Demokratie in Gefahr? Wahlstudie in ostdeutschen Bundesländern zeigt Misstrauen in Staat
Umfrageergebnisse in Sachsen, Thüringen und Brandenburg der Universitäten Trier und Jena belegen, dass die Demokratie in der Krise steckt. Eine Regierungsbeteiligung der AfD wollen die meisten Befragten nicht.
Die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben politisch für Erdbeben gesorgt. Nun laufen die Sondierungsgespräche. Eine interdisziplinäre Studie im Rahmen des NurtureDEMOS-Projekts der VolkswagenStiftung an der Universität Trier und des Zentrums für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration (KomRex) der Universität Jena hat Einstellungen und Wahlverhalten in den Ländern im Vorfeld der Landtagswahlen erfasst und analysiert. Die Studie bietet sowohl politikwissenschaftliche als auch psychologische Einblicke in die Krise der Demokratie.
Misstrauen in staatliche Institutionen, das ist bei Nichtwählerinnen und Nichtwählern und an den politischen Rändern nichts Neues. Dass aber zwei Drittel dieser Gruppen angeben, sie haben wenig oder gar kein Vertrauen den Staat, zeigt, wie massiv das Misstrauen in diesem Teil der Bevölkerung ist. Immerhin lag der Stimmenanteil der AfD bei allen drei zurückliegenden Landtagswahlen bei etwa 30 Prozent. Der Anteil der Nichtwählerinnen und Nichtwähler noch einmal bei über 25 Prozent und auch Wählerinnen und Wähler des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) sind misstrauisch: „Wählerinnen und Wähler von CDU, SPD, Grünen, FDP und Linken haben insgesamt gegenüber allen Institutionen – außer der Bundesregierung – mehr Vertrauen als Misstrauen. Das Gegenteil ist für AfD- und Nichtwählerinnen und -wähler der Fall. BSW-Wählerinnen und -wähler zeigen insbesondere gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein erhöhtes Misstrauen“, sagt Politikwissenschaftlerin Dr. Anna-Sophie Heinze von der Universität Trier.
Daneben zeigt die Studie aber noch eine weitere, direkte Gefahr für die Demokratie. Die AfD-Wählerschaft ist nicht nur kritisch gegenüber demokratischen Institutionen oder der aktuellen Ausgestaltung von Demokratie in Deutschland eingestellt. Sie lehnt zu einem bedeutsamen Anteil die Demokratie als Staatsform ab. „Dieses Ergebnis, das bereits im ARD-Deutschlandtrend zutage kam, zeigt das Voranschreiten der antidemokratischen Tendenzen innerhalb der Partei und ihrer Anhängerschaft“, analysiert das Befragungsteam. Die Gründe dafür sieht Prof. Dr. Eva Walther, die an der Universität Trier zur Psychologie der Rechtsradikalisierung forscht, nicht nur in subjektiv
wahrgenommenen sozioökonomischen Nachteilen der AfD-Wählerinnen und Wähler: „Es gibt eine grundlegende starke Unzufriedenheit bei AfD-Wählerinnen und Wählern, die sich auch in starken Emotionen wie Wut, aber auch Angst ausdrückt.“
So deutet das Wahlverhalten in den ostdeutschen Bundesländern laut der Studie auf eine Stärkung der politischen Ränder und demokratiekritischer Kräfte hin. Im Unterschied zur Bundestagswahl 2021 zeigt sich, dass es eine größere Wählerbewegung von den etablierten Parteien hin zur AfD und auch zum neugegründeten BSW gab. In ostdeutschen Bundesländern ist die Bindung von Wählerinnen und Wählern an eine bestimmte Partei schon immer deutlich geringer als in den westdeutschen Bundesländern. Die aktuelle Studie zeigt jedoch, dass die AfD mittlerweile über den höchsten Stammwähleranteil verfügt. „Für die Bundestagswahl 2025 könnte das bedeuten, dass sich die AfD in Ostdeutschland zur Volkspartei aufschwingt. Dies wird zukünftige Regierungsbildungen weiter erschweren“, so Prof. Dr. Tobias Rothmund von der Universität Jena.
Apropos Regierungsbildung: Bei den aktuell anhaltenden Sondierungen ist noch kein Ende in Sicht. In der Studie von KomRex und Universität Trier zeigt sich, dass die Bevölkerung in Sachsen, Thüringen und Brandenburg die Frage nach dem besten Koalitionspartner mit „CDU“ beantwortet. In Brandenburg erzielen SPD und BSW ähnliche Werte wie die CDU, während sie in Sachsen und Thüringen mit größerem Abstand auf Platz zwei und drei kommen. Die AfD landet in Brandenburg und Sachsen auf Platz vier, in Thüringen noch hinter der Linken auf Platz fünf. Hier wird deutlich: Nur die AfD-Anhängerschaft sieht die AfD als Regierungspartner. Die Wählerinnen und Wähler aller anderen Parteien lehnen eine Koalition mit der AfD mehrheitlich ab. Ob sich die Koalitionswünsche der Wählerschaft bei der anstehenden Regierungsbildung in den Bundesländern durchsetzen, ist jedoch unklar.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Anna-Sophie Heinze
Politikwissenschaft
Tel. +49 651 201-2184
Mail: heinzea@uni-trier.de
Prof. Dr. Eva Walther
Sozialpsychologie
Tel. +49 651 201-2864
Mail: walther@uni-trier.de
Originalpublikation:
https://www.komrex.uni-jena.de/komrexmedia/5280/policy-paper.pdf