Bruch der Ampel-Koalition: „Die Träume von schnellen Neuwahlen sind illusorisch.“
Im Interview spricht der Freiburger Politikwissenschaftler Uwe Wagschal über die Bedeutung des Bruchs der Ampel-Koalition, die geplanten Neuwahlen und wie sich die politische Situation in Deutschland bis dahin und danach verändern wird.
- Was bedeutet der Bruch der Koalition für Deutschland?
Die Bundesrepublik hatte seit 1949 keine wirkliche Minderheitsregierung auf Bundesebene. In Fällen, in denen keine klare Mehrheit bestand oder Regierungsparteien ihre Mehrheit verloren, wurden entweder neue Koalitionen gebildet oder es kam zu Neuwahlen. Generell sind Übergangs- und Minderheitsregierungen von politischer Schwäche, Unsicherheit und geringem Handlungsspielraum geprägt. Und daher auch nicht wünschenswert. Drängende Projekte wie der anstehende Nachtragshaushalt für 2024 und der ordentliche Haushalt für 2025 sollten eigentlich zügig, wie geplant noch im November, verabschiedet werden. Generell wird die Gesetzgebung fast unmöglich. Für das Verwaltungshandeln gibt es jedoch kaum Einschränkungen, es sei denn es fehlt ein Haushalt für das kommende Jahr. Schlimm könnte es werden, wenn sich die ökonomische Krise weiter verschärft oder neue dramatische Krisen auftauchen. Dann wäre gesetzgeberisches Handeln schnell notwendig.
- Wie ist die Auflösung des Bundestags über den Weg der Vertrauensfrage zu beurteilen?
In der Bundesrepublik ist es bereits das vierte Mal, dass über eine negative Vertrauensabstimmung vorgezogene Neuwahlen herbeigeführt werden. Insgesamt wurde bisher sogar fünfmal die Vertrauensfrage gestellt. Dreimal wurde dem Bundeskanzler das Vertrauen verweigert und es kam zu Neuwahlen. Willy Brandt hatte seit dem Frühjahr 1972 nach mehreren Parteiwechslern der FDP hin zur CDU, keine Bundestagsmehrheit mehr. Er stellte im September die Vertrauensfrage und es kam im November dann zur Neuwahl. Nach dem Austritt der FDP 1982 aus der SPD-geführten Regierung von Helmut Schmidt, stellte der neue Bundeskanzler Helmut Kohl im Dezember 1982 die Vertrauensfrage, worauf dann am 6 März 1983 neu gewählt wurde. Der dritte Fall eines abgelehnten Vertrauensvotums fand 2005 statt, als Gerhard Schröder, nach einer verlorenen Landtagswahl in NRW, im Juli 2005 die Vertrauensfrage stellte. Dies wäre nicht nötig gewesen, da seine Regierungsmehrheit davon nicht betroffen war. Dennoch kam es im September 2005 zur Neuwahl, die er gegen Angela Merkel verlor. Alle drei Fälle benötigten vom Beginn der Regierungskrise bis zur Wahl eine ähnliche oder gar längere Zeitspanne, wie das jetzt von Olaf Scholz vorgeschlagene Szenario. Daher kann auch kaum von einer Verschleppung des Wahltermins die Rede sein.
- Inwiefern wird die Übergangsregierung bis zu Neuwahlen handlungsfähig sein?
Die Restregierung aus SPD und Grünen versteht sich weniger als Übergangsregierung, sondern als Minderheitsregierung. Dies ist ein Unterschied, da letztere noch politisch gestalten und eigene Projekte durchsetzen möchte. Das wird angesichts der fehlenden Gesetzgebungsmehrheit jedoch schwierig werden. Die Lebenszeit der Regierung wird nur von kurzer Dauer sein. Im internationalen Vergleich gibt es allerdings zahlreiche Minderheitsregierungen, die auch länger im Amt sind, wie etwa in Schweden, Kanada, Dänemark oder aktuell auch in Spanien und Frankreich. In Frankreich hat die Regierung Barnier aktuell gerade mal knapp 37 Prozent der Abgeordneten hinter sich. Auf Länderebene sind solche Minderheitsregierungen öfters anzutreffen, in Thüringen hat die Minderheitsregierung von Bodo Ramelow über viereinhalb Jahre gehalten. Generell sind im deutschen System Minderheitsregierungen wesensfremd, weil sie eine Unterstützung anderer Parteien oder zumindest eine Duldung brauchen. Die ist jedoch nicht in Sicht und wird es auch nicht geben.
