine unmittelbare und greifbare Auswirkung in der Klinik hatte, indem sie eine Behandlung identifizierte, die bereits das Leben von Menschen zum Guten verändert hat. Dieser Ansatz könnte auf eine Vielzahl von Krankheiten angewendet werden und potenziell die Medikamentenentdeckung in vielen Bereichen der Medizin beschleunigen."
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Lars E. French
Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie
LMU Klinikum München
Campus Innenstadt
E-Mail: lars.french@med.uni-muenchen.de
Web: https://www.lmu-klinikum.de/dermatologie
Originalpublikation:
Spatial proteomics identifies JAKi as treatment for a lethal skin disease
Thierry M. Nordmann*, Holly Anderton, Akito Hasegawa, Lisa Schweizer, Peng Zhang, Pia-Charlotte Stadler, Ankit Sinha, Andreas Metousis, Florian A. Rosenberger, Maximilian Zwiebel, Takashi K. Satoh, Florian Anzengruber, Maximilian T. Strauss, Maria C. Tanzer, Yuki Saito, Ting Gong, Marvin Thielert, Haruna Kimura, Natasha Silke, Edwin H. Rodriguez, Gaetana Restivo, Hong Ha Nguyen, Annette Gross, Laurence Feldmeyer, Lukas Joerg, Mitchell P. Levesque, Peter J. Murray, Saskia Ingen-Housz-Oro, Andreas Mund, Riichiro Abe, John Silke, Chao Ji, Lars E. French* & Matthias Mann*; Nature, Oktober 2024
* korrespondierende Autoren
DOI: https://www.nature.com/articles/s41586-024-08061-0
Weitere Informationen:
https://www.lmu-klinikum.de/aktuelles/pressemitteilungen/bahnbrechende-technologie-ebnet-den-weg-fur-lebensrettende-behandlung-bei-todlicher-hautreaktion/5993c9aa9698e8a2