Schlüsselprotein für die Bildung von Abwehr-Steroiden in Nachtschattengewächsen entdeckt
Forschende des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie präsentieren in der Zeitschrift Science das entscheidende Protein für die Steuerung der Biosynthese von steroidalen Glykoalkaloiden und Saponinen in Pflanzen der Gattung Solanum und können erstmals die ökologische Rolle von steroidalen Saponinen zur Abwehr von Insekten nachweisen.
Forschende des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie haben GAME15 als ein entscheidendes Protein identifiziert, das die Biosynthese sowohl von steroidalen Glykoalkaloiden als auch Saponinen in Pflanzen der Gattung Solanum reguliert. Die neue Studie in der Fachzeitschrift Science zeigt, dass das Protein essenziell für die Bildung dieser Naturstoffe aus einer Cholesterinvorstufe ist. Pflanzen des Schwarzen Nachtschattens Solanum nigrum, die das Protein und damit die Steroidsaponine nicht mehr produzieren konnten, waren anfälliger gegenüber Insekten wie Kleinzikaden und Kartoffelkäfer. Diese Ergebnisse eröffnen neue Perspektiven für die Gewinnung hochwertiger Steroidmoleküle für medizinische Anwendungen und könnten gezielte Strategien zur Bekämpfung landwirtschaftlicher Schädlinge unterstützen.
Die Produktion spezieller Steroidverbindungen in Nachtschattengewächsen (wie Kartoffeln, Tomaten und Auberginen) beginnt mit Cholesterin. Verschiedene Studien haben die Enzyme untersucht, die an der Bildung von steroidalen Glykoalkaloiden beteiligt sind. Obwohl die Gene, die das Grundgerüst dieser Verbindungen bilden, bekannt sind, ist es bisher nicht gelungen, diese Prozesse in anderen Pflanzen nachzubilden. Die Arbeitsgruppe „Spezialisierter Steroid-Stoffwechsel in Pflanzen“ in der Abteilung Naturstoffbiosynthese, unter der Leitung von Prashant Sonawane, der inzwischen Assistant Professor an der University of Missouri in den USA ist, machte sich auf die Suche nach dem fehlenden Puzzleteil. „Mit unserem Forschungsprojekt wollten wir insbesondere klären, welcher wichtige Baustein im Biosyntheseweg der Forschung bisher verborgen geblieben ist und welche Rolle dieses Gen oder Protein in diesem Prozess spielt. Außerdem wollten wir herausfinden, ob wir nach der Identifizierung des fehlenden Bausteins den Biosyntheseweg rekonstruieren können. Ein wichtiger Aspekt unserer Studie war auch, mehr über die ökologische Rolle der Steroidsaponine in Pflanzen zu erfahren“, beschreibt Prashant Sonawane die Fragestellungen der Studie.
GAME15 – ein unbekannter, aber entscheidender Player bei der Biosynthese von Steroidmolekülen in Solanum
Das Forschungsteam nutzte die Wildpflanze Solanum nigrum (Schwarzer Nachtschatten) für die Untersuchungen, weil sie in verschiedenen Geweben unterschiedliche Steroidmoleküle produziert, die alle vom gleichen Vorläufer, dem Cholesterin, abstammen. In den Blättern ist das wichtigste Steroidmolekül ein Saponin namens Uttrosid B, während in den Beeren die wichtigsten Verbindungen steroidale Glykoalkaloide wie α-Solasonin, α-Solamargin und Malonylsolamargin sind. Die Enzyme GAME6, GAME8 und GAME11 sind an der Bildung beider Verbindungstypen beteiligt und kommen sowohl in Blättern als auch in Beeren vor. Mit konfokaler Mikroskopie wurde festgestellt, wo sich diese Enzyme in den Zellen befinden. Durch biochemische und molekularbiologische Analysen identifizierten die Forschenden ein Gen, das für ein Protein namens GAME15 verantwortlich ist. Obwohl GAME15 zur Familie der Cellulose-Synthase-ähnlichen Proteine gehört, hat es keine Funktion in der Celluloseproduktion. Stattdessen ist es wichtig für die Herstellung von Steroidverbindungen, auch wenn es keine katalytische Funktion wie andere Enzyme hat.
„Unsere Experimente zur Interaktion von Proteinen zeigten, dass GAME15 mit den Enzymen GAME6, GAME8 und GAME11 zusammenarbeitet. Diese Enzyme sind für die ersten Schritte der Hydroxylierung von Cholesterin verantwortlich, die zur Bildung des Furostanol-Aglykons (16,22,26-Trihydroxycholesterin) führen, einem wichtigen Punkt für die Synthese von steroidalen Saponinen und Glykoalkaloiden. Mittels Solanum nigrum-Pflanzen, in denen das GAME15-Gen ausgeschaltet war, konnten wir zeigen, dass diese Pflanzen nicht mehr in der Lage waren, steroidale Glykoalkaloide und Saponine zu bilden“, erklärt Erstautorin Marianna Boccia eine der Hauptentdeckungen der Studie.
