Längst überfällig: Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeitende
„Wir brauchen ein Zeugnisverweigerungsrecht für die Soziale Arbeit“, ist Prof.in Dr.in Helen Breit überzeugt. Das Vertrauen zwischen Klient*innen und Sozialarbeitenden sei die elementare Grundlage für professionelle Beziehungen und müsse geschützt werden, so die Professorin für Wissenschaft Soziale Arbeit an der EH Freiburg. Sozialarbeitenden steht – bis auf die Ausnahmen in der Schwangerschaftskonflikt- und Drogenberatung – kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Mit welchen Konsequenzen Sozialarbeitende dann rechnen müssen, zeigt der Fall des Karlsruher Fanprojekts.
Im März 2024 wurden strafrechtliche Ermittlungen gegen Mitarbeiter*innen des Fanprojekts Karlsruhe eingeleitet, da diese Aussagen über die professionelle Arbeit mit ihren Klient*innen verweigert hatten. In der Fachcommunity hat dies zu einer erneuten Debatte über die Notwendigkeit eines Zeugnisverweigerungsrechts für Sozialarbeiter*innen geführt. Unumstritten ist im Fachdiskurs die Notwendigkeit eines Zeugnisverweigerungsrechts (ZVR) für Sozialarbeitende und zwar unter definierten Voraussetzungen. Helen Breit: „Es sollte daher in den § 53 der Strafprozessordnung (StPO) aufgenommen werden.“
Professorin Breit: „Es geht vor allem um Arbeits- und Handlungsfelder, die sozialarbeiterische Prävention umfassen. Der Schutz des Vertrauensverhältnisses mit Klient*innen darf nicht dazu führen, dass sich Sozialarbeitende damit potenziell selbst strafbar machen“. Die aktuelle Gesetzeslage nötige Sozialarbeitende, entweder fachliche Grundprinzipien Sozialer Arbeit über Bord zu werfen, oder erhebliche Konsequenzen zu riskieren, so Breit. Diese könnten weit in ihre private Lebensführung reichen und auch berufliche Chancen negativ beeinflussen.
Die Bundesregierung sehe trotz dieses eindrücklichen Falles, so Breit, nach wie vor keinen Handlungsbedarf zur strafprozessualen Reform des ZVR zugunsten der Sozialen Arbeit. „Mit der Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts würde auch der Widerspruch aufgelöst werden, dass Sozialarbeitende einer Schweigepflicht unterliegen, deren Bruch zu Recht unter Strafe steht. Und dass dieses Verhältnis in Strafprozessen, die ihre Klient*innen betreffen, dann umgekehrt wird“, erklärt die Wissenschaftlerin.
Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte erkennen vielerorts die hohe Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen Sozialarbeitenden und ihren Klient*innen an. Zugleich zeigen Fälle aus der Praxis, dass aufgrund der fehlenden Rechtsgrundlage teils ein sehr hoher Aufwand – etwa durch Engagement der Träger oder anwaltlichen Zeugenbeistand – betrieben werden muss, um dieses auch im konkreten Fall zu schützen. „Dass dieser Schutz ohne Rechtsgrundlage letztlich vom Ermessen der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte abhängig ist, zeigt in aller Deutlichkeit der aktuelle Fall“, betont Helen Breit.
Der Fall der Sozialarbeitenden aus dem Karslruher Fanprojekt geht in die nächste Instanz. Eine rechtskräftige Verurteilung der Sozialarbeitenden könne nicht nur die professionelle Arbeit in Fanprojekten massiv gefährden, sondern es stelle sich die Frage, ob sie unter diesen Bedingungen überhaupt fortgeführt werden könne und welche Auswirkungen dies auf andere Handlungsfelder Sozialer Arbeit haben werde, ist Breit besorgt.
Das Zeugnisverweigerungsrecht bezieht sich auf das Recht, von der Pflicht der Zeugenaussage befreit zu werden. Es zielt auf den Schutz der Arbeitsgrundlage des jeweiligen Berufsstands bzw. einer spezifischen Tätigkeit. Die Initiative für eine Reform des ZVR wird unter dem Dach des ‚Bündnisses für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit‘ von zahlreichen Akteuren aus der Sozialen Arbeit unterstützt. Dazu gehören u.a. der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
https://www.eh-freiburg.de/personen/helen-breit/