500 Jahre Schrift und Schriftlichkeitskultur im Fayum
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat rund eine Million Euro für eine interdisziplinäre Forschungsgruppe der Würzburger Ägyptologie bewilligt. Damit kann ein Forschungsschwerpunkt fortgesetzt werden: die Schriftkultur im antiken Fayum.
Wer sich in der Vergangenheit ein wenig für die Forschung am Lehrstuhl für Ägyptologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) interessiert hat, dem dürfte dieser Name geläufig sein: Soknopaiu Nesos. Die antike Siedlung im sogenannten Fayum-Becken mit ihrer Tempelanlage hatte schon früh das Interesse Würzburger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geweckt.
Der frühere Lehrstuhlinhaber Karl-Theodor Zauzich war hier ein Pionier, als er 1968 als Erster Urkunden aus diesem Ort edierte. Erfahrener Demotist, der er wahr, fing er an – so erzählte er immer wieder –, an sich zu zweifeln, weil diese Texte zwar offenkundig demotisch geschrieben waren, er aber dennoch zunächst nichts verstand.
„Demotisch“ bezeichnet sowohl eine Sprachstufe als auch eine schwer lesbare Schrift des Altägyptischen, die etwa in der Zeit vom siebten Jahrhundert v. Chr. bis ins fünfte Jahrhundert n. Chr. in Gebrauch war. Demotisch hat ohnehin den Ruf, „von allen bösen ägyptischen Schriftarten die böseste“ zu sein – wie es der Ägyptologe Hermann Grapow 1937 formulierte. Offenbar ist es den demotischen Schreiber von Soknopaiu Nesos gelungen, dem noch die Krone aufzusetzen.
Keine Angst vor der bösesten aller bösen Schriften Ägyptens
Jetzt kann der Lehrstuhl unter Zauzichs Nachfolger, Professor Martin A. Stadler, nach zwei abgeschlossenen Forschungsprojekten zu Soknopaiu Nesos unter seiner Leitung diese Arbeit vertiefen: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat für ein Antragspaket rund eine Million Euro bewilligt. Mit dieser Unterstützung werden in den kommenden Jahren drei Projekte die Arbeit aufnehmen.
Bereits 2008 versuchte Stadler, ein zwölfjähriges Langfristvorhaben bei der DFG einzuwerben. Damals aber glaubten ihm die DFG-Gutachter nicht, dass das Material dafür ausreiche. Er hat dann ein sechs- und ein weiteres dreijähriges Projekt eingeworben. „Nach meinen zwei abgeschlossenen Projekten von insgesamt neun Jahren, kommen wir nun doch auf die von mir ursprünglich geplanten zwölf Jahre – und das mit einem interdisziplinären Team“, freut sich Stadler.
Eines der umfangreichsten Papyruskorpora
„Aus der Ortschaft Soknopaiu Nesos ist eines der größten und umfangreichsten Papyruskorpora für die Untersuchung der lokalen Schreibpraktiken überliefert“, erklärt Martin Stadler weiter den Hintergrund dieses Forschungsprojekts. Trotz der Masse an Belegen, oder vielleicht gerade deshalb, sei dieses Material erst in Teilen systematisch bearbeitet worden, so der Ägyptologe. Da wollen die Projektbeteiligten in den kommenden Jahren vorankommen. Sie können zwar auf eine große Menge bereits identifizierter und publizierter Papyri aufbauen. Sie müssen aber auch weitere Texte zum ersten Mal edieren, um ein umfassenderes Bild zu erhalten.
Was sind das nun für Texte? Sie stammen aus der Zeit zwischen dem 2. Jahrhundert v. Chr. und dem frühen 3. Jahrhundert n. Chr. Darunter finden sich religiöse Texte, Quittungen und Abrechnungen von oder für das Tempelpersonal, griechische Dokumente, die die Kommunikation zwischen dem Tempelpersonal oder dem Vorsteher des Tempels und den römischen Behörden belegen, sowie Texte, die zu Familien- oder Berufsarchiven gehören. Sie sind teils demotisch, teils griechisch geschrieben.
