Weitere Wandbemalungen des Tempels von Esna in Ägypten freigelegt
Restaurierungsprojekt des ägyptischen Ministeriums für Tourismus und Altertümer und der Universität Tübingen bringt detailreiche Darstellungen von König und Gottheiten in Opferszenen zutage
Der vor mehr als 200 Jahren wiederentdeckte ptolemäisch-römische Tempel von Esna, 60 Kilometer südlich von Luxor in Ägypten gelegen, soll in einem ägyptisch-deutschen Kooperationsprojekt vollständig restauriert werden. Von dem Tempel ist nur die Vorhalle erhalten, der sogenannte Pronaos, dieser aber vollständig. Auf ägyptischer Seite stehen die seit 2018 laufenden Restaurierungsarbeiten unter der Leitung von Hisham El-Leithy vom Dokumentationszentrum des Ministeriums für Tourismus und Altertümer (MoTA), auf deutscher Seite ist der Ägyptologe Professor Christian Leitz vom Institut für die Kulturen des Alten Orients der Universität Tübingen beteiligt.
Die Bevölkerung nutzte die Tempelvorhalle in den vergangenen 1800 Jahren als Feuerstelle. Daher waren die ursprünglich sehr farbenfrohen Wand- und Säulendekorationen dunkel und schwarz geworden. In den letzten sechs Jahren hatte ein Team von zeitweise bis zu 30 ägyptischen Restauratoren unter der Leitung von Ahmed Emam bereits die früheren Farben der gesamten mit astronomischen Darstellungen bemalten Decke sowie der 18 inneren Säulen freigelegt.
Gelb und rot dominieren die Farbgebung
In diesem Jahr hat eine neue Phase der Restaurierungsarbeiten begonnen. Den Restauratoren ge-lang es, die südliche Innenwand sowie den südlichen Teil der westlichen Rückwand des Pronaos fertigzustellen. Sie brachten die ursprünglichen Farben mit den dominierenden gelben und roten Pigmenten zum Vorschein, die sich deutlich von den Farben in Dendara unterscheiden, wo Weiß und Hellblau vorherrschen. „Die größte Entdeckung in diesem Jahr waren die zahlreichen gemalten Details der Kleidung des Königs und der Gottheiten von Esna, ihre Kronen und ihre Throne“, berich-tet Christian Leitz. „Die waren aufgrund der dicken Rußschicht über den Reliefs zuvor überhaupt nicht zu sehen.“
All diese gemalten Details sind ein integraler Bestandteil der Opferszenen, die die Innenwände des Tempels bedecken. Bislang waren nur die hieroglyphischen Texte und die Reliefs bekannt, aber auch die Dekoration der Throne habe ihre eigene Bedeutung, sagt Leitz. In einer Szene, einem Opfer von Pfeil und Bogen an die Göttin Neith, entdeckte das Konservatorenteam im unteren Teil des Throns vier gemalte Bögen. „Vielleicht waren sie ein Teil von ursprünglich neun Bögen, die ein Hin-weis auf die sogenannten neun Bögen als Bezeichnung für Ober- und Unterägypten und sieben wei-tere ausländische Regionen waren, über die der ägyptische König herrschte“, erklärt der Ägyptologe. Ein weiteres Beispiel sei der Schurz des Königs in einer der Opferszenen. Darauf sind zwei gemalte Pflanzen zu sehen. Der Papyrus (oben) ist die Pflanze von Unterägypten und die Lilie (unten) die Pflanze von Oberägypten, was symbolisiere, dass der König der Herrscher über beide Teile des Landes war.
„Die vielleicht spektakulärste Szene ist die mit der heiligen Barke der lokalen Gottheit Chnum, die den Schrein des Gottes trägt“, sagt Leitz. Die Barke wird von mehreren Priestern getragen, die sie in einer Prozession aus dem Innersten des Tempels herausholten. „So konnten die Einwohner von Esna den verschlossenen Schrein des Gottes zumindest zu besonderen Anlässen im Jahr sehen. Für den Rest des Jahres war er im Tempel verborgen, zu dem nur die Priester Zugang hatten“, erklärt er.
Die Restaurierungsarbeiten werden Anfang November wieder aufgenommen. Das Hauptziel für den kommenden Winter ist die Restaurierung des äußeren Teils der sechs vorderen Säulen des Tempels, eine Arbeit, die im Sommer wegen der großen Hitze nicht durchgeführt werden kann. Die Arbeiten in Esna wurden gefördert von der Ancient Egypt Foundation, dem American Research Center in Egypt und der Gerda-Henkel-Stiftung.
Der Pronaos
Der Pronaos des Tempels von Esna hat eine Länge von 37 Metern, eine Breite von 20 Metern und misst 15 Meter in der Höhe. Der Sandsteinbau wurde spätestens unter dem römischen Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.) vor das eigentliche Tempelgebäude gesetzt und dürfte dieses in den Schatten gestellt haben. Die Lage mitten im Stadtzentrum hat wohl dazu beigetragen, dass die Vorhalle erhalten blieb und nicht wie andere Gebäude während der Industrialisierung Ägyptens als Steinbruch zur Gewinnung von Baumaterial genutzt wurde. Schon zu Napoleons Zeiten erregte der Pronaos in Fachkreisen große Aufmerksamkeit, da man ihn als Idealbeispiel altägyptischer Tempelarchitektur betrachtete.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Universität Tübingen
Institut für die Kulturen des Alten Orients – Abteilung Ägyptologie
Prof. Dr. Christian Leitz
Telefon +49 7071 29-78529
christian.leitz[at]uni-tuebingen.de
Dr. Daniel von Recklinghausen
daniel.von-recklinghausen[at]uni-tuebingen.de