Stuttgarter Professor a. D. Hans Kamp nimmt renommierten Rolf-Schock-Preis für Logik und Philosophie entgegen
Die Royal Swedish Academy of Sciences in Stockholm hat Hans Kamp am 11. November mit dem international hoch angesehenen Rolf-Schock-Preis in der Kategorie Logik und Philosophie ausgezeichnet. Der pensionierte Professor der Universität Stuttgart zählt zu den Pionieren der Formalen Semantik. Seine Diskursrepräsentationstheorie (DRT) gilt als richtungsweisend, wenn es darum geht, das System „menschliche Sprache“ zu erklären.
„Es ist erstaunlich, wie selbstverständlich wir mit Sprache umgehen - und wie wenig wir über die Mechanismen wissen, mit denen Sprache Bedeutung schafft und damit den Unterschied zwischen wahr und falsch definiert. Wir sprechen, wir hören zu, wir interpretieren. Wir folgen dabei logischen Regeln - ohne diese überhaupt zu kennen“, sagt Hans Kamp, pensionierter Professor für Formale Logik und Sprachphilosophie der Universität Stuttgart. Mit seiner Diskursrepräsentationstheorie (DRT) hat Kamp wesentlich dazu beigetragen, das System „menschliche Sprache“ erklärbar zu machen. Dafür wurde er am 11. November 2024 mit dem international renommierten Rolf-Schock-Preis in der Kategorie Logik und Philosophie ausgezeichnet. Überreicht wurde ihm der Preis von der Royal Swedish Academy of Sciences, die auch die Nobelpreise in Chemie und Physik vergibt. Der formale Logiker Kamp teilt sich den Preis mit einer Linguistin, der Professorin Irene Heim vom Massachusetts Institute of Technology.
Vernetzte Disziplinen: Pionier der Formalen Semantik
„Meine Forschung beschäftigt sich mit einem Gegenstand, der jedem vertraut ist, aber der gleichzeitig unendlich viel zu entdecken bietet. Dieses Spannungsfeld hat mich immer fasziniert“, erzählt Kamp. Er gehört zu den Pionieren einer relativ jungen Wissenschaft – der sogenannten Formalen Semantik. Entstanden in den 1970er Jahren verbindet dieses Forschungsgebiet in einem interdisziplinären Ansatz die klassische Linguistik und Semantik mit der formalen Logik und Mathematik. Ziel ist es, die exakte Bedeutung von Sätzen, Satzteilen und Wörtern in ihrem jeweiligen Kontext zu untersuchen und dadurch zu verstehen, wie Denken, Sprache und Wirklichkeit zusammenhängen. Dazu bedienen sich formale Logiker*innen wie Kamp der Mathematik: Sprachstrukturen und Beziehungen zwischen sprachlichen Einheiten und ihren Bedeutungen präzisieren sie mit Hilfe von mathematischen Formeln. Die so gewonnenen Erkenntnisse prägen nicht nur die Linguistik, Sprachphilosophie und die Psychologie, sie fließen zudem überall dort ein, wo präzise Bedeutungszuweisungen von Nöten sind: in die Computerlinguistik, die Rechtssprache oder in technische Spezifikationen.
In Stuttgart entstanden: Die Diskursrepräsentationstheorie
Kernstück von Kamps Forschung ist die Diskursrepräsentationstheorie (DRT). Die DRT erklärt, wie Menschen die Bedeutung von Sätzen in einem fortlaufenden Text oder Gespräch verstehen und interpretieren. Sie legt insbesondere offen, wie wir Informationen über Personen oder Objekte über mehrere Sätze hinweg verfolgen. Ein Beispiel verdeutlicht dies: „Eine Frau betritt ein Restaurant. Sie bestellt einen Kaffee.“ Beim Lesen des ersten Satzes legt das Gehirn eine Art „Spickzettel“ an: Es gibt eine Frau und sie ist für den weiteren Verlauf der Erzählung wichtig. Beim Lesen des zweiten Satzes ist somit klar, dass das Wort „sie“ in diesem Kontext die Frau aus dem ersten Satz meint.
Kamp legte erstmals offen, welche logischen Sprachstrukturen hinter diesen „mentalen Spickzetteln“ stecken, mit denen wir uns Texte erschließen. Dazu entwickelte er ein Verfahren, das die Bedeutung von Wörtern und Satzteilen mittels satzübergreifender Verknüpfungsregeln definiert: Den Konstruktionsalgorithmus der DRT. „Der Konstruktionsalgorithmus übersetzt Texte in formale Diskursstrukturen, die anderen Formeln der Formalen Semantik in vielem ähnlich sind, aber sich in einem wesentlichen Punkt unterscheiden: Die Diskursstrukturen von Textabschnitten werden mit jedem neuen Satz des Texts durch die Anwendung von Regeln erweitert, die den neuen Satz auf die Diskursstruktur des schon verarbeiteten Textteils beziehen. Der Algorithmus interpretiert also jeden Satz vor dem Hintergrund des Verständnisses des vorhergehenden Textes und erweitert dabei gleichzeitig dieses Verständnis.“
Geboren wurde die zentrale Idee zur DRT in Stuttgart: Ende der 1970er Jahre kam Kamp, der damals an der Universität von London tätig war, mehrfach zu Forschungsaufenthalten an die Universität Stuttgart. „Bei einem dieser Aufenthalte im Jahr 1978 diskutierte ich mit Christian Rohrer, damals Professor für Romanische Linguistik an der Universität Stuttgart, ein bestimmtes semantisches Problem, das wir mit keinem der bestehenden Erklärungsmodelle lösen konnten. Der Knackpunkt: Alle Modelle betrachteten Sätze als isolierte Einheit. Unser Problem hatte aber offensichtlich mit der semantischen Verknüpfung von Sätzen zu zusammenhängenden Texten zu tun.“ Kamp fand schnell das fehlende Puzzlestück zur Lösung: Ein Modell zum besseren Verständnis von Verknüpfungsprinzipien. Über mehrere Jahre, in denen er immer wieder zu Forschungsaufenthalten nach Stuttgart zurückkam, arbeitete Kamp seine Lösung weiter aus und übertrug sie auf andere semantische Probleme. Am Ende stand die DRT – ein völlig neues, dynamisches Instrument zur Analyse von Textstrukturen.
Universität Stuttgart: Wissenschaftliche Heimat
1988 trat Kamp an der Universität Stuttgart eine Professur für Formale Logik und Sprachphilosophie an. Bis zu seiner Pensionierung 2008 forschte und lehrte er in Stuttgart und entwickelte dort gemeinsam mit anderen Forschenden die DRT maßgeblich weiter. Auch als Professor im Ruhestand leistet er bis heute aktive Beiträge. „Die Universität Stuttgart ist mir seit Jahrzehnten Ort und Rahmen, in dem ich mit vielen großartigen Kolleg*innen Freude und Spannung des gemeinsamen Forschens teilen darf. Ohne die Universität Stuttgart hätte es keine DRT gegeben und ohne die DRT hätte ich wohl jetzt nicht die Ehre, den Rolf-Schock-Preis entgegenzunehmen.“
Beeindruckendes Forscherleben: Über Hans Kamp
Professor Hans Kamp wurde 1940 in den Niederlanden geboren. Nach einem Studium der Physik und Mathematik promovierte er 1968 an der University of California at Los Angeles (UCLA). Sein Doktorvater war Richard Montague, einer der wichtigsten Vordenker der Formalen Logik und Semantik. Nach mehreren akademischen Stationen in Europa und den USA wurde er 1988 zum Professor der Universität Stuttgart berufen. In Stuttgart forschte und lehrte Kamp zwei Jahrzehnte am Institut für Maschinelle Sprachverarbeitung und leitete die Abteilung Formale Logik und Sprachphilosophie. International ist Kamp auf seinem Fachgebiet hoch anerkannt. Die Universität Tilburg verlieh ihm 1987 die Ehrendoktorwürde, 2014 erhielt er die Ehrendoktorwürde der französischen Universität Lorraine. Kamp wurde zum „Corresponding Fellow“ der British Academy gewählt, der nur besonders herausragende Wissenschaftler*innen der Geistes- und Sozialwissenschaften angehören. Zudem wurde Kamp aufgrund seiner wissenschaftlichen Verdienste zum Mitglied der renommierten Royal Netherlands Academy of Arts and Sciences (KNAW) sowie der Academia Europea ernannt. 2015 wurde er zum Auswärtigen Mitglied der American Academy of Arts and Sciences gewählt – eine Ehre, die bisher nur wenigen Nicht-Amerikaner*innen zuteilwurde.
Hohe internationale Würdigung: Zum Rolf-Schock-Preis
Die Rolf-Schock-Preise werden seit 1993 alle zwei Jahre in den Bereichen Logik und Philosophie, Mathematik, Bildende Kunst und Musik verliehen. Die Preisträger*innen im Bereich Logik und Philosophie werden von der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften vorgeschlagen, die auch die Nobelpreise in Chemie und Physik vergibt. Die diesjährige Preisverleihung fand am 11. November 2024 an der Royal Academy of Fine Arts in Schweden statt. Es war das erste Mal, dass der Preis für Logik und Philosophie an eine deutsche Universität vergeben wurde. Kamp teilt sich den Preis und das Preisgeld von 600.000 schwedischen Kronen mit der Linguistin Irene Heim vom Massachusetts Institute of Technology.
Weitere Informationen:
https://www.uni-stuttgart.de/universitaet/aktuelles/meldungen/Logik-der-Sprache-verstehen/