Virologie: Wenn Hepatitis-E-Viren Nervenzellen angreifen
Hepatitis-E-Viren (HEV) verursachen normalerweise Leberinfektionen. Sie können aber auch andere Organe befallen und insbesondere neurologische Erkrankungen auslösen. Über die Details ist noch wenig bekannt. Ein Forschungsteam um Michelle Jagst und Prof. Dr. Eike Steinmann aus der Abteilung Molekulare und Medizinische Virologie der Ruhr-Universität Bochum hat in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Dr. Barbara Gisevius aus dem Forschungszentrum Neuroimmunologie von Prof. Dr. Ralf Gold ein Zellmodell entwickelt, an dem sich die Interaktion des Virus mit Nervenzellen erstmals untersuchen lässt.
Damit gelang der Nachweis, dass das Virus die Zellen direkt infizieren kann und dass die Zellen sich davor nicht durch eine Immunreaktion schützen können. Die Forschenden berichten in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) vom 15. November 2024.
Hepatitis E tritt weltweit häufig auf, verläuft aber oft unbemerkt. „Genaue Daten über die Häufigkeit neurologischer Auswirkungen der Infektion gibt es nicht“, sagt Michelle Jagst. Bekannt ist, dass bis zu elf Prozent der Patienten mit bestimmten neurologischen Krankheitsbildern wie Guillain-Barré-Syndrom oder Neuralgische Amyotrophie Antikörper gegen HEV aufweisen oder mit dem Virus infiziert sind.
Zellen werden direkt infiziert
Um mehr Licht ins Dunkel bringen zu können, nutzt die Forschungsgruppe ein Zellmodell, das im Forschungszentrum Neuroimmunologie entwickelt wurde und mit dem sich erstmals untersuchen lässt, was Hepatitis-E-Viren mit Nervenzellen machen. „Dazu werden menschliche Nierenzellen genutzt, welche mit dem Urin ausgeschieden werden, und so umprogrammiert, dass sie sich zu Nervenzellen entwickeln“, erklärt Barbara Gisevius. Mithilfe dieser sogenannten primären Neuronen konnten die Forschenden feststellen, dass Hepatitis-E-Viren in der Lage sind, die Nervenzellen direkt zu infizieren. Die Nervenzellen verfügen über eine geringe Immunantwort gegen das Virus, können sich also selbst nicht davor schützen.
„Das bedeutet, dass die neurologischen Auswirkungen von HEV zumindest zum Teil auf einer direkten Infektion der Nervenzellen beruhen könnten und nicht ausschließlich auf anderen Mechanismen wie etwa einer Reaktion des Immunsystems, auch wenn diese eine zusätzliche Rolle spielen könnten“, so Eike Steinmann. Außerdem konnten die Forschenden beobachten, dass sich bei HEV-Kontakt die Fortsätze der Nervenzellen verkürzen. „Das ist ein Hinweis auf morphologische Veränderungen durch das Virus, die auch bei anderen viralen Erkrankungen zu beobachten sind“, so die Forschenden.
Die Forschenden werden in Zukunft weiter daran arbeiten, die Interaktion zwischen HEV und Neuronen zu verstehen. „Interessant wäre zum Beispiel der Vergleich zwischen den Nervenzellen gesunder und HEV-infizierter Menschen“, so Michelle Jagst.
Hepatitis E
Das Hepatitis-E-Virus (HEV) ist der Hauptverursacher akuter Virushepatitiden. Rund 70.000 Menschen sterben jährlich an der Krankheit. Nach dem ersten dokumentierten epidemischen Ausbruch 1955 bis 1956 vergingen mehr als 50 Jahre, bis Forschende sich intensiv des Themas annahmen. Akute Infektionen heilen bei Patientinnen und Patienten mit intaktem Immunsystem normalerweise von selbst aus. Bei Betroffenen mit reduziertem oder unterdrücktem Immunsystem wie Organtransplantatempfängern oder HIV-Infizierten kann HEV chronisch werden. Auch für schwangere Frauen ist HEV besonders bedrohlich. Eine Impfung oder einen spezifischen Wirkstoff gibt es nicht.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Michelle Jagst
Molekulare und Medizinische Virologie
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 23189
E-Mail: michelle.jagst@ruhr-uni-bochum.de
Prof. Dr. Eike Steinmann
Abteilung für Molekulare und Medizinische Virologie
Medizinische Fakultät
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 28189
E-Mail: eike.steinmann@ruhr-uni-bochum.de
Originalpublikation:
Michelle Jagst et al.: Modeling Extrahepatic Hepatitis E Virus Infection in Induced Human Primary Neurons, in: PNAS, 2024, DOI: 10.1073/pnas.2411434121