Dringlichkeitsbrief aus der Wissenschaft
Forscher*innen und 14 Wissenschaftsjournale rufen weltweit die Regierungen und Industrie zu einem koordinierten Vorgehen auf, um mit vereinter mikrobiologischer Forschung gegen den Klimawandel vorzugehen. Sie schlagen sechs Handlungsbereiche vor, die schnelle und schlagkräftige Lösungen versprechen. Mit beteiligt: Korallenforscher Christian Voolstra von der Universität Konstanz.
Eine solches Schreiben ist höchst ungewöhnlich, selbst für die Wissenschaft: Gleich 14 Wissenschaftsjournale veröffentlichten parallel denselben Aufruf. Sie fordern darin weltweit die Regierungen und Industrie dazu auf, eine vertiefte mikrobiologische Forschung in sechs Handlungsfedern voranzutreiben, die besonders aussichtsreich für die Bewältigung der Probleme des Klimawandels sind:
„Dieses Schreiben ist ein Aufruf zum Handeln. Indem wir ihn gemeinschaftlich über mehrere Zeitschriften hinweg als Dringlichkeitsbrief veröffentlichen, wollen wir nicht nur einen Appell zu mehr Bewusstsein für den Klimawandel setzen. Stattdessen fordern wir sofortige, konkrete Schritte, die die Wirkkraft der Mikrobiologie und das Fachwissen von Forscher*innen und politischen Entscheidungsträger*innen vereinen, um den Planeten für künftige Generationen zu bewahren.“
„Dass mehrere Wissenschaftsjournale denselben Aufruf veröffentlichen, um dessen Reichweite zu verstärken, ist bislang wohl einzigartig“, begrüßt Christian Voolstra das gemeinsame Engagement. Der Konstanzer Korallenforscher ist einer der 18 internationalen Mikrobiolog*innen, die den Aufruf initiiert haben. Er selbst erforscht mikrobiologische Methoden, um Korallen widerstandfähiger gegen die Erwärmung der Meere zu machen.
Worum geht es in dem Aufruf?
Mikrobiologische Ansätze sind aussichtsreich, um Lösungen für zentrale Probleme des Klimawandels zu schaffen: zum Beispiel um CO2 zu binden, um Schadstoffe abzubauen oder um Lebewesen resistenter gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu machen – von Korallen bis hin zum Menschen. Um diese Ansätze zu erforschen, sind die Wissenschaftler*innen jedoch auf weltweite Zusammenarbeit angewiesen – insbesondere auf die Unterstützung aus der Politik und der Industrie. Sie erhoffen sich eine koordinierte Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Politik und Industrie, ähnlich wie bei der raschen Entwicklung von Impfstoffen zu Beginn der Corona-Pandemie. Nur ein gemeinsames Vorgehen kann schnelle und schlagkräftige Lösungen liefern.
Die Forscher*innen hinter dem Aufruf identifizierten sechs besonders aussichtsreiche Handlungsfelder im Bereich der mikrobiologischen Forschung, die rasche Erfolge versprechen. Diese sechs Handlungsfelder sind:
• Kohlenstoff-Sequestrierung – Nutzung von Mikroben, um Kohlenstoff in Erdböden und im Ozean zu binden. Dadurch wird der CO2-Gehalt in der Atmosphäre reduziert und die Böden werden für ein besseres Pflanzenwachstum angereichert.
• Methan-Abbau – Einsatz von Bakterien, um die Methan-Emissionen aus Abfall zu reduzieren, zum Beispiel in Mülldeponien, Viehzuchtbetrieben und Feuchtgebieten.
• Bioenergie – Nutzung von Mikroorganismen wie Algen und Hefe zur Herstellung von Biokraftstoffen, um fossile Brennstoffe zu ersetzen.
• Schadstoffabbau – Einsatz von Mikroben zum Abbau von Schadstoffen aus Industrieabfällen, zum Beispiel in Baustellen oder zur Säuberung von kontaminierten Böden und Gewässern.
• Mikrobiom-Therapie – Gezielter Einsatz von Mikroben, um die Gesundheit von Organismen und Ökosystemen zu stärken: So können zum Beispiel bestimmte Bakterien dabei helfen, Korallen resistenter gegen Hitze zu machen.
• Düngemittel – Den synthetischen Stickstoff in Düngemitteln durch natürliche Bakterien ersetzen, zur Verbesserung der Luft- und Wasserqualität.
Weitere Beispiele, wie mikrobielle Strategien zur Bewältigung der Probleme des Klimawandels beitragen können, sind in dem gemeinschaftlichen Artikel aufgeführt. „Wir müssen sicherstellen, dass die Wissenschaft bei der globalen Reaktion auf die Klimakrise an vorderster Front steht“, schließen die 18 Forscher*innen ihren Aufruf. „Wir sind bereit und gewillt, unser Fachwissen, unsere Daten, unsere Zeit und unsere Unterstützung für ein unmittelbares Handeln zur Verfügung zu stellen.“
Faktenübersicht:
• Originalpublikation: Raquel Peixoto, Christian R. Voolstra, Lisa Y. Stein, Philip Hugenholtz, Joana Falcao Salles, Shady A. Amin, Max Häggblom, Ann Gregory, Thulani P. Makhalanyane, Fengping Wang, Nadège Adoukè Agbodjato, Yinzhao Wang, Nianzhi Jiao, Jay T. Lennon, Antonio Ventosa, Patrik M. Bavoil, Virginia Miller & Jack A. Gilbert. Microbial solutions must be deployed against climate ca-tastrophe. Veröffentlicht in 14 wissenschaftlichen Zeitschriften, November 2024.
Link (Nature Communications): https://www.nature.com/articles/s41564-024-01861-0
• Prof. Dr. Christian Voolstra ist an der Universität Konstanz Professor für Genetische Adaption in aquatischen Systemen. Mit seiner Forschung setzt er sich seit Jahren dafür ein, den Korallen ein Überleben im Klimawandel zu ermöglichen. Er ist Präsident der International Coral Reef Society (ICRS).
• Um Korallenriffe vor dem Klimawandel zu retten, schlug Christian Voolstra jüngst vor, den Korallenschutz zum Menschenrecht zu erklären.