Steroidverbindungen aus Solanum haben großes Potenzial für medizinische Anwendungen
Steroidale Saponine und steroidale Glykoalkaloide sind Wirkstoffgruppen mit vielversprechenden medizinischen Anwendungen. Neuere Studien zeigen beispielsweise eine hohe Wirksamkeit bestimmter Saponine bei der Behandlung von Leberkrebs. Auch steroidale Glykoalkaloide haben krebshemmende, sowie antimikrobielle und entzündungshemmende Eigenschaften. „Durch die Identifizierung von GAME15 konnten wir den Stoffwechselweg für Steroidalverbindungen in heterologen Wirten, wie Nicotiana benthamiana, bis hin zum Furostanol-Gerüst, einem Vorläufer von Steroidsaponinen und Solasodin, einem unmittelbaren Vorläufer von Steroidglykoalkaloiden, rekonstruieren“, sagt Prashant Sonawane. Die Rekonstruktion von medizinisch interessanten Wirkstoffen in Pflanzen wie Nicotiana benthamiana, wird auch „Pharming“ genannt, ein Kofferwort aus „Pharmaceutics“ und „Farming“. Die Methode beschreibt die Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen, in die ein Biosyntheseweg zur Produktion von medizinischen Wirkstoffen eingebaut wurde, zur kosteneffizienten Herstellung von Medikamenten in großem Maßstab. Die Ergebnisse der Studie eröffnen daher Möglichkeiten für die verbesserte Produktion wichtiger Verbindungen auf Steroidbasis.
Erster Nachweis der ökologischen Rolle von Saponinen in der Abwehr von Pflanzenschädlingen
Steroidale Glykoalkaloide sind bereits als wichtige Pflanzenabwehrstoffe bekannt. Sie sind für Nachtschattengewächse typische giftige Verbindungen und kommen auch in Kartoffeln, Tomaten oder Auberginen vor. Durch Schälen, Kochen oder Braten lässt sich der Giftgehalt jedoch deutlich reduzieren. Bei Tomaten werden die Alkaloide während der Reifung abgebaut, so dass sie in den roten Früchten kaum noch nachweisbar sind. Die ökologische Rolle der Steroidsaponine in Solanum nigrum-Blättern war hingegen bisher unbekannt. Einen entscheidenden Hinweis gab das Gewächshausteam, dem auffiel, dass GAME15-Knockout-Pflanzen, die keine Saponine bilden können, im Vergleich zu Wildtyp-Pflanzen anfälliger für Schädlingsbefall an den Blättern waren. Aus Interesse an dieser Beobachtung führten die Forschenden daher ökologische Experimente in Form von Fraßversuchen mit zwei natürlichen Fressfeinden durch. „In einem ersten Experiment wurden zwei Schädlinge getestet, die Blattzikade Empoasca decipiens und der Kartoffelkäfer Leptinotarsa decemlineata, die zwischen Blättern von Wildtyp-Pflanzen (die steroidale Saponine produzieren) und Blättern von Game15-Knockout-Pflanzen (die keine Saponine produzieren) wählen konnten. Nach einer Woche zeigte sich, dass beide Schädlinge fast ausschließlich an den Knockout-Blättern fraßen und diese bevorzugten. Im zweiten Experiment führten wir einen Zwangsfütterungstest mit Kartoffelkäfern durch, bei dem sie keine Wahl hatten. Die Käfer wurden auf Blätter von Wildtyp- oder Knockout-Pflanzen gesetzt. Nach nur sechs Stunden fraßen sie bereitwillig die Knockout-Blätter, während sie die Wildtyp-Blätter weitgehend in Ruhe ließen und offenbar lieber verhungerten, als sie zu fressen“, beschreibt Marianna Boccia den ersten Nachweis für die Rolle von Steroidsaponinen bei der Pflanzenabwehr. Eine mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Wirkstoffgruppen in Blättern und Beeren ist, dass diese Verbindungen auf den Schutz unterschiedlicher Pflanzengewebe spezialisiert sind. Blätter werden eher von Insektenschädlingen befallen, während Beeren anfälliger für Krankheitserreger sind.
„Unsere Entdeckungen zeigen, wie Nachtschattengewächse ein Protein, das normalerweise für die Celluloseproduktion zuständig ist, in eine neue Rolle umgewandelt haben. Dieses Protein spielt jetzt eine wichtige Rolle bei der Herstellung von Verbindungen, die die Pflanzen vor Krankheitserregern und Schädlingen schützen. Diese Erkenntnisse bieten neue Möglichkeiten für die Züchtung von Pflanzen mit besserer Schädlingsresistenz und für die Herstellung wichtiger medizinischer Steroid-Wirkstoffe zur Bekämpfung von Krebs und anderen Krankheiten“, sagt Sarah O’Connor, Direktorin der Abteilung Naturstoffbiosynthese und eine der Hauptautorinnen der Studie.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Marianna Boccia, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Straße 8, 07745 Jena, Germany, Tel. +49 3641 57-1259, E-Mail mboccia@ice.mpg.de
Dr. Prashant D. Sonawane, Division of Biochemistry, College of of Agriculture, Food and Natural Resources, University of Missouri, Columbia, MO, USA, Tel. +1 573 882-5300, E-Mail sonawanep@missouri.edu
Prof. Dr. Sarah E. O’Connor, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Straße 8, 07745 Jena, Germany, Tel. +49 3641 57-1200, E-Mail oconnor@ice.mpg.de
Originalpublikation:
Boccia, M., Kessler, D., Seibt, W., Grabe, V., Rodríguez López, C. E., Grzech, D., Heinicke, S., O’Connor, S. E., Sonawane, P. D. (2024). A scaffold protein manages the biosynthesis of steroidal defense metabolites in plants, Science, doi:10.1126/science.ado3409
https://doi.org/10.1126/science.ado3409
Weitere Informationen:
https://www.ice.mpg.de/447007/plant-steroidal-metabolism Arbeitsgruppe "Spezialisierter Steroid-Stoffwechsel in Pflanzen" der Abteilung Naturstoffbiosynthese am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie