Dies academicus der Hochschule Coburg: prominenter Besuch diskutiert lebhaft über Demokratie
Bei der akademischen Jahrfeier der Hochschule Coburg wurden Demokratie, Gemeinschaft und Vielfalt gefeiert – auch in diesem Jahr mit prominenten Gästen: Bei einer Podiumsdiskussion sprachen der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann und Autor Ruprecht Polenz mit Coburger Studierenden über das Thema „Demokratie und Freiheit in Gefahr?!“
Lilo Eitel nimmt das Mikrofon und sagt „Hallo“. Sie lacht. Klingt kurz nervös. Etwa 250 Menschen lauschen dem Podiumsgespräch beim Dies academicus der Hochschule Coburg: Sie kommen aus Medien, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, Wissenschaft und der Hochschule selbst – und auf der Bühne bei Moderator Andreas sitzen neben den Studierenden bekannte Persönlichkeiten: Joachim Herrmann, Bayerischer Staatsminister des Innern, für Sport und Integration, der dienstälteste Innenminister aller Bundesländer und seit 2007 im Amt. Außerdem Autor Ruprecht Polenz, als Politiker unter anderem selbst fast 20 Jahre lang Bundestagsmitglied und als „Demokratie-Influencer“ mit seinem aktuellen Buch „Tu was!“ auf der Bestsellerliste gelandet. Unter dem Motto „Demokratie und Freiheit in Gefahr!?“ sprechen die prominenten Gäste bei der Podiumsdiskussion mit drei Studierenden der Hochschule: Ulf Wunderlich studiert im Master Soziale Arbeit und ist Vorsitzender der Studierendenvertretung, Isabella Fuchs und Lilo Eitel sind im fünften Semester des Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit.
Was die Jungen sagen
Lilo Eitel erzählt, dass sie neben dem Studium in einer stationären Jugendeinrichtung arbeitet. Dort hat sie die Jugendlichen gefragt, was sie über das Thema denken, hat mit ihnen Eindrücke gesammelt. „Wenn vielleicht eine Minute Zeit ist,“ sagt sie, schaut in die Podiumsrunde und zu den Zuschauerinnen und Zuschauern, „ich würde das gern kurz vorlesen.“ Die Studentin öffnet ein Notizbuch mit Kuhfellmuster. Sie liest:
„In Deutschland ist viel los. Ich fühle mich haltlos, nutzlos, schutzlos, fassungslos, hoffnungslos, hilflos. Oft auch kraftlos. Motivationslos. Aussichtslos. Was man sieht und mitbekommt: skrupellos, respektlos, verantwortungslos! Ich bin verständnislos. Dabei wäre ich gerne beschwerdelos, sorglos, bedenkenlos und ginge angstlos, grenzenlos, anstrengungslos durch die Welt. Ich bin doch so gerne selbstlos, wunschlos, hemmungslos! Denn Politik ist für mich kostenlos. Bedingungslos und gewaltlos. Stopp und ab auf Los! Eine neue Runde. Denn kampflos geben wir nicht auf!“
Eitel erzählt, dass sie das sehr berührt hat, weil es von Kindern zwischen 12 und 18 Jahren kommt. „Dass wir Jungen schon so viel mitbekommen und mitsprechen, berührt mich. Aber es macht mich auch emotional. Und traurig, weil die Sicherheit, die uns unsere Eltern vermittelt haben, nicht das ist, was unsere Generation gerade empfinden kann.“ Sie selbst möchte anderen Menschen Hoffnung geben – eine starke Motivation bei der Wahl ihres Studiengangs. „Genau.“ Sie lächelt, gibt das Mikro weiter. Zwischenapplaus in der Brose-Aula.
Aufgabe der Politik
Der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann stellt fest, dass es aktuell viel berechtigte Kritik an „vorhandenen Unzulänglichkeiten in unserer Gesellschaft“ gibt. Er sehe es als Aufgabe der Politik, die Ängste der Menschen ernstzunehmen und überzeugende Ergebnisse zu liefern. „Wir müssen uns mit den Herausforderungen auseinandersetzen.“ Er gibt sich optimistisch, auch kämpferisch, als er darüber spricht, wie schnelllebig die heutige Zeit ist. „Unser aller Leben ist von starken Veränderungen geprägt. Das bedeutet aber nicht, dass alles immer schlimmer wird.“ Technik und Naturwissenschaften haben viele wichtige Entwicklungen und echten Fortschritt gebracht, dank der Medizin steigt beispielsweise die Lebenserwartung der Menschen und die Realeinkommen und der Wohlstand hätten sich über viele Jahre positiv entwickelt. Der Bayerische Innenminister hebt auch die Bedeutung eines geeinten Europas in Zeiten globaler Herausforderungen wie Extremismus, dem Krieg in der Ukraine und den Entwicklungen in den USA hervor. „Wenn Organisationen und andere Staaten das Volk bei uns aufhetzen oder Unruhe bringen, indem ein falsches Bild unserer Gesellschaft verbreitet wird, indem bewusst auch falsche Informationen verbreitet werden, wenn Leute meinen: Wenn da ein starker Mann an der Spitze steht, würde es dem ganzen Land besser gehen, dann müssen wir mit Selbstbewusstsein antreten und sagen: Nein! Dass wir heute insgesamt in Deutschland im Vergleich zu vielen Ländern der Welt so gut dastehen, dass wir in Frieden und Freiheit leben dürfen, dass wir einen so hohen Lebensstandard haben, all das haben wir mit genau dieser Demokratie erreicht.“ Wieder Applaus.
