Die Bauwendewilligen
Impulse für eine neue, nachhaltigere Architekturlehre
Weniger ist oft mehr. Für die Architekturlehre ist dieser Ansatz radikal. Der Plattenbau in der Habersaathstraße 40–48 in Berlin-Mitte ist dafür ein gutes Beispiel. Trotz Wohnungsnot und knapper werdender Bauressourcen in Berlin werden weiterhin Gebäude abgerissen. Architekturstudierende der TU Berlin haben daher ein nachhaltiges Sanierungskonzept für den Wohnbau entwickelt. Anstatt auf neue Luxuswohnungen zu setzen, konzentrieren sie sich mit minimalen Eingriffen auf den Erhalt und die Umnutzung der Gebäude und berücksichtigen dabei besonders die Bedürfnisse der aktuellen Bewohnerinnen. „Eine solche Lösung als Haltung zu formulieren, ist in der Architektur noch revolutionär. In Zeiten von Klimakrise und schwindenden Ressourcen geht es nicht mehr darum, mit Neubauten Hochglanzwettbewerbe zu gewinnen, sondern um die Prinzipien des Bauens im Bestand und um nachhaltige Baumaterialien“, sagt Adrian Nägel, Gastprofessor am Fachgebiet „Architects for Health/Future“ am Institut für Architektur (IfA) der TU Berlin.
Zukunft Umbauen
Das Institut positioniert sich deutschlandweit als Vorreiter dieser neuen, nachhaltigen Architekturlehre, die sich auf die Bauwende ausrichtet. Im Leitbild „Zukunft Umbauen“ ist verankert, dass sich das Institut kritisch, kreativ und innovativ der Gestaltung von Gebäuden, Städten und Regionen widmet, mit einem Fokus auf Ressourcengerechtigkeit und Gemeinwohlorientierung. Studierende haben die Dringlichkeit der notwendigen Veränderungen bereits erkannt und kommen gezielt an die TU Berlin, um auch von Fachgebieten wie dem Natural Building Lab/Konstruktives Entwerfen und klimagerechte Architektur, Städtebau und Nachhaltige Stadtentwicklung oder Architektur der Transformation zu lernen. „An der TU Berlin verstehen wir Architektur als einen politischen Akt, der den nachhaltigen Wandel und die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt“, sagt Elisabeth Broermann, die sich die Gastprofessur mit Nägel teilt. „Wir ermutigen die Studierenden, sich auch politisch zu engagieren und den Diskurs über nachhaltiges Bauen in die Gesellschaft zu tragen.“
Ringvorlesung „Gemeinsam für die Bauwende“
Bisheriger Höhepunkt und Impulsgeberin für den deutschsprachigen Raum war die von der TU Berlin gemeinsam mit der RWTH Aachen initiierte Ringvorlesung „Gemeinsam für die Bauwende“ im Sommersemester 2024. Sie brachte 14 Hochschulen aus dem deutschsprachigen Raum zusammen. Bis zu 850 Zuschauende folgten den digital übertragenen Vorträgen und Diskussionen über die zehn Forderungen der „Architects for Future“ für eine Bauwende. Das Format war so erfolgreich, dass die Dekane- und Abteilungsleiterkonferenz für Architektur, Raumplanung und Landschaftsarchitektur die deutschen Fakultäten aufrief, die Bauwende in ihren Lehrplänen zu priorisieren.
In Zukunft soll die integrale Planung ein wichtiger Bestandteil des Studiums sein. Nur durch diesen interdisziplinären Ansatz könne die Bauwende erfolgreich vorangetrieben werden, so Broermann. Im Wintersemester beschäftigt sich ihr Fachgebiet mit Bestandsgebäuden in Brandenburg an der Havel, um zukunftsfähige, kreative Lösungen für sanierungsbedürftige Gebäude auf dem Land zu finden. „Die aktuelle Verlängerung der Abrissgenehmigung für die Habersaathstraße zeigt, wie wichtig es ist, die notwendige Bauwende politisch zu adressieren“, so Broermann. „Um den Ressourcenverbrauch zu reduzieren, muss der Abriss zur absoluten Ausnahme werden“, betont Adrian Nägel.
Kontakt:
Elisabeth Broermann
Fachgebiet Architects for Health/Future
TU Berlin
E-Mail: e.broermann@tu-berlin.de