Wie evolutionäre Kompromisse die Spermienlänge bei Tetrapoden beeinflussen
Neuer Ansatz: Unter Anwendung des Pareto-Prinzips analysierte ein internationales Forscherteam mit Dr. Silvia Cattelan vom Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut die komplexen Beziehungen zwischen Spermienlänge, Körpermasse, Spermienkonkurrenz und Gelegegröße.
Jena. Ein internationales Forscherteam hat eine innovative Methode entwickelt, um die Evolution der Spermienlänge bei Tetrapoden zu untersuchen. Mithilfe des Pareto-Prinzips analysierten Wissenschaftler aus Deutschland und Italien die komplexen Beziehungen zwischen Spermienlänge, Körpermasse, Spermienkonkurrenz und Gelegegröße, um die evolutionären Kompromisse zwischen diesen Merkmalen zu erfassen. Die Ergebnisse der Studie mit dem Titel „Tetrapod sperm length evolution in relation to body mass is shaped by multiple trade-offs“ wurden in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht. Die korrespondierende Autorin, Dr. Silvia Cattelan, ist Evolutionsbiologin und arbeitet als Postdoc in der Forschungsgruppe Valenzano am Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut in Jena.
„Die Evolution von Fortpflanzungsmerkmalen ist oft schwer zu untersuchen, da sie von so vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst wird“, erklärt Dr. Cattelan. „Das Konzept der Pareto-Optimalität und die statistische Methode, die wir in dieser Studie angewendet haben, halfen uns, diese Komplexität zu entwirren. Wir konnten zeigen, dass die Spermienlänge bei verschiedenen Arten auf nicht-lineare Weise mit der Körpermasse verbunden ist. Darüber hinaus haben wir die Schlüsselfaktoren identifiziert, die die Evolution der Spermienlänge bei Tetrapoden beeinflusst haben. Mit diesen Erkenntnissen hoffen wir, zukünftige Forschungen zu inspirieren, beispielsweise zu untersuchen, ob die Evolution großer Genome bei Arten mit hoher Spermienkonkurrenz eingeschränkt sein könnte.“
Die Spermienlänge variiert stark zwischen den Arten und reicht von weniger als 10 μm (bei einigen Wespen) bis fast 105 μm (bei einigen Fruchtfliegen). Trotz intensiver Forschung zur Erklärung der großen Unterschiede in der Spermienlänge bleiben viele Fragen offen. Um diese Lücke zu schließen, wandten die Autoren einen neuartigen statistischen Rahmen basierend auf der Pareto-Optimalität an. Diese Theorie besagt, dass in Gegenwart von evolutionären Kompromissen Phänotypen dazu neigen, sich entlang von niederdimensionalen Polygonen, wie Segmenten oder Dreiecken, den sogenannten Pareto-Fronten, zu verteilen. Die evolutionären Prozesse, die die Verteilung der Phänotypen auf den Pareto-Fronten bestimmen, können durch die Analyse der Merkmale abgeleitet werden, die an den Ecken der Polygone maximal oder minimal ausgeprägt sind.
Zunächst untersuchten die Autoren die Beziehung zwischen Spermienlänge und Körpermasse bei 1.388 Arten von Tetrapoden (d.h. Säugetiere, Vögel, Reptilien und Frösche). Die Spermienlänge und die Körpergröße der Tetrapoden bilden eine dreieckige Form. Das weist darauf hin, dass evolutionäre Kompromisse die Entwicklung der Spermienlänge in Relation zur Körpermasse beeinflusst haben. Zweitens fanden die Wissenschaftler durch Analyse der potenziellen Faktoren, die die Evolution der Spermienlänge beeinflussen, heraus, dass lange Spermien bei Arten mit hoher Spermienkonkurrenz und großer Gelegegröße, aber kleinem Genom, entstanden sind.
Darüber hinaus bleibt die dreieckige Pareto-Front auch bei endothermen Tieren, inneren Befruchtern, Säugetieren und Vögeln bestehen, was auf ähnliche evolutionäre Strategien innerhalb der Tetrapoden hinweist. Die Pareto-Front ist auch robust gegenüber phylogenetischen Abhängigkeiten bis zu 65 Millionen Jahren, was dem Zeitraum der Artaufspaltung nach dem Aussterben der Dinosaurier entspricht.
Insgesamt liefern die Ergebnisse der Studie neue Einblicke in die evolutionären Mechanismen, die die Variationen der Spermienlänge zwischen den Arten antreiben, und unterstreichen die Stärke des Pareto-Rahmens bei der Entdeckung komplexer, nicht-linearer Zusammenhänge zwischen Merkmalen. Weitere wichtige Erkenntnis: Die Methode ist auf verschiedene Arten von Daten anwendbar ist, einschließlich Genexpressionsdaten, Proteinen, neuronalen Systemen und morphologischen Merkmalen.
Hintergrundinformation
Das Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena widmet sich seit 2004 der biomedizinischen Alternsforschung. Rund 350 Mitarbeiter aus ca. 40 Nationen forschen zu molekularen Mechanismen von Alternsprozessen und alternsbedingten Krankheiten. Näheres unter www.leibniz-fli.de.
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 97 eigenständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Die Leibniz-Institute unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.500 Personen, darunter 11.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Finanzvolumen liegt bei 2 Milliarden Euro. (www.leibniz-gemeinschaft.de).
Originalpublikation:
Tetrapod sperm length evolution in relation to body mass is shaped by multiple trade-offs. Loren Koçillari, Silvia Cattelan, Maria Berica Rasotto, Flavio Seno, Amos Maritan & Andrea Pilastro, Nature Communications volume 15, Article number: 6160 (2024)
DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-024-50391-0