Bessere Koordination in der beruflichen Orientierung schaffen
Demografischer Wandel und Veränderungen in der Arbeitswelt sorgen für neue Herausforderungen auf dem Ausbildungsmarkt. Die aktuelle Studie „Berufliche Orientierung im Strukturwandel“ des Netzwerkbüros Bildung im Strukturwandel in Mitteldeutschland (BiSMit) benennt Gestaltungsansätze für die Fachpraxis.
Im Mitteldeutschen Braunkohlerevier, einer Region, die sich über die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erstreckt, hat sich der Ausbildungsmarkt in den vergangenen Jahren stark verändert. Es gibt mehr Ausbildungsstellen als Bewerbungen. Obwohl Lehrstellen unbesetzt bleiben, finden Jugendliche nicht immer passende Ausbildungsplätze oder brechen Ausbildungen ab. Aktuelle Forschungsergebnisse bieten hierbei Lösungsansätze. Die Autorengruppe der Studie „Berufliche Orientierung im Strukturwandel“ des Netzwerkbüros Bildung im Strukturwandel in Mitteldeutschland (BiSMit) hat die Angebotsseite beruflicher Orientierung analysiert sowie Schülerinnen und Schüler zu ihren Erfahrungen mit beruflicher Orientierung befragt.
Vielfalt der Angebote zur beruflichen Orientierung oft unübersichtlich
Jugendlichen stehen neue Studiengänge und Berufe offen, wie beispielsweise Kauffrau/ Kaufmann im E-Commerce, klassische Berufe wurden durch neue Berufsfelder erweitert, etwa durch die Integration digitaler Anwendungen. Die vielfältigen Möglichkeiten an Karrierewegen und Berufen überfordern viele Jugendliche bei ihrer Entscheidung, welchen Weg sie einschlagen möchten. Gleichzeitig gibt es eine große Auswahl an Angeboten zur beruflichen Orientierung. Auch Eltern, Lehrkräfte und Akteure der beruflichen Orientierung haben Schwierigkeiten, einen Überblick über die zahlreihen Berufsorientierungsangebote zu erlangen und deren Qualität einzuschätzen.
„Eine bessere Koordination und Abstimmung der Angebote ist notwendig. Seitens der Unternehmen ist darauf zu achten, mehr auf Qualität statt auf Quantität zu setzen“, betont Dr. Tom Hoyer, Autor der Studie. Auch müsse es darum gehen, Jugendliche stärker in ihrer Lebenswelt abzuholen, erlebnisorientierte Angebote zu schaffen oder individuell begleitete Praxiserfahrungen zu ermöglichen.
Berufsorientierung an Gymnasien ausbaufähig
30 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit (Fach-)Abitur beginnen laut statistischem Bundesamt nach der Schule eine Ausbildung. Die Studie hat jedoch gezeigt, dass an Gymnasien zu wenig über die Möglichkeiten einer Berufsausbildung informiert wird. Die berufliche Orientierung an Gymnasien ist gesetzlich vorgegeben. Die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben ist jedoch deutlich ausbaufähig, wenn es um eine ergebnisoffene, nicht auf das Studium beschränkte Orientierung geht. Theresa Thies, ebenfalls Autorin der Studie, meint: „An Gymnasien sollten Angebote wie Praktika, Betriebsbesichtigungen oder Kennenlerntage unbedingt erweitert werden.“
Sicherer Beruf wichtigstes Berufswahlkriterium
Die Befragung hat ergeben, dass es Jugendlichen am wichtigsten ist, einen sicheren Beruf zu wählen. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels überrascht diese Betonung der Berufssicherheit. In vielen Berufen herrscht bereits jetzt ein Fachkräftemangel, der sich in den kommenden Jahren verstärken wird. Geburtenstarke Jahrgänge scheiden aus dem Erwerbsleben aus, zu wenige junge Menschen rücken nach. Eigentlich müssten sich Jugendliche keine Sorgen mehr um einen Ausbildungsplatz machen. Aber die Corona-Pandemie, der Klimawandel und die wirtschaftliche und weltpolitische Lage erzeugen ein Unsicherheitsgefühl. Darüber hinaus ist der Fachkräftemangel auch regionen- und branchenabhängig. „Manche Berufsfelder sind bei Jugendlichen besonders beliebt – da kann es durchaus schwierig sein, einen Ausbildungs- oder Studienplatz oder einen sicheren Job im Wunschberuf zu finden“, erklärt Sarah Beierle, ebenfalls Mitglied der Autorengruppe.