Ein ptolemäisches Tempelarchiv aus Soknopaiu Nesos
Im Mittelpunkt des ersten Teilprojekts stehen demotische und griechische Urkundentexte aus dem Tempelarchiv und deren Beziehung untereinander. Hier will die Demotistin Carolin Arlt herausfinden, wer die Texte für wen, in welcher Sprache und zu welchem Zweck geschrieben hat, und welche Gemeinsamkeiten diese aufweisen. „Die meisten Texte wurden von demselben Schreiber verfasst, einem gewissen Tesenuphis, Sohn des Marres, ‚Schreiber der Priester‘", erklärt Carolin Arlt. Mit ihrer Hilfe werde es möglich, dieses wichtige Schreiberamt genauer zu untersuchen und herauszufinden, welche Aufgaben der Schreiber hatte, welche Art von Texten er schrieb und auf welche andere Weise er in die Angelegenheiten des Tempels eingebunden war.
Griechische Schreibpraxis in Soknopaiu Nesos
Das Notariat, das sogenannte Grapheion, und die Archive des Ortes stehen im Zentrum des zweiten Teilprojekts, in dem Bianca Borrelli, Spezialistin für griechische Papyri, forschen wird. „Das Grapheion kann als die Institution angesehen werden, die dazu beitrug, eine Art von Vermittlung zwischen griechischen und ägyptischen kulturellen Traditionen zu schaffen“, erklärt Borrelli. Ziel ist es, die Beziehung zwischen dem Grapheion und dem Tempel sowie dessen Rolle in den größeren Rechts- und Verwaltungsinstitutionen des ptolemäischen und römischen Staates zu erhellen.
180 Urkunden bilden den Kern dieser Studie, zusätzlich zu internen Grapheion-Dokumenten, Urkunden aus verwandten Einrichtungen und anderen Dokumenten, von denen bekannt ist oder vermutet wird, dass sie von Notaren verfasst wurden. Die Ergebnisse sollen zu einem besseren Verständnis der Bedeutung des Griechischen in Ägypten von der Ptolemäer- bis zur römischen Kaiserzeit beitragen.
Wirtschaft und Kultbetrieb für den Krokodilsgott Soknopaios
Demotische und griechische Abrechnungsrollen aus Soknopaiou Nesos bilden den Forschungsschwerpunkt im dritten Teilprojekt. Es sollen möglichst viele Beispiele verschiedener Abrechnungsarten einbezogen werden, um die interne Tempelverwaltung besser zu verstehen. „Ein Schwerpunkt wird auf dem Übergang zwischen demotischer und griechischer Buchführung liegen, um festzustellen, ob es signifikante Hinweise auf eine interne griechische Buchführung aus dem Tempel von Soknopaios gibt und wann und wie dieser mögliche Übergang stattfand“, sagt Marcel Moser, der als Doktorand mitarbeitet.
Stadler selbst entziffert religiöse Texte, die seit 2000 Jahren nicht mehr gelesen wurden. „Anhand dieser Werke wird deutlich, wie sehr Soknopaiou Nesos über den reinen Rahmen der Demotistik hinaus auch aus allgemeiner ägyptologischer Sicht interessant ist“, sagt er. Immerhin finden sich dort die letzten handschriftlichen Quellen für bestimmte Kulttexte.
Der Kult kostete Geld, wofür der Tempel Einnahmen brauchte. Insofern war der Tempel ein Betrieb, eben ein Kult-Betrieb. In Soknopaiu Nesos bietet sich nun die einmalige Gelegenheit die rituelle Seite der Medaille mit der ökonomischen gemeinsam und mit Quellen in zwei verschiedenen Sprachen zu studieren. Das ist so faszinierend, dass sich die Projektbeteiligten auch von der bösesten aller bösen ägyptischen Schriften nicht abschrecken lassen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Martin Andreas Stadler, Inhaber des Lehrstuhls für Ägyptologie, Tel.: +49 931 31-82787, martin.stadler@uni-wuerzburg.de