HoF-Publikation: Im Auftrag. Sonderhochschulen und Ressortforschung in der DDR
Das DDR-Wissenschaftssystem bestand nicht nur aus 53 öffentlichen Hochschulen, der Akademie der Wissenschaften mit ihren 64 Einrichtungen, weiteren Akademien sowie der Industrieforschung mit 86.000 FuE-Beschäftigten. Zusätzlich gab es Sonderhochschulen, die nicht allgemein öffentlich zugänglich waren, und Ressortforschungseinrichtungen, die unmittelbar Ministerien oder dem SED-Zentralkomitee zugeordnet waren. Indem diese wenig bekannten Segmente der DDR-Wissenschaft nun in einem Handbuch vorgestellt werden, wird eine Wahrnehmungslücke geschlossen.
Im Laufe der DDR-Jahrzehnte gab es 40 Hochschulen, die von Ministerien, Parteien, Massenorganisationen und Sicherheitsorganen zur Befriedigung von Eigenbedarfen an Aus- und Weiterbildung betrieben wurden. Davon waren elf zivile und 29 para-/militärische Hochschulen. Zusätzlich wurden 90 Forschungseinrichtungen in unmittelbarer Trägerschaft von Regierung bzw. SED unterhalten. In der DDR hatten die beiden Segmente keine eigenen Namen. Sie werden in dem Handbuch als „Sonderhochschulen“ und „Ressortforschung“ bezeichnet und diese wiederum unter dem Begriff „staatsunmittelbare Wissenschaft“ zusammengefasst.
Von den insgesamt 130 Einrichtungen existierten 1989 noch 116. In den Transformationsprozessen der 90er Jahre waren sie weithin unbeachtet geblieben und werden auch seither nicht als ein Teil der DDR-Wissenschaftsstrukturen wahrgenommen. Dies stellt eine durchaus erhebliche Wahrnehmungslücke dar:
• Nach heute landläufiger Auffassung bildeten 181 Hochschulen und Akademie-Institute das DDR-Wissenschaftssystem. Die 116 Sonderhochschulen und Ressortforschungseinrichtungen machten allerdings hinsichtlich der Einrichtungszahl 41 Prozent des DDR-Wissenschaftssystems aus.
• Blickt man auf die personellen Ressourcen, so waren in der staatsunmittelbaren Wissenschaft 14 Prozent der DDR-Wissenschaftler.innen tätig. Betrachtet man allein die Gesellschaftswissenschaften, so beschäftigten die Einrichtungen etwa 25 Prozent des Personals dieser Fächergruppe. Insgesamt konnte ermittelt werden, dass an den Einrichtungen 1989 rund 11.300 wissenschaftlich tätige Personen tätig waren.
Die Qualität der Einrichtungen war von höchst unterschiedlicher Güte. Nimmt man die Präsenz ihres Personals im wissenschaftlichen Leben der DDR als Kriterium, so verharrten die meisten Einrichtungen eher unterhalb des fachlichen Niveaus der öffentlichen Hochschulen und Akademieinstitute. Dafür spricht auch, dass es kaum Personaltransfers aus den Parteieinrichtungen in die öffentlichen Hochschulen gegeben hat.
Zugleich lässt sich aber die geleistete wissenschaftliche Arbeit nicht umstandslos als irrelevant abtun, nur weil sie an Einrichtungen der staatsunmittelbaren Wissenschaft stattfand. Das ergibt sich bereits daraus, dass der Grad der Politikbindung sehr unterschiedlich war. So handelte es sich etwa beim Institut für Denkmalpflege zwar formal um eine Ressortforschungseinrichtung, doch wurde dort nicht politikdominiert gearbeitet. Insbesondere die natur- und ingenieurwissenschaftlichen Regierungsinstitute hatten zudem häufig auch behördliche Aufgaben, ebenso wie die Ressortforschung in anderen Ländern. Auch kann nicht per se davon ausgegangen werden, dass die Einrichtungen allein politische Gefälligkeitsforschung betrieben haben. Im Falle des Instituts für Meinungsforschung (1964–1979) etwa spricht dessen politisch motivierte Auflösung dagegen. Für das Zentralinstitut für Jugendforschung sind die Arbeitsergebnisse, die seinerzeit fast ausnahmslos unter Verschluss bleiben mussten, im Nachhinein publiziert worden. Sie belegen aufschlussreiche realitätsverankerte Forschungsergebnisse.
Aufgrund seiner amorphen Struktur, seiner unmittelbaren Politikbindung, der teilweisen Unsichtbarkeit, aber auch aufgrund von Kenntnisdefiziten maßgeblicher Akteure war die staatsunmittelbare Wissenschaft in den Transformationsprozessen 1990ff. weitgehend außerhalb der wissenschaftspolitischen Wahrnehmung geblieben. Infolge dieser vielschichtigen Gründe wurden die Einrichtungen nahezu komplett geschlossen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Uwe Grelak, Email: uwe.grelak@hof.uni-halle.de
Originalpublikation:
Uwe Grelak / Peer Pasternack: Im Auftrag. Sonderhochschulen und Ressortforschung in der DDR, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2024, 325 S.
Weitere Informationen:
https://www.hof.uni-halle.de/web/dateien/pdf/GrelakPasternack-ImAuftrag-InhaltsverzEinl.pdf (Inhaltsverzeichnis undf Leseprobe)