Stellungnahme des Präsidiums der ARL zur künftigen Ausrichtung des EU-Strukturfonds
Wir brauchen eine Stärkung der europäischen Politiken zur integrierten Förderung ländlicher Räume und eine regional differenzierte Kohäsionspolitik!
Die Europäische Union verfügt mit dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) als Teil der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und den kohäsionspolitischen Instrumenten, d. h. dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), dem Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus), dem Kohäsionsfonds, dem Europäischer Meeres-, Fischerei- und Aquakulturfonds (EMFAF) und dem Fonds über einen gerechten Übergang (JTF), über vielfältige und bewährte Fördermöglichkeiten zur passgenauen und bedarfsgerechten Unterstützung der regionalen Entwicklung.
Diese Unterstützungsmöglichkeiten greifen querschnittsorientiert die Bedarfe von Regionen im Sinne einer integrierten Förderung auf, wobei die gezielte Stärkung ländlicher Räume ein besonderes Anliegen ist. In den vergangenen Jahren wurden mit dieser Unterstützung europaweit beachtliche Erfolge erzielt, weil sich die Regionen entsprechend ihren Eigenarten und damit auch resilienter weiter entwickeln können.
Wir, das Präsidium der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft, nehmen mit Sorge Bestrebungen zur Kenntnis, diese bewährten Instrumente zu schwächen bzw. zu Gunsten stärker sektoral ausgerichteter Ansätze einzuschränken. In den vergangenen Monaten haben sich die Diskussionen zur künftigen Ausgestaltung der EU-Politiken und des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) ab 2028 weiter intensiviert. Für die kommende Strukturfondsperiode werden offenbar sehr weitgehende Veränderungen der aus diesen Quellen gespeisten Förderprogramme in Struktur, Governance und inhaltlicher Ausrichtung diskutiert. So wird eine Konzentration der Mittel in einem Gesamtfonds angestrebt, die an die Haushalte der Nationalstaaten fließen sollen und dadurch für Regionen und Kommunen deren Mitbestimmung erheblich einschränkt und den Zugang zu den Mitteln erschwert. In einem Positionspapier von Mitgliedern des Europäischen Ausschusses der Regionen (AdR) kritisieren diese, dass
• für den Zeitraum ab 2028 sowohl für die gemeinsame Agrarpolitik als auch für die Kohäsionspolitik Weichenstellungen vorbereitet würden, die insbesondere mit Blick auf ländliche Räume kritisch zu bewerten seien, zumal sie weitgehend separat geführt würden;
• in der Kohäsionspolitik eine erheblich deutlichere „Konzentration auf weniger entwickelte Regionen, eine Nationalisierung der Kohäsionspolitik in Anlehnung an den Deutschen Aufbau- und Resilienzplan und eine Konzentration auf wenige zentrale Themen (Wettbewerbsfähigkeit, Industriepolitik, Innovation, Forschung, Technologien) diskutiert“ werde, womit künftig „weder eine Anschlussfähigkeit an den ELER noch eine auf Daseinsvorsorge und sozioökomische Stärkung ländlicher Räume ausgelegte Förderung durch die Strukturfonds in Deutschland möglich“ sei;
• es in der GAP „Signale von Vertretern der GD AGRI für eine noch stärkere Konzentration der ELER-Förderung auf die Zukunftsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe“ gebe, wodurch „eine aktive und gezielte Politik zur Stärkung der ländlichen Räume“ aus dem Fokus zu geraten scheine; und
• in dem Strategischen Dialog der Europäischen Kommission zur Zukunft des Agrar- und Lebensmittelsektors in der EU und thematischen Workshops der Kommission ein Schwerpunkt bei der Resilienz des Agrarsektors, Ernährungssicherheit und der Vereinbarkeit von Landwirtschaft mit der Erhaltung der Natur gesetzt werde, während „vergleichbare Aktivitäten zur Vorbereitung der Verankerung der Entwicklung ländlicher Räume im zukünftigen Politikdesign“ in beiden Politikbereichen fehlten.
Um in die beginnenden Debatten rechtzeitig die nötigen Argumente für die Ausgestaltung der EU-Politiken unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Raumtypen in Deutschland einzubringen, hat die deutsche Europaministerkonferenz schon früh eine Positionierung vorgenommen. Ebenso haben der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund eine Reihe von Forderungen zur Zukunft der Kohäsionspolitik und der GAP (2. Säule) beschlossen.
