Zwischen Mythos und Realität – Ist Hannover das Zentrum des Hochdeutschen?
DFG-Projekt „Die Stadtsprache Hannovers“ liefert Forschungsergebnisse
Seit etwa 200 Jahren hält sich der weitverbreitete Mythos – jüngst als allgemeine Einschätzung in einer repräsentativen Studie bestätigt –, in und um Hannover werde ein besonders „reines“, zuweilen das „beste“ Hochdeutsch gesprochen. Doch ist diese Behauptung wirklich sprachwissenschaftliche Realität? Wie sprechen Menschen in und aus Hannover tatsächlich? Und wie denken diese Menschen über Sprache? Das Projekt „Die Stadtsprache Hannovers“ am Deutschen Seminar der Leibniz Universität Hannover (LUH) hat dieses Thema erstmalig ausführlich untersucht. Nun liegen die Ergebnisse des DFG-geförderten Forschungsprojekts unter der Leitung von Dr. François Conrad vor.
Die Studie offenbart, dass die sprachliche Realität wesentlich komplexer und dynamischer ist als die deutschlandweit verbreitete Einschätzung. Auch in Hannover wird demnach kein „reines“ Hochdeutsch gesprochen, sondern die Menschen sprechen je nach Situation und Altersstruktur mitunter unterschiedlich. Dennoch stellt für viele Teilnehmende der Studie das Hochdeutsche in ihrer Einschätzung einen wichtigen Teil der regionalen beziehungsweise städtischen Identität dar, weil – abgesehen vom zunehmend verklingenden „Hannöverschen“ – in Hannover kein Dialekt wie das Niederdeutsche (Platt) gesprochen werde.
Die Studie bestand aus zwei Teilprojekten. Im ersten Teilprojekt wurde dokumentiert, wie das gesprochene Deutsch in Hannover aktuell tatsächlich beschaffen ist, vom allem im Hinblick auf die Aussprache. Im zweiten Teilprojekt wurden sprachliche Erfahrungen, sprachliches Wissen und die Bewertung von Sprache untersucht. Dafür wurden 100 in Hannover aufgewachsene Menschen verschiedener Generationen, Geschlechter und Stadtviertel hinsichtlich ihrer gesprochenen Sprache und ihrer Spracheinschätzung mit Tests und Interviews untersucht.
Es hat sich klar gezeigt, dass auch in Hannover kein „reines“ Hochdeutsch gesprochen wird. Gerade im Generationenvergleich zeigt sich, dass etwa bestimmte niederdeutschbasierte Aussprachevarianten immer weniger benutzt werden (zum Beispiel „Zuch“ statt „Zug“), während andere Varianten mit jüngerem Alter immer häufiger vorkommen (etwa „Keese“ statt „Käse“ oder „Füsch“ statt „Fisch“).
Deutlich wurde auch, dass sich die Bewertungen über die Sprache in Hannover teils stark unterscheiden, erneut vor allem im Generationenvergleich. Einige sind der Meinung, dass zumindest in Relation zu anderen Regionen ein besonders reines Hochdeutsch gesprochen werde, während andere der Ansicht sind, dass die früher verbreitete Umgangssprache „Hannöversch“, eine „Zwischenform“ zwischen Niederdeutsch und Hochdeutsch, die sich vor gut 300 Jahren im Stadtgebiet Hannovers entwickelt hat, beziehungsweise einzelne ihrer Merkmale (etwa Aussprachen wie „Laane“ statt „Leine“), noch teilweise zu hören seien.
Das Projekt hat die Vielfalt der Sprache in Gebrauch und Wahrnehmung offengelegt und gezeigt, dass Hannover zwar deutschlandweit als Ort eines „besten“ Hochdeutsch betrachtet wird, die sprachliche Wirklichkeit jedoch wesentlich komplexer ist.
Weitere Informationen zum Projekt, auch mit Videoeinblicken in die Sprachexperimente, unter www.stadtsprache-hannover.de
Hinweis an die Redaktion:
Für weitere Informationen steht Ihnen Projektleiter Dr. François Conrad per E-Mail unter francois.conrad@germanistik.uni-hannover.de gern zur Verfügung.