Neurologie meets Immunologie: Entzündung als Schlüsselmechanismus vieler neurologischer Erkrankungen
Die Immunologie spielt auch bei neurologischen Krankheiten jenseits der typischen neuroimmunologischen Indikationen als „Sparringspartner“ der Neurologie eine große Rolle. Denn Inflammationsprozesse sind nicht nur bei den neurologischen Indikationen beteiligt, die als entzündliche Erkrankungen klassifiziert werden, sondern scheinen zu den globalen pathophysiologischen Mechanismen vieler Erkrankungen zu gehören, z. B. Demenzerkrankungen, Hirntumoren oder Schlaganfällen. Daraus ergeben sich therapeutische Überlegungen, auch bei primär nicht entzündlichen neurologischen Krankheiten mit Entzündungsmodulatoren einzugreifen, um neurodegenerative Prozesse zu verzögern oder gänzlich aufzuhalten.
„Den diesjährigen Kongress der DGN haben wir unter das Motto ‚Neurologie und Immunologie – gemeinsame Perspektiven!‘ gestellt“, erklärt Kongresspräsident Prof. Dr. Sven Meuth, Düsseldorf. „Das bedeutet aber keineswegs, dass wir uns nur auf neuroimmunologische Erkrankungen wie z. B. die Multiple Sklerose fokussieren. Im Gegenteil, es geht um die Neurologie in ihrer ganzen thematischen Bandbreite und die Möglichkeit, durch die Einbeziehung der Immunologie neue Perspektiven für das gesamte Fach zu schaffen.“
Hier liegt nach Ansicht des Kongresspräsidenten ein großes, noch weitgehend ungehobenes Potenzial für unser Fach. „Wir ‚labeln‘ neurologische Erkrankungen und grenzen sie klar voneinander ab. Da ist ein Schlaganfall ein Schlaganfall und eine MS eine MS, das eine hat vermeintlich nichts mit dem anderen zu tun. Betrachtet man aber die dahinterliegenden pathophysiologischen Mechanismen, erkennt man frappierende Ähnlichkeiten.“ So ist die MS eine inflammatorische Erkrankung, bei der Entzündungsreaktionen zum Nervenzelluntergang führen. Beim Schlaganfall hat man ein thrombosiertes Gefäß, die Nervenzellen werden nicht ausreichend versorgt und gehen unter, was sekundär dann ebenfalls zu einer Entzündungsreaktion und in der Folge zum Nervenzelluntergang führt.
Eine aktuelle chinesische Studie [1] zeigte, dass S100A8 (MRP8) und S100A9 (MRP14) als Vermittler der Entzündungsreaktion eine Rolle spielen und bei verschiedenen Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) wie Alzheimer, Parkinson, Multipler Sklerose und Schlaganfall deutlich erhöht sind. Beide Proteine werden von Neutrophilen und Monozyten freigesetzt und spielen eine Schlüsselrolle bei der Regulierung der Entzündungsreaktion. Sie könnten somit einen neuen Biomarker oder sogar ein neues therapeutisches Target darstellen. Auch andere mit der Inflammation in Verbindung stehende Proteinkomplexe werden derzeit erforscht und es ergeben sich direkte therapeutische Überlegungen, mit Entzündungsmodulatoren bei primär nicht entzündlichen Krankheiten einzugreifen, um neurodegenerative Prozesse zu verzögern oder gänzlich aufzuhalten [2, 3]. Verschiedene sich in der Prüfung befindliche Pharmaka versuchen daher, membranständige oder zytosolische Immunrezeptoren wie Trem2, TAM-R oder das NLRP3-Inflammasom zu modulieren.
Entsprechend gibt es z. B. erste Studien zum Einsatz von MS-Medikamenten nach einem Schlaganfall, um die sekundären Entzündungsreaktionen zu blockieren [4, 5]. Diese Ansätze haben zwar noch nicht den gewünschten Erfolg gebracht, zeigen aber, in welche Richtung das konzeptionelle Denken gerichtet ist. Zumal ein „Drug Repurposing“ den großen Vorteil hätte, dass bereits Sicherheitsdaten über einige Jahre vorliegen. „Wenn man den Untergang von Nervenzellen infolge eines Schlaganfalls stoppen kann, können wir möglicherweise solche neurodegenerativen Prozesse auch bei anderen Erkrankungen beeinflussen“, so Meuth.
