Gefangen in einem magnetischen Käfig
Zu kontrollieren, wie Elektronen in Halbleitern interagieren, ist entscheidend für die Entwicklung elektronischer und optischer Bauelemente. Physikerinnen und Physiker der Universität Regensburg entdeckten nun einen überraschend effizienten neuen Mechanismus, mit dem die Wechselwirkung zwischen Elektronen variiert und ihre Bewegung sogar auf eine Dimension beschränkt werden kann: magnetische Ordnung.
Elektronik und Optoelektronik der Zukunft sind mehr denn je auf ultimativ kompakte Bauelemente angewiesen. Atomar dünne Schichten sogenannter Übergangsmetall-Dichalkogenide, die mittels Klebeband von Volumenkristallen abgezogen werden können, stehen daher seit einigen Jahren im Fokus der Festkörperforschung. Da sich Elektronen in diesen ultradünnen Schichten nur noch in zwei Dimensionen aus dem Weg gehen können, interagieren sie dort besonders stark. Dies äußert sich insbesondere in den optischen Eigenschaften. Trifft Licht auf diese Materialien, so können Elektronen energetisch angeregt werden und dabei je eine positiv geladene Fehlstelle, ein sogenanntes Loch, an ihrer ursprünglichen Position hinterlassen. Aufgrund ihrer gegensätzlichen Ladung kann das Elektron das Loch umkreisen und so einen gebundenen Zustand ähnlich einem Atom bilden, ein sogenanntes Exziton. Diese Teilchen verleihen dem Material völlig neue optische Eigenschaften, die durch strukturelle Anpassungen, wie dem Stapeln verschiedener atomar dünner Schichten, gezielt maßgeschneidert werden können – verlockende Aussichten für die Entwicklung hauchdünner Solarzellen und LEDs. Trotzdem sind praktische Anwendungen basierend auf diesen Materialien bislang schwer umzusetzen, da die derzeitigen Methoden, um atomare Lagen herzustellen, nicht mit einer industriellen Massenproduktion kompatibel sind.
Ein internationales Team von Physikerinnen und Physikern aus Regensburg, Ann Arbor, Prag und Dresden hat auf der Suche nach alternativen Möglichkeiten zur räumlichen Einschränkung und Kontrolle von Elektronen nun einen neuen Mechanismus in dem außergewöhnlichen Material Chromsulfidbromid (CrSBr) entdeckt, der nicht auf strukturelle Anpassungen angewiesen ist. Das Material CrSBr weist eine Schichtstruktur auf, in der die Spins der Elektronen – eine quanten-mechanische Eigenschaft, die ein magnetisches Moment erzeugt – innerhalb einer atomar dünnen Lage alle entlang einer Richtung ausgerichtet sind. Die Spin-Richtung der benachbarten Schichten ist dabei abhängig von der sie umgebenden Temperatur. Sind die Spins zweier benachbarter Lagen antiparallel ausgerichtet könnte dies die Elektronenbewegung auf eine einzelne Atomlage einschränken und so einen „magnetischen Käfig“ bilden.
Um diese Vermutung zu überprüfen, setzte das Team von Prof. Rupert Huber in Regensburg ultrakurze Laserblitze ein, die nur wenige Femtosekunden kurz sind – hundert Billionen Mal schneller als ein Wimpernschlag – um Exzitonen in dem Material anzuregen. Ein zweiter ultrakurzer Lichtimpuls, der im mittelinfraroten Bereich des elektromagnetischen Spektrums gewählt wurde, tastete die atomähnlichen Energieniveaus der Exzitonen ab, indem er spezifische Übergänge zwischen verschiedenen Orbitalen anregte. Mit dieser Methode, die man sich wie eine Zeitlupenkamera vorstellen kann, untersuchten die Forscher, wie sich die Exzitonen verhalten. Damit erhielten sie Einblick in ihre Bindungsenergie, Bewegung und Lebensdauer und schafften es sogar, die Bindungsstärke der Exzitonen in einem CrSBr-Kristall zu kontrollieren. Die dafür notwendigen hochwertigen Kristalle wurden vom Prager Team von Prof. Zdeněk Sofer gezüchtet. Durch systematische Variation der Temperatur beobachtete das Forschungsteam eine plötzliche Änderung in der Energiestruktur der Exzitonen, die direkt mit der magnetischen Ordnung des Materials zusammenhängt.
Eine komplexe Quantentheorie, entwickelt von der Gruppe um Prof. Mackillo Kira an der University of Michigan, analysierte diese Energieverschiebung auf mikroskopischer Ebene. Sie stellten fest, dass die Dimensionalität der Exzitonen von der magnetischen Ordnung vorgegeben wird. Wie erwartet, führt die antiparallele Spin-Ausrichtung bei niedrigen Tempera¬turen dazu, dass Elektronen und Löcher innerhalb einer einzigen Lage des Materials eingeschlossen werden. In Kombination mit der speziellen Kristallstruktur von CrSBr schränkt dieser „magnetische Käfig“ die Bewegung der Exzitonen innerhalb der Ebene weiter ein. Dadurch sind Exzitonen im Wesentlichen auf eine einzige Dimension begrenzt, was selbst in Kristallen mit Hunderten von Schichten zu hohen Bindungsenergien führt. Mit zunehmender Temperatur geht die Spin-Ausrichtung jedoch verloren, wodurch der magnetische Käfig aufgebrochen wird. Die Exzitonen können sich wieder frei entlang aller Raumdimensionen bewegen und über mehrere Schichten hinweg ausbreiten, was ihre Bindungsenergie drastisch verringert, jedoch gleichzeitig ihre Lebensdauer verlängert.
„Es war faszinierend zu sehen, wie wir das Verhalten dieser Exzitonen schlagartig verändern konnten, indem wir das Material abkühlten. Um sicherzustellen, dass dieses Verhalten eindeutig auf den magnetischen Phasenübergang zurückzuführen ist, haben wir in einem weiteren Experiment ein externes Magnetfeld angelegt. Dadurch konnten wir tatsächlich die Temperatur kontrollieren, bei der sich der magnetische Käfig öffnet“, erklärt Marlene Liebich, die Erstautorin der Studie. „Die magnetische Ordnung stellt eine neue Stellschraube dar, um Exzitonen und ihre Wechselwirkungen maßzuschneidern. Dies könnte zukünftige Elektronik- und Informationstechnologien entscheidend verändern“, ergänzt Dr. Niloufar Nilforoushan, eine Autorin der Studie.
Eine zweite Veröffentlichung zusammen mit Kollegen aus Dresden, New York und Prag, die zeitgleich in der Fachzeitschrift Nature Materials erschienen ist, ergänzt diese Erkenntnisse in hervorragender Weise. In dieser Studie wurde die magnetische Einschränkung von Exzitonen mit einer anderen Messmethode nachgewiesen, bei der das von der Probenoberfläche reflektierte Licht untersucht wurde. Dr. Florian Dirnberger, ein Autor beider Publikationen, zeigt sich begeistert: „Überraschenderweise ist der magnetