Gemeinsam gegen die digitale Verwahrlosung des Menschenbildes
Vortrag an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) skizzierte ethische Grundlagen eines Menschenbildes im digitalen Zeitalter
NÜRTINGEN (hfwu). Im digitalen Zeitalter müssen wir die Verantwortung für ein angemessenes Menschenbild übernehmen, forderte die Ethikerin Karen Joisten im Studium generale an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU).
Schwarze Menschen sind Gorillas. Zu der Einschätzung kam der Algorithmus der Google-Bilderkennung. Das Problem ist mittlerweile behoben. Der Aspekt, auf den Prof. Dr. Karen Joisten in ihrem Vortrag an der HfWU mit dem Beispiel hinwies: „Beim Programmieren fließen Werturteile ein. Zu einer digitalen Grundkompetenz gehört, dafür ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln.“ Joisten ist Professorin für Philosophie an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) und als Expertin an der Schnittstelle von Ethik und Digitalisierung in verschiedenen Kommissionen vertreten.
„Ich bin durchaus technikaffin“, betonte Joisten gleich zu Beginn. Aber in einer von digitalen Technologien durchwobenen Alltagswelt „reduzieren wir den Menschen oft auf das quantifizierbare, das messbare Selbst“, so der Befund der Philosophin. Welches Menschenbild liegt dem zugrunde und vor allem: Sind wir mit diesem einverstanden? Das seien Fragen, die gesamtgesellschaftlich beantwortet werden müssten. Und sie duldeten keinen Aufschub, führt man sich die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz vor Augen.
Was Philosophie und Ethik beitragen können im Diskurs über ein dem digitalen Zeitalter angemessenes Menschenbild zeigte Joisten an verschiedenen Aspekten. Eine kritische Selbsterkenntnis beinhaltet für sie Selbstsorge und Fürsorge, die Grenzen menschlichen Lebens anzuerkennen und in allem das richtige Maß zu finden. Ein grundlegendes Problem sieht die Wissenschaftlerin dabei im Zeitalter von virtueller Realität, KI und Robotik in der zunehmenden „leiblichen Vergessenheit“. Mit Körper und Leib habe der Mensch grundsätzlich zwei Zugänge der Selbstwahrnehmung. Den Körper kann er vermessen, objektivieren und vergegenständlichen. Gesundheitsapps und Fitnesstracking-Armbänder gehören im digitalen Zeitalter zu den Instrumenten dafür. „Der Mensch hat aber auch zu sich einen Zugang als einem Leib, einem lebendigem Innensein, das er spüren und erfahren kann“, betonte Joisten. Dieser Zugang gerate mehr und mehr in Vergessenheit.
Der Appell der Wissenschaftlerin vor diesem Hintergrund: „Wir müssen die Verantwortung übernehmen für ein dem digitalen Zeitalter angemessenes Menschenbild“. Zu diesem Menschenbild gehören für sie eine Reihe von ethisch-menschlichen Leitwerten. Dazu zählen unter anderem eine gesunde Beziehung zum eigenen Körper und Leib, eine Selbstsorge- und Fürsorgekompetenz, ein konstruktiver Umgang mit Widerständen und Konflikten, die Fähigkeit Beziehungen zu Mitmenschen einzugehen und zu gestalten und offen zu sein für reale und virtuelle Erfahrungen. „Die Verwahrlosung des Menschenbildes führt zur Verwahrlosung des Menschen selber. Denn das Bild des Menschen, das wir für wahr halten, wird selbst ein Faktor unseres Lebens“, zitiert Joisten zum Abschluss ihres Vortrags den Philosophen und Karl Jaspers.
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Prof. Dr. Karen Joisten (Foto: HfWU)
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Prof. Dr. Karen Joisten