- Was wären aus Ihrer Sicht jetzt wichtige Schritte vonseiten der Regierung und der Opposition?
Zunächst sollten der Nachtragshaushalt 2024 und der Bundeshaushalt 2025 verabschiedet werden, damit die Regierung im kommenden Jahr handlungsfähig bleibt. Dann sollte sich zügig im Konsens auf einen Wahltermin geeinigt werden, der sowohl die Fristen des Grundgesetzes, des Wahlgesetzes sowie die Rechte kleiner politischer Parteien berücksichtigt. Zudem sollte die Regierung nicht den Versuch unternehmen, ihre Beamt*innen und Mandatsträger*innen noch großzügig mit Ämtern zu versorgen.
- Wie blicken Sie auf die vorgezogenen Neuwahlen?
Die Träume von einer schnellen Neuwahl sind aus meiner Sicht illusorisch. Stellt der Bundeskanzler die Vertrauensfrage dann wird zwei Tage später drüber abgestimmt. Dann hat der Bundespräsident wiederum 21 Tage Zeit den Bundestag aufzulösen und spätestens nach 60 Tagen kann es – nach der Verfassung – Neuwahlen geben. Insgesamt wären dies maximal 83 Tage. Dies lässt aber außer Acht, dass es auch Regelungen im Wahlgesetz gibt, die für eine Bundestagswahl relevant sind. So müssen Parteien spätestens 97 Tage vor der Wahl dem Bundeswahlleiter ihre Beteiligung an der Wahl schriftlich mitteilen. Dies bedeutet, dass der Wahltermin deutlich mehr als 97 Tage vorher bekannt sein muss, damit die Parteien ihr demokratisches Recht der Wahlteilnahme erörtern und mitteilen können.
Hinzu kommt der Prozess der Kandidat*innen- und Listenaufstellung. Die großen Parteien sind hier schon weit fortgeschritten, weil im Herbst 2025 gewählt werden sollte. Die kleinen Parteien jedoch nicht. Schließlich muss dem Bundeswahlleiter auch noch Zeit gegeben werden, die Parteien für die Wahl zu zulassen. Spätestens 79 Tage vor der Wahl muss er mitteilen, welche Parteien antreten dürfen. Beim letzten Mal waren 47 Parteien am Start und nur diejenigen Parteien, die mehr als 5 Abgeordnete im Bundestag oder einem Landtag haben sind vom dem Prozedere ausgenommen. Die Organisation einer Wahl braucht also Zeit und unterliegt Fristen, was den Befürwortern eines schnellen Wahltermins eigentlich klar sein sollte. Wer was Anderes will, riskiert damit auch die Anfechtung der Wahl beim Bundesverfassungsgericht. Der Zeitplan ist daher angemessen.
- Wie wird sich die politische Situation im Land bis dahin und danach verändern?
Die Politik wird noch polarisierter werden. Der Ton wird rauer, was sich ja schon abzeichnet. Mit Blick auf die letzten Landtagswahlen, den Europawahlen und die Wahlen in anderen großen Demokratien dürfte folgendes zu erwarten sein: Die politischen Ränder werden stärker werden. Ökonomische Themen, wie Steuern, Migration und Staatsverschuldung, werden wieder deutlich wichtiger werden. Umwelt-Klimaschutz und „Woke“-Themen werden dagegen etwas an Bedeutung verlieren. Die parteipolitische Zersplitterung bleibt hoch und könnte noch zunehmen, was dazu führen könnte, dass viele Parteien an der Fünf-Prozenthürde scheitern.
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