Pflanzliche Schließzellen können Umweltreize zählen
Pflanzen passen ihren Wasserverbrauch an die Umweltbedingungen an, indem sie mit ihren Schließzellen Umweltreize zählen und verrechnen. Das berichten Pflanzenforscher der JMU in „Current Biology“.
Pflanzen steuern ihren Wasserverbrauch über regulierbare Poren (Stomata), die aus Paaren von Schließzellen geformt werden. Bei ausreichender Wasserversorgung und genug Licht für die Kohlendioxid-Fixierung durch Photosynthese öffnen sie ihre Stomata. Im Dunkeln und bei Wassermangel dagegen leiten sie das Schließen der Poren ein.
Für die Regulation der Stomata sind Anionenkanäle vom SLAC/SLAH-Typ in den Schließzellen von zentraler Bedeutung. Das hat die Gruppe von Professor Rainer Hedrich, Biophysiker an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg, gezeigt.
Aktiviert werden die Anionenkanäle durch Kalziumsignale, die wiederum aufgrund von Umweltreizen entstehen, etwa durch Wasser- und Nährstoffmangel, Bodenversalzung oder Befall durch Krankheitserreger. Diese Kalziumsignale kommen, je nach Reiz, in verschiedenen Ausprägungen vor. In der Wissenschaft spricht man deshalb auch von der Kalzium-Signatur. Eine häufig vorkommende Signatur ist der sogenannte Kalzium-Transient, ein rascher, zeitlich begrenzter Anstieg der Kalzium-Konzentration in der Zelle.
Kalzium-Transient folgt Alles-oder-Nichts-Gesetz
Wieviel Information steckt in einem Kalzium-Transienten? Um diese Frage zu beantworten, hat Hedrichs Team nun ein optogenetisches Verfahren mit neuartigen Modellpflanzen angewendet, die mit lichtaktivierbaren Kalzium-Kanälen ausgestattet wurden: Durch Lichtpulse lassen sich in den Schließzellen dieser Pflanzen Kalzium-Signale erzeugen und die zelluläre Antwort analysieren.
„Wir waren nicht schlecht überrascht, dass Lichtpulse von 0,1, einer und zehn Sekunden Dauer annähernd gleiche Kalzium-Transienten erzeugten“, sagt Shouguang Huang, der Erstautor der im Journal Current Biology publizierten Arbeit: In den Schließzellen stieg die Kalzium-Konzentration nach den Lichtreizen für 30 Sekunden an, um nach weiteren 30 Sekunden wieder abzuebben.
„Wir vermuteten, dass dieses Alles-oder-Nichts Phänomen zu Stande kommt, weil die von außen einströmende Kalzium-Menge weiteres Kalzium aus Speichern im Zellinneren freisetzt, was das Signal optimal verstärkt“, erklärt Rainer Hedrich. Damit lagen die Würzburger Pflanzenwissenschaftler richtig: Als sie die Kalzium-Speicherung im Endoplasmatischen Retikulum der Zelle hemmten, blieben der Kalzium-Transient und die Folgereaktion aus.
Anionenstrom folgt dem Kalzium-Signal zeitlich versetzt
„Ein zweites Mal staunten wir, als wir neben dem Kalzium-Signal auch die Folgereaktion in den Schließzellen verfolgten, das Anschwellen des Anionenstroms“, erzählt Shouguang Huang. Wie zuvor bei den Kalzium-Transienten, lösten auch hier Lichtpulse unterschiedlicher Länge Anionenströme in ähnlicher Form und Stärke aus. Dabei folgten die Ströme dem Kalzium-Signal zeitlich versetzt: Sie schwollen erst an, nachdem die Kalzium-Konzentration im Zytosol eine Schwelle überschritten hatte.
Nach dem Versiegen des Kalzium-Transienten war der Anionenstrom aber noch für weitere 30 Sekunden messbar. Dieses Hinterherhinken des elektrischen Signals hänge mit der Biologie der Enzyme zusammen, die das Kalzium-Signal verarbeiten und die Anionenkanäle entsprechend an- bzw. abschalten, erklärt Rainer Hedrich. Damit war klar: Der Kalzium-Einstrom von 0,1 Sekunden Dauer wird in der Zelle so verstärkt, dass eine mehr als hundertmal länger anhaltende Folgereaktion in Gang gesetzt wird.
Schließzellen können bis sechs zählen
Wie viele Kalzium-Transienten sind nötig, damit Pflanzen ihre Stomata schließen? Um auch diese Frage zu beantworten, setzte das Forschungsteam Schließzellen alle halbe Minute einem 0,1 Sekunden langen Lichtpuls aus und beobachtete die Stomata. Auf den ersten Puls hin verringerte sich die Porenweite um 10 Prozent, bei drei Reizen um 30, bei sechs Reizen um 80 und bei 12 und mehr Reizen um 100 Prozent.
„Das sagt uns, dass Schließzellen sechs aufeinanderfolgende Kalzium-Transienten auflösen und in Stomabewegung umsetzen können. Die Schließzellen können also bis sechs zählen“, sagt Rainer Hedrich. „Als wir die Stimulationsfrequenz verdoppelten, wurde der Stomaschluss nicht forciert. Als wir sie halbierten, verzögerte sich die Stomabewegung.“
Immer weiter – die nächsten Forschungsfragen
Wie diese Forschung weitergeht? „Im Augenblick suchen wir den von der Frequenz des Kalzium-Transienten abhängigen und die Geschwindigkeit bestimmenden Schritt der Reiz-Reaktionskette. Zum anderen interessiert uns, wie Schließzellen die Kalzium-Signale dekodieren und in eine zahlenabhängige enzymatisch-vermittelt Aktivierung ihrer Anionenkanäle umsetzen“, so der JMU-Biophysiker. Außerdem sei die Frage zu klären, wie lange sich die Schließzellen an die jeweiligen Kalzium-Transienten erinnern.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Rainer Hedrich, Lehrstuhl für Botanik I (Molekulare Pflanzenphysiologie und Biophysik), Universität Würzburg, T +49 931 31-86100, hedrich@botanik.uni-wuerzburg.de
Originalpublikation:
Guard cells count the number of unitary cytosolic Ca2+ signals to regulate stomatal dynamics. Shouguang Huang, M. Rob G. Roelfsema, Matthew Gilliham, Alistair M. Hetherington, Rainer Hedrich. Current Biology, 21. Oktober 2024, https://doi.org/10.1016/j.cub.2024.07.086