Schutzsuchende aus der Ukraine: Potenziale für den deutschen Arbeitsmarkt besser nutzen
In Deutschland leben derzeit rund 1,1 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer, die vor dem russischen Angriffskrieg auf ihr Heimatland geflohen sind. Ihre Teilhabe am deutschen Arbeitsmarkt ist sowohl für die individuelle Lebensperspektive der Betroffenen als auch für Deutschland angesichts des bestehenden Fachkräftemangels ein zentrales Thema. Neue Daten des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) zeigen einen weiteren Anstieg der Erwerbstätigenquote unter den geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern. Diese hat sich von 16 Prozent im Sommer 2022 auf 30 Prozent im Frühjahr 2024 fast verdoppelt.
Weiterhin hoher Bedarf an Qualifizierung für Schutzsuchende und Betreuungsangeboten für ihre Kinder
Trotz der gestiegenen Erwerbstätigkeit bestehen weiterhin große Herausforderungen: 30 Prozent der befragten Schutzsuchenden gaben an, aktiv Arbeit zu suchen. Insbesondere die Betreuung jüngerer Kinder und ein noch bestehender Qualifizierungsbedarf erschweren jedoch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Dies betrifft vor allem Frauen: So liegt die Erwerbstätigenquote von Müttern mit kleinen Kindern gegenwärtig bei 22 Prozent, bei Müttern schulpflichtiger Kinder sind es 32 Prozent. „Für Männer zeigen sich hingegen keine signifikanten Zusammenhänge zwischen Erwerbstätigkeit und ihrer familiären Situation“, erklärt Prof. Dr. C. Katharina Spieß, Direktorin des BiB und Mitautorin der Studie. Die Erwerbstätigenquote von Vätern mit minderjährigen Kindern beträgt zum Zeitpunkt der aktuellen Befragung rund 41 Prozent.
Unzureichende Deutschkenntnisse nach wie vor Hauptgrund für Nichterwerbstätigkeit
Die meisten ukrainischen Schutzsuchenden, die derzeit nicht aktiv nach einer Arbeitsstelle suchen, geben als Grund dafür an, gegenwärtig einen Sprachkurs zu besuchen oder noch keine ausreichenden Deutschkenntnisse zu besitzen (92 Prozent). Weitere Gründe für die Zurückhaltung bei der Arbeitssuche sind die Betreuung der eigenen Kinder oder die Pflege von Angehörigen (37 %). „Die Ergebnisse verdeutlichen den großen Weiterbildungsbedarf, insbesondere im Bereich der Sprachkenntnisse“, resümiert Spieß. Eine gezielte Förderung sei weiterhin nötig, um eine noch stärkere Teilhabe am Arbeitsmarkt zu erreichen. Nach Abschluss der aktuell noch besuchten Sprachkurse und den dadurch verbesserten Deutschkenntnissen stehen dem Arbeitsmarkt somit perspektivisch weitere Personen zur Verfügung.
Schutzsuchende bringen Potenziale für den deutschen Arbeitsmarkt mit
Wie die Studie hervorhebt, verfügen etwa 50 Prozent der ukrainischen Schutzsuchenden über Berufserfahrungen in sogenannten „Engpassberufen“. Dazu gehören vor allem Pflege- und Gesundheitsberufe sowie das Handwerk. „Diese Tätigkeiten sind in Deutschland bereits heute durch einen Mangel an Fachkräften gekennzeichnet“, erklärt der Leiter der Forschungsgruppe Migration Dr. Andreas Ette vom BiB, der die Studie federführend betreute. Dennoch werden diese Potenziale der Schutzsuchenden noch nicht ausreichend genutzt, da bisher nur ein geringerer Teil in diesen Berufen tätig ist: „Hohe Sprachanforderungen oder komplizierte Anerkennungsverfahren für ausländische Berufsabschlüsse erschweren den Einstieg in den Job“, stellt Ette fest. Während die Vermittlung in Engpassberufe im Bereich der Informationstechnik bereits besser gelingt, profitieren die Gesundheitsberufe trotz des bestehenden Fachkräftemangels noch deutlich seltener von den vorhandenen Qualifikationen der Ukrainerinnen und Ukrainer.
Integration verläuft schneller als bei anderen Gruppen
Aus Sicht der Forschenden gelingt die Integration von Ukrainerinnen und Ukrainern in den deutschen Arbeitsmarkt besser als bei anderen geflüchteten Gruppen. Dies liegt vor allem an dem überdurchschnittlich hohen Bildungs- und Qualifikationsniveau, dem erleichterten Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie den schnellen Fortschritten beim Erlernen der deutschen Sprache auch dank der großen Zahl verfügbarer Integrations- und Sprachkurse. Ein großer Anteil von Müttern mit minderjährigen Kindern, die geringeren Erwerbschancen von Schutzsuchenden im höheren Alter sowie bestehende gesundheitliche Einschränkungen erschweren hingegen die Arbeitsaufnahme. Auch die sich aktuell verschlechternde Wirtschaftslage, langwierige Anerkennungsverfahren für ausländische Berufsabschlüsse und teilweise bestehende Wohnsitzauflagen wirken sich negativ auf die Beschäftigungschancen aus.
Die Daten basieren auf einer neuen Befragung der BiB/FReDA-Studie, die seit 2022 die gleichen ukrainischen Geflüchteten in regelmäßigen Abständen zu ihrer Lebenssituation in Deutschland befragt.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. C. Katharina Spieß Direktorin@bib.bund.de
Dr. Andreas Ette Andreas.Ette@bib.bund.de