Die Genschere feinjustieren
Forschungsteam aus Würzburg und Braunschweig entdeckt neuartigen Mechanismus von Anti-CRISPR-Protein zur gezielten Steuerung von CRISPR-Technologien
Die Genschere CRISPR-Cas bietet vielfältige Anwendungsmöglichkeiten – von der Behandlung genetischer Erkrankungen über antivirale Therapien bis hin zur Diagnostik. Um die Sicherheit solcher Anwendungen zu gewährleisten, erforscht die Wissenschaft gezielt Blocker, die die Aktivität der Genschere steuern oder unterbinden können. Ein vielversprechender Inhibitor ist das Anti-CRISPR-Protein AcrVIB1, dessen Wirkmechanismus jedoch bislang unbekannt war. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg hat in Zusammenarbeit mit dem Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) die genaue Wirkweise von AcrVIB1 entschlüsselt. Dies erweitert die bekannten Wege, wie Acrs CRISPR ausschalten können. Die Ergebnisse sind heute im Fachmagazin Molecular Cell erschienen.
Zwischen Bakterien und ihren Viren, den sogenannten Phagen, herrscht seit jeher ein evolutionäres Wettrüsten. Um sich vor Phagenangriffen zu schützen, haben Bakterien raffinierte Abwehrmechanismen entwickelt, mit denen sie eindringende Viren erkennen und unschädlich machen können. Gleichzeitig haben Phagen ihrerseits ausgeklügelte Strategien gefunden, um diese Abwehr zu umgehen. Ein Paradebeispiel für diesen ständigen Kampf sind die CRISPR-Cas-Abwehrsysteme in Bakterien und die Anti-CRISPR-Proteine (Acrs) der Phagen, die diese bakterielle „Genschere“ gezielt blockieren können.
Abgesehen von ihrer Abwehrfunktion ermöglichen Anti-CRISPR-Proteine eine präzisere Steuerung von CRISPR-Technologien. Um ihr volles Potenzial auszuschöpfen, ist es jedoch wichtig, ihre zugrundeliegenden Mechanismen zu verstehen. Forschende am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI), einem Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), haben gemeinsam mit HZI-Wissenschaftler:innen die Funktionsweise eines bedeutenden, aber bisher nicht charakterisierten Anti-CRISPR-Proteins weiter aufgeklärt.
„In einer früheren Arbeit haben wir einen Deep-Learning-Algorithmus eingesetzt, um neue Acrs aufzuspüren. Das Ergebnis war die Entdeckung des ersten Anti-CRISPR-Proteins, das sich gegen die Cas13b-Nuklease richtet: AcrVIB1“, sagt HIRI-Forschungsabteilungsleiter Prof. Chase Beisel, der die Studie zusammen mit der Abteilung von Prof. Wulf Blankenfeldt am HZI geleitet hat. „Die Nuklease Cas13b kann RNA erkennen und schneiden. Derzeit wird sie verwendet, um Gene zu deaktivieren – sei es, um ihre Funktion zu untersuchen, Viren zu eliminieren oder genetisch bedingte Krankheiten zu bekämpfen.“ Wie das Protein AcrVIB1 Cas13b hemmt, blieb unbekannt – bis jetzt. In einer Studie, die heute im Fachmagazin Molecular Cell veröffentlicht wurde, stellt das Forschungsteam diesen gänzlich neuen Blockierungsmechanismus vor.
Eine RNA-Sackgasse
Die Nuklease Cas13b interagiert mit einer CRISPR-Ribonukleinsäure (crRNA, von englisch CRISPR ribonucleic acid), die als Leitmolekül dient, um komplementäre RNA-Sequenzen – etwa von Phagen – zu erkennen. Sobald die Ziel-RNA gebunden wird, kann Cas13b nicht nur diese komplementären RNA-Moleküle, sondern auch alle anderen RNAs in der Nähe spalten, was zu deren Abbau führt. Während ein Großteil der bekannten Anti-CRISPR-Proteine einzelne Schritte dieses Prozesses wie die crRNA-Bindung oder die Zielerkennung blockiert, nutzt AcrVIB1 einen anderen Ansatz: Das Protein unterbindet die Verbindung zwischen crRNA und Nuklease nicht, sondern verstärkt sie sogar. Das resultierende Paar ist jedoch dysfunktional, das Enzym kann also nicht mit dem Abbau von Ziel-RNAs beginnen, selbst wenn diese vorhanden sind. Außerdem wird die gebundene crRNA anfällig für den Angriff zellulärer Ribonukleasen, also Enzymen, die RNA-Moleküle abbauen.