Umweltthemen nachrangig bei Berufswahlentscheidung
Da die Befragung im Mitteldeutschen Braunkohlerevier stattfand, wurde der Fokus auch auf die Dekarbonisierung gerichtet. Die zunehmende Sensibilisierung für Nachhaltigkeitsthemen spiegelt sich jedoch nicht in Berufswahlentscheidungen wider. Umwelt- und Naturschutz spielt bei der Berufswahl eine untergeordnete Rolle. Die befragten Jugendlichen sehen Nachhaltigkeit eher pragmatisch. Durch die zunehmende Dekarbonisierung müsse man sich innerhalb bestimmter Berufe zwangsläufig mit neuen technischen und nachhaltigen Entwicklungen beschäftigen, beispielsweise mit Solaranlagen oder hybriden Antrieben.
Gute Work-Life-Balance wichtiger als Aufstiegschancen
Einmal mehr hat die Studie gezeigt, dass sich die Ansprüche an die Arbeitswelt geändert haben. Work-Life-Balance wird beispielsweise von Jugendlichen höher bewertet als die Aussicht auf Aufstiegschancen im Beruf. Zugleich legt die Studie dar, dass Jugendliche mitunter Erwartungen an Ausbildung und Beruf haben, die nicht zur Arbeitsrealität passen. „Umso wichtiger ist es, vor der Ausbildungsentscheidung Praxiserfahrungen zu ermöglichen. Nur so können falsche Erwartungen an Ausbildung und Beruf minimiert werden“, betont Dr. Tom Hoyer.
Methode der Studie
Für die Studie wurde die Perspektive von Akteuren untersucht, die Berufsorientierungsangebote im Mitteldeutschen Revier entwickeln, umsetzen oder koordinieren. Die Expertinnen und Experten wurden in qualitativen Interviews zu ihren Praktiken und Erfahrungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen befragt. Außerdem wurde die Perspektive von Schülerinnen und Schülern durch eine Online-Befragung der Abschlussjahrgänge 2024 in Ober-, Sekundar- und Regelschulen sowie an Gymnasien erfasst. Dabei ging es unter anderem um die Nutzung von Berufsbildungsangeboten.
Das Netzwerkbüro BiSMit am Deutsche Jugendinstitut (DJI)
Die Studie wurde vom Netzwerkbüro Bildung im Strukturwandel in Mitteldeutschland (BiSMit) durchgeführt. BiSMit hat ein regionales Bildungsmonitoring für das Mitteldeutsche Revier etabliert und analysiert Themen an der Schnittstelle von Bildung und Strukturwandel. Das Netzwerkbüro wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
Angesiedelt ist das Netzwerkbüro BiSMit beim Deutschen Jugendinstitut (DJI) am Standort Halle (Saale) und in Leipzig. Das DJI ist eines der größten sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitute Europas. Aktuell arbeiten etwa 500 Mitarbeitende an den Standorten München und Halle (Saale)/Leipzig. Sie untersuchen die Lebenslagen von Kindern, Jugendlichen und Familien sowie die damit zusammenhängenden sozialstaatlichen Angebote und Maßnahmen. Seit über 60 Jahren beraten die Expertinnen und Experten des DJI Politik und Verwaltung von Bund, Ländern und Kommunen. Sie analysieren gesellschaftliche Trends, begleiten neue fachliche Entwicklungen wissenschaftlich, erarbeiten Prognosen für die Zukunft und liefern wichtige Impulse für die Fachpraxis.
Originalpublikation:
Studienbericht: Berufliche Orientierung im Strukturwandel. Ein Blick ins Mitteldeutsche Revier https://www.bismit.de/fileadmin/user_upload/pdf/Publikationen/DJI_BiSMit_Studienbericht_Berufsorientierung_gesamt_web.pdf
Weitere Informationen:
https://www.dji.de/veroeffentlichungen/aktuelles/news/article/1512-bessere-koordination-in-der-beruflichen-orientierung-schaffen.html Pressemitteilung des DJI mit weiterführenden Links