Studie: Gene für die Einstellung der „inneren Uhr“ sind eng mit dem Alterungsprozess verknüpft
Gene, die den Tag-Nacht-Rhythmus steuern, sind mit zunehmendem Alter völlig anders ausgeprägt als in früheren Lebensphasen. Dabei scheint diese biologische Funktion direkt im Zentrum vieler Alterungsprozesse zu stehen, wie eine in der Fachzeitschrift Aging Cell veröffentlichte Studie der Universitätsmedizin Halle zeigt. Die Analyse untersuchte die Genaktivität von Mäusen unterschiedlichen Alters mithilfe künstlicher Intelligenz. Daraus könnten sich neue therapeutische Konzepte ergeben, um altersbedingten Prozessen entgegenzuwirken.
Wie man altert, hängt von äußeren Umwelteinflüssen, vom Lebensstil sowie den elterlichen Erbinformationen (Gene) ab und wie sich diese ausprägen: Alle Vorgänge im Körper werden von Genen und ihren Produkten gesteuert. Dazu wird die Erbinformation zunächst übersetzt und vervielfältigt, bevor z. B. funktionsfähige Proteine gebildet werden können. Untersucht man die Abweichungen in der Menge dieser Genprodukte, erhält man Einblicke in Veränderungen innerhalb des Körpers.
„Gerade in der Alternsforschung, wo unzählige zelluläre Prozesse mitwirken, kann die Analyse der Genproduktmengen helfen, entscheidende Faktoren des Alterns und damit verbundene Krankheitsprozesse aufzudecken“, erklärt Prof. Dr. Andreas Simm, Leiter des Graduiertenkollegs 2155 an der Universitätsmedizin Halle, das Schlüsselmechanismen des Alterns erforscht. In einer aktuellen Studie suchte sein Forschungsteam nach bisher unbekannten oder unterschätzten biologischen Vorgängen, die beim Altern eine Rolle spielen.
Außergewöhnlich große Datenbasis mit künstlicher Intelligenz ausgewertet
Oft werden in solchen Studien nur männliche Mäuse untersucht und dann sehr junge mit möglichst alten Tieren verglichen, um große Unterschiede in der Genregulation zu erhalten. „Diese Unterschiede haben möglicherweise nicht immer mit dem fortschreitenden Alterungsprozess zu tun, da in frühen Lebensphasen Wachstumsprozesse und zu späten Zeitpunkten Krankheitsprozesse wie Entzündungen relativ unabhängig von den eigentlichen Mechanismen des Alterns ablaufen. Auch das Geschlecht oder die Zuchtlinie der Tiere müssten die Untersuchungsergebnisse verzerren“, erklärt Erstautor der Studie, Dr. Patrick Winterhalter.
Für möglichst aussagekräftige und allgemeingültige Ergebnisse untersuchte das Forschungsteam deshalb die Genaktivität von männlichen und weiblichen Mäusen zu fünf Zeitpunkten, die sich über die gesamte Lebensspanne der Tiere verteilten. Außerdem bezogen sie jeweils sieben verschiedene Organe aus zwei Zuchtlinien mit ein. „Die außergewöhnliche Anzahl an biologischen Replikaten in unserer Studie ermöglichte eine enorme Datentiefe mit dem Ziel, auch schwer greifbare Veränderungen aufzuspüren.“ Insgesamt wertete die Forschungsgruppe mithilfe künstlicher Intelligenz fast 12.000 Genprodukte aus und bildete daraus ein Netzwerk mit mehr als 600 Genen, deren Aktivität sich abhängig vom Alter veränderte.
Neuer Knotenpunkt des Alterns im genetischen Netzwerk entdeckt
Besonders auffällig: Genprodukte, die den Tag-Nacht-Rhythmus (zirkadianer Rhythmus) steuern, sind im Alter deutlich verändert. Diese regulieren normalerweise die Zellfunktionen in Einklang mit tageszeitabhängigen Ereignissen wie Nahrungsaufnahme und Schlafen und helfen den verschiedenen Geweben und Organsystemen, ihre unterschiedlichen Aufgaben wahrzunehmen. „Wir konnten zeigen, dass der Zusammenhang zwischen dem zirkadianen Rhythmus und dem Altern viel ausgeprägter ist als bisher angenommen. Da es sich um einen Rückkopplungsmechanismus handelt, der sich täglich anpasst, ist es eventuell möglich, auf dieser Ebene des Alterungsprozesses einzuwirken – vielleicht schon durch einfache Dinge wie Alltagsroutinen und geregelten, höherwertigen Schlaf.“
Die Genprodukte des zirkadianen Rhythmus bildeten dabei den zentralen Knotenpunkt, mit dem viele weitere altersassoziierte Änderungen verbunden sind wie die des Immunsystems, der extrazellulären Matrix (z.B. Kollagen) oder des Energiestoffwechsels. Teil des zentralen Knotenpunkts waren auch solche Gene, die das Gleichgewicht und die Qualitätskontrolle des Proteinhaushalts regeln, der sogenannten Proteinhomöostase.
„Wenn die Proteinhomöostase aus den Fugen gerät, gilt dies als eines der bedeutendsten zellulären Kennzeichen des Alterns. Wir konnten erstmals zeigen, dass die dafür verantwortlichen Gene äußerst eng mit denen des zirkadianen Rhythmus verbunden sind und dass Genprodukte beider Vorgänge einen gemeinsamen Mittelpunkt im Netzwerk des Alterns bilden. Dieser Zusammenhang scheint fundamentaler Natur zu sein und könnte als biologischer Marker für den Alterungsprozess dienen“, fasst Winterhalter zusammen. „Wenn wir lernen, den Tag-Nacht-Rhythmus im Alter wiederherzustellen, wäre das ein vielversprechender therapeutischer Ansatz, um die Gesundheit und möglicherweise auch die Lebensdauer zu steigern.“
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Universitätsmedizin Halle
Universitätsklinik und Poliklinik für Herzchirurgie
Prof. Dr. Andreas Simm, Leiter Forschungslabor
andreas.simm@uk-halle.de
Dr. Patrick Winterhalter, Wissenschaftlicher Koordinator und Mitarbeiter
patrick.winterhalter@uk-halle.de
Originalpublikation:
Winterhalter PR, Georgevici AI, Gharpure NJ, Szabó G, Simm A. The circadian rhythm: A key variable in aging? Aging Cell. 2024 Jul 30:e14268. https://doi.org/10.1111/acel.14268
Weitere Informationen:
https://www.umh.de/einrichtungen/kliniken-und-departments/herzchirurgie/forschung Forschungslabor der Universitätsklinik und Poliklinik für Herzchirurgie an der Universitätsmedizin Halle