„Die engere Bindung zwischen Nuklease und Leit-RNA war völlig unerwartet. Ein einfacherer und deswegen von uns zuerst erwarteter Mechanismus hätte darin bestanden, die Kopplung der Leit-RNA von vornherein zu verhindern“, ordnet Erstautorin Dr. Katharina Wandera, die im Labor von Chase Beisel promoviert hat, die Ergebnisse ein. „Der von AcrVIB1 eingeschlagene Weg scheint jedoch effektiver zu sein: AcrVIB1 bindet sich fest an Cas13b und inaktiviert so die Nuklease. Gleichzeitig beschleunigt es den Abbau der Leit-RNAs, sodass Cas13b zu einer Art ‘Sackgasse’ für crRNAs wird.”
Für eine präzisere Entschlüsselung der Struktur des Hemmmechanismus haben sich das Team von Chase Beisel am HIRI und das Labor von Wulf Blankenfeldt am HZI zusammengetan. Mittels hochauflösender Bildgebung durch Kryo-Elektronenmikroskopie zeigte Blankenfeldts Gruppe, dass AcrVIB1 an Cas13b bindet, während die crRNA-Bindungsregion frei bleibt. „Unsere Erkenntnis liefert eine Blaupause für die Entwicklung von Molekülen, die die Funktion des Anti-CRISPR-Proteins nachahmen oder verändern könnten“, sagt Blankenfeldt. Dies sind die ersten Daten aus der neuen Kryo-Elektronenmikroskopieanlage des HZI, die veröffentlicht wurden.
Ein weites Feld
„Wir könnten künftig Moleküle wie AcrVIB1 gezielt einsetzen, um CRISPR-Systeme in verschiedenen Anwendungen zu regulieren oder vorübergehend zu deaktivieren“, so Blankenfeldt. Diese Entdeckung bietet daher Potenzial, die Sicherheit und Präzision von CRISPR-basierten Technologien weiter zu verbessern.
„Die Entschlüsselung dieses Mechanismus bietet zudem wertvolle Einblicke in die Koevolution von Bakterien und Viren, die sich in einem ständigen Wettlauf befinden, um sich gegenseitig zu überlisten“, erklärt Wandera. Das Wissen könnte helfen, bakterielle Resistenzmechanismen besser zu verstehen und somit die Entwicklung neuer Antibiotika sowie Anwendungen in der synthetischen Biologie voranzutreiben.
Zusammenfassend trägt diese Studie nicht nur zum besseren Verständnis von Anti-CRISPR-Strategien bei, sondern ebnet auch den Weg für innovative Therapien und Diagnoseverfahren in der Medizin. „Doch das ist erst der Anfang: Es warten mit Sicherheit noch viele weitere Acrs und neuartige Hemmmechanismen auf ihre Entdeckung“, gibt Beisel einen Ausblick auf zukünftige Forschungsprojekte.
Förderung:
Die Studie wurde im Rahmen des Schwerpunktprogramms SPP 2141 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Förderung für Chase Beisel), durch einen Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats (Förderung für Chase Beisel) und des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (interne Förderung für Neva Caliskan, Wulf Blankenfeldt, Chase Beisel) unterstützt.
Diese Pressemitteilung und Bildmaterial finden Sie auch auf unserer Webseite unter dem Link https://www.helmholtz-hzi.de/media-center/newsroom/news-detailseite/die-genschere-feinjustieren/.
Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung:
Das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) ist die weltweit erste Einrichtung ihrer Art, die die Forschung an Ribonukleinsäuren (RNA) mit der Infektionsbiologie vereint. Auf Basis neuer Erkenntnisse aus seinem starken Grundlagenforschungsprogramm will das Institut innovative therapeutische Ansätze entwickeln, um menschliche Infektionen besser diagnostizieren und behandeln zu können. Das HIRI ist ein Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und befindet sich auf dem Würzburger Medizin-Campus. Weitere Informationen unter www.helmholtz-hiri.de.
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung:
Wissenschaftler:innen am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen in Braunschweig und an anderen Standorten in Deutschland bakterielle und virale Infektionen sowie die Abwehrmechanismen des Körpers. Sie verfügen über fundiertes Fachwissen in der Naturstoffforschung und deren Nutzung als wertvolle Quelle für neuartige Antiinfektiva. Als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) betreibt das HZI translationale Forschung, um die Grundlagen für die Entwicklung neuartiger Therapien und Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten zu schaffen. www.helmholtz-hzi.de
Pressekontakt:
Luisa Härtig
Manager Communications
Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI)
Josef-Schneider-Str. 2 / D15
97080 Würzburg
+49 931 31 86688
luisa.haertig@helmholtz-hiri.de
Originalpublikation:
Wandera KG, Schmelz S, Migur A, Kibe A, Lukat P, Achmedov T, Caliskan N, Blankenfeldt W, Beisel CL: AcrVIB1 inhibits CRISPR-Cas13b immunity by promoting unproductive crRNA binding accessible to RNase attack. Molecular Cell (2025); DOI: 10.1016/j.molcel.2025.01.020
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