Das Präsidium der ARL hält es für erforderlich, sich mit Blick auf die künftigen Entwicklungsmöglichkeiten der unterschiedlich strukturierten europäischen Regionen aktiv in die Diskussion einzubringen. Eine Ablösung regional und integrativ orientierter Politikansätze der EU zu Gunsten sektoraler Förderpolitiken lehnt das Präsidium ab. Insbesondere sehen wir kritisch, dass
• in der Gemeinsamen Agrarpolitik eine Schwächung der in der zweiten Säule verankerten Strukturfördermaßnahmen für ländliche Räume betrieben wird,
• eine ausschließliche Konzentration der EU-Fördermittel auf die wirtschaftlich schwächsten Regionen der Union diskutiert wird sowie
• stärker branchenorientierte Förderschwerpunkte ohne regionale Differenzierung vorgeschlagen werden.
Die diskutierte Nationalisierung der Kohäsionspolitik würde eine auf regionale Bedarfe und Potenziale abzielende Kohäsionspolitik sowie den direkten Kontakt zu den regionalen und lokalen Institutionen und zur Bevölkerung, die z. B. bei der ELER-Förderung (LEADER-Programme) direkt einbezogen wird, erheblich schwächen. Für die Länder wird die Konzeption einer gut abgestimmten und kohärenten Förderlandschaft aus EU-finanzierten Maßnahmen und Landesmaßnahmen erschwert. Auch wächst die Gefahr von Doppelstrukturen, sollten mit der Stärkung der nationalen Ebene zunehmend Bundesprogramme aufgelegt werden.
Darüber hinaus wird der direkte Kontakt der Bevölkerung vor Ort mit Maßnahmen der EU-Förderung deutlich geschwächt. Die Erfahrungen aus LEADER in der ELER-Förderung und anderen territorialen Instrumenten der Strukturfonds zeigen, dass die Einbeziehung der Bevölkerung und der Zivilgesellschaft in die Selbstgestaltungsprozesse vor Ort einen wesentlichen europäischen Mehrwert darstellen.
Damit sehen wir die zusätzliche Gefahr, dass die Akzeptanz der EU vor Ort eine erhebliche Schwächung erfährt – mit negativen Effekten für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Vielmehr sollte die zweifellos notwendige Reform der Regionalpolitik genutzt werden, die Resilienz ländlicher Räume im Transformationsprozess durch eine bedarfsgerechte und integrierte Regionalpolitik zu stärken.
(Vor-)Entscheidungen auf Ebene des Bundes und der EU zur Zukunft der GAP und der Strukturfonds stehen sehr kurzfristig an. Insbesondere an die Bundesebene appellieren wir, den Belangen der Regionen und dabei der integrierten ländlichen Entwicklung die notwendige Unterstützung zu gewähren und die eingeschlagene Richtung zu revidieren. Die ARL wird sich in den kommenden Monaten nach Einsetzung eines Ad-hoc-Arbeitskreises mit vertiefenden Stellungnahmen in die Diskussion einbringen, um den Mehrwert einer querschnittsorientierten Regionalentwicklung zu betonen.
Prof. Dr. Axel Priebs (Präsident)
Prof. Dr. Antje Bruns (Generalsekretärin)
Prof. Dr. Susan Grotefels (Vizepräsidentin)
Dipl.-Ing. Petra Schmidt-Kaden (Vizepräsidentin)
Prof. Dr. Annette Spellerberg (Vizepräsidentin)
Pressekontakt
Dr. Tanja Ernst /Carolin Pleines
Stabsstelle Wissenschaftskommunikation der ARL
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Die ARL – Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft ist ein Netzwerk exzellenter Fachleute aus Wissenschaft und Praxis. Als soziale Forschungsinfrastruktur bringen wir ausgewiesene Expertisen zu raumrelevanten Themen zusammen. Wir wollen Räume nachhaltig entwickeln. Inter- und Transdisziplinarität prägen unser Denken und Handeln.
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https://www.arl-net.de/de/blog/stellungnahme-des-pr%C3%A4sidiums-der-arl-zur-integrierten-f%C3%B6rderung-l%C3%A4ndlicher-r%C3%A4ume-und-einer