Eine riskante Regierungsform
Herrmann stimmt Coburgs Hochschulpräsident Prof. Dr. Stefan Gast zu, der beim Dies academicus appelliert: „Demokratie ist eine voraussetzungsvolle und damit auch immer riskante Regierungsform. Sie hat zur Bedingung, dass die Bürgerinnen und Bürger eine wohl informierte politische Urteilsfindung besitzen. Schauen wir also, was wir hier an unserer Hochschule, hier in unserer Region, dafür leisten können.“
Diese Gedanken greift auch Ruprecht Polenz, Autor des Spiegel-Bestsellers „Tu was! Eine kurze Anleitung zur Verteidigung der Demokratie“ auf. Polenz berichtet von Umfragen, denen zufolge 20 Prozent der Deutschen glauben, Medien würden die Bevölkerung systematisch belügen. „Warum ist das so gefährlich?“, Polenz lässt die Frage kurz im Raum stehen, bevor er sie beantwortet: „weil unser Weltbild, das, was wir glauben, was gerade stattfindet, nur zu vielleicht fünf Prozent von unserer persönlichen Erfahrung geprägt ist.“ Es ist schwer, sich zu orientieren, wenn man glaubt, dass Tagesschau und heute journal, Zeitung und Rundfunk, dass traditionelle Medien lügen. „Das ist wie im Nebel. Und was macht man im Nebel? Man spitzt die Ohren, ob man irgendwo was hört und reißt die Augen auf, ob man ein Licht sieht, damit man wieder unter Menschen kommt. Und was hört man als Erstes? Den lautesten Schreihals. Und was sieht man als Erstes? Den grellsten Scheinwerfer.“ Übertragen auf die politische Orientierung bedeutet das: „Man nimmt Signale auf, die sagen: Die Welt ist schwarz-weiß. Die Welt ist: Du die anderen. Die Welt ist: Wir gegen die.“ Diese Strategie der AfD greife die Grundlagen unserer Demokratie direkt an, sagt Polenz. „Denn unsere Demokratie kann ohne Vertrauen durch soziales Kapital, das wir immer wieder jeden Tag neu erwirtschaften müssen, nicht funktionieren.“ Viele glaubten, die Demokratie sei sicher, solange kein Panzer vor dem Reichstag oder vor der Bayerischen Staatskanzlei steht. „Das ist aber nicht der Weg, wie heute Demokratien kaputtgehen. Demokratien sterben heute durch Wahlen.“
Ziviles Engagement
Polenz appelliert an Zivilcourage in alltäglichen Situationen. Zum Beispiel auf rassistische Sprüche zu reagieren. „Jeder kann und sollte etwas tun“, betont er, „Weil Demokratie kein Zuschauersport ist.“ Man könne das nicht an Politikerinnen und Politiker oder Parteien outsourcen. „Unsere Demokratie lebt von der lebendigen Zivilgesellschaft und dem gesellschaftlichen Klima.“
SV-Vorsitzender Ulf Wunderlich berichtet von zivilgesellschaftlichen, parteiübergreifenden Demokratie-Aktionen in Coburg und einer Mischung aus „Hoffnung und Angst“, die er empfindet. Er plädiert für mehr politischen Anstand und dafür, jungen Menschen mehr Möglichkeiten zu geben, Demokratie mitzugestalten und so erlebbar zu machen. „Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit.“
Isabella Fuchs, Studentin im Bachelor Soziale Arbeit, erklärt wie sie Demokratie in Bezug auf ihr Fach sieht: „Ich finde, dass es auch etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hat, dass viele Menschen sich vielleicht auch gar nicht mehr gehört fühlen.“ Zu einer lebendigen Demokratie gehört ihrer Auffassung nach, dass alle daran teilhaben. „Und dass wir nicht nur übereinander reden sollten, sondern vor allem miteinander. Denn es ist einfach, gegen etwas zu sein. Ich würde mir wünschen, dass wir öfter zusammen sagen: Für was sind wir denn?“
Sie knüpft an das aktuelle Buch an, das Prof. Dr. Veronika Hammer von der Fakultät Soziale Arbeit der Hochschule Coburg herausgegeben hat. „Demokratie lernen. Ländliche Räume und Volkshochschulen“ (Beltz Juventa Verlag) heißt es und basiert auf einem Kooperationsprojekt mit der Volkshochschule Kreis Kronach. Es zeigt Beispiele dafür, was im Einzelnen getan werden kann und wie wichtig ein Miteinander in der Gesellschaft ist.
(Natalie Schalk)