Auch in der Neuroonkologie geht es immer mehr um immunologische Fragen. Man versucht, mit Impfstrategien gegen Tumorbestandteile via Entzündungsreaktion den Tumor anzugreifen und über die neuen onkologischen „Blockbuster“ CAR-T-Zell- oder Checkpoint-Inhibitoren die Immunreaktion zu verstärken. „Entzündliche Komponenten tragen bei fast allen Krankheiten relevant zum Krankheitsgeschehen bei und wir können interdisziplinär, aber auch innerhalb unseres großen Fachs voneinander lernen“, so Meuth.
„Neurologie meets Immunologie“ auf dem DGN-Kongress 2024:
- Presidential Symposium: Der Immunologe Prof. Dr. rer. nat. Tobias Bopp stellt aus Sicht der Grundlagenforschung immunologische Wege und Pathomechanismen als Komponenten verschiedener neurologischer Erkrankungen dar und der Rheumatologe Prof. Dr. Georg Schett lenkt den Blick über den Tellerrand hinaus zu rheumatologischen Erkrankungen. Dann wird es neurologisch: Prof. Dr. Stefanie Kürten, Neuroanatomin, fokussiert auf die Bedeutung der Immunologie bei der Therapie entzündlicher ZNS-Erkrankungen. Ihre Arbeitsgruppe erforscht den Beitrag von B-Zellen und Autoantikörpern zur Immunopathologie der MS und arbeitet daran, neue therapeutische Optionen und Biomarker für Menschen mit MS zu entwickeln. Last, but not least wird Prof. Dr. Michael Platten neue Ansätze aus der Tumorimmunologie präsentieren. Gerade bei Hirntumoren ist die Entwicklung immuntherapeutischer Ansätze schon recht weit fortgeschritten. Donnerstag, 7. November 2024, 14:00–15:30 Uhr
- Symposium: Innovative Ansätze in der Neuroimmunologie: CAR-T-Zell-Therapie bei neuroimmunologischen Erkrankungen; Freitag, 1. November 2024, 08:00–18:00 Uhr
- Arena – Medikamente; 6. November 2024, 16:30–18:00 Uhr
- Arena – Studien kritisch betrachtet; 7. November 2024, 14:00–15:30 Uhr
- Reemtsma-Symposium, 7. November 2024, 16:30–18:00 Uhr
- Remains of the Day, 7. November 2024, 18:30–19:30 Uhr
- Joint-Symposium KKNMS und DMSG, 8. November 2024, 08:30–10:00 Uhr
- Blending Borders in Neuroimmunology: A German-British Symposium
8. November 2024, 16:30–18:00 Uhr
[1] Tian Q, Li Z, Yan Z, Jiang S, Zhao X, Wang L, Li M. Inflammatory role of S100A8/A9 in the central nervous system non-neoplastic diseases. Brain Res Bull. 2024 Oct 11;218:111100. doi: 10.1016/j.brainresbull.2024.111100. Epub ahead of print. PMID: 39396712.
[2] Peng J, Wang H, Gong Z, Li X, He L, Shen Q, Pan J, Peng Y. Idebenone attenuates cerebral inflammatory injury in ischemia and reperfusion via dampening NLRP3 inflammasome activity. Mol Immunol. 2020 Jul;123:74-87. doi: 10.1016/j.molimm.2020.04.013. Epub 2020 May 18. PMID: 32438202.
[3] Yin P, Su Z, Shu X, Dong Z, Tian Y. Role of TREM2 in immune and neurological diseases: Structure, function, and implications. Int Immunopharmacol. 2024 Oct 7;143(Pt 1):113286. doi: 10.1016/j.intimp.2024.113286. Epub ahead of print. PMID: 39378652.
[4] Elkins J, Veltkamp R, Montaner J, Johnston SC, Singhal AB, Becker K, Lansberg MG, Tang W, Chang I, Muralidharan K, Gheuens S, Mehta L, Elkind MSV. Safety and efficacy of natalizumab in patients with acute ischaemic stroke (ACTION): a randomised, placebo-controlled, double-blind phase 2 trial. Lancet Neurol. 2017 Mar;16(3):217-226. doi: 10.1016/S1474-4422(16)30357-X. Epub 2017 Feb 15. PMID: 28229893.
[5] Elkind MSV, Veltkamp R, Montaner J, Johnston SC, Singhal AB, Becker K, Lansberg MG, Tang W, Kasliwal R, Elkins J. Natalizumab in acute ischemic stroke (ACTION II): A randomized, placebo-controlled trial. Neurology. 2020 Aug 25;95(8):e1091-e1104. doi: 10.1212/WNL.0000000000010038. Epub 2020 Jun 26. PMID: 32591475; PMCID: PMC7668547.
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