Auf der Suche nach den Mechanismen von Stimmpräferenzen
Der Ton macht die Musik, oder? Die Art und Weise, wie wir Menschen miteinander sprechen, entscheidet unter anderem darüber, ob wir unserem Gegenüber zuhören und ihm zum Beispiel Sympathie entgegenbringen. Forscher:innen vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik (MPIEA) in Frankfurt am Main haben sich in diesem Zusammenhang gefragt, ob es allgemeine Vorlieben für bestimmte Gesangs- und Sprechstimmen gibt. Ihre Studie ergab Überraschendes: Präferenzen für Vokalisationen sind in höchstem Maße individuell. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Zeitschrift „Royal Society Open Science“ veröffentlicht.
Um herauszufinden, welche ästhetische Wirkung unterschiedliche Vokalisationen auf ihre Rezipient:innen haben, erstellte das Forschungs-Team zunächst ein Set aus Tonaufnahmen, mit kurz aufeinander folgenden Melodieausschnitten, die von 22 professionellen Sängerinnen in drei verschiedenen Gesangsstilen eingespielt wurden: als Wiegenlied, als Popsong und im Stil einer Opernarie. Dieselben Wörter sagten sie zusätzlich auf zwei verschiedene Weisen auf: Zum einen redeten sie so, als würden sie sich an einen Erwachsenen wenden, zum anderen so, als sprächen sie mit einem Baby.
Insgesamt 62 Teilnehmer:innen kamen ins Institut und hörten sich die Tonsequenzen an. Sie sollten bewerten, wie gut ihnen jede Aufnahme gefiel. Die Forscher:innen interessierten sich hierbei nicht nur für individuelle Vorlieben, sondern auch dafür, ob bestimmte Arten etwas auszusprechen höheren Anklang finden würden als andere. So erwarteten sie zum Beispiel bei Wiegenliedern, die im Allgemeinen als natürlicher oder universeller wahrgenommen werden, einen größeren Konsens von Vorlieben zu verzeichnen als bei dem zumeist als künstlich empfundenen Operngesang.
"Wie erwartet, gab eine höhere gemeinsame Präferenz für Wiegenlieder als für Popsongs, aber überraschenderweise war die gemeinsame Präferenz für Wiegenlieder und Operngesang gleich hoch. Wir haben auch vermutet, dass die Präferenzen für beide Arten der Aussprache gleich sein würden, stellten jedoch fest, dass die gemeinsamen Präferenzen für eine Intonation, die sich an Babys richtet, höher waren als für jene, die sich an Erwachsene richtet – wahrscheinlich, weil viele die Vokalisierung, die sich an Kinder richtet, als störend empfinden“, berichtet Camila Bruder vom MPIEA, Erstautorin der Studie.
Sind manche Stimmen grundsätzlich sympathischer?
Die Forscher:innen untersuchten auch, ob bestimmte Stimmen grundsätzlich bevorzugt werden. Sie verglichen die Präferenzen für die Gesangsstimmen über alle Stile hinweg und stellten fest, dass sie je nach Stil variierten, woraus das Team schloss, dass einige Stimmen in Form bestimmter Stile besser ankamen als andere.
Die Studie zeigt, dass die Vorlieben für verschiedene Arten der Stimmgebung höchst individuell sind. Um genau zu verstehen, welche Mechanismen ihnen zugrunde liegen, bedarf es weiterer Untersuchungen mit breiterem Ansatz. Von Interesse wäre zum Beispiel, in wie weit das Fachwissen von Studienteilnehmer:innen eine Rolle bei der Beurteilung von Stimmen spielt – zum Beispiel von einer Person mit spezifischen Kenntnissen des Operngesanges. Ebenso vielversprechend wäre eine Untersuchung mit einer größeren Bandbreite von Vokalisationen, beispielsweise mit Rap oder Poesie.
„Zukünftige Forschung sollte darauf abzielen, Stimmpräferenzen auf integrative Weise weiter zu charakterisieren, gemessen in verschiedenen geografischen, sprachlichen und kulturellen Kontexten“, schließt Camila Bruder.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Camila Bruder
Originalpublikation:
Bruder, C., Frieler, K., & Larrouy-Maestri, P. (2024). Valuation of Singing and Speaking Voices Is Highly Idiosyncratic. Royal Society Open Science. DOI: https://doi.org/10.1098/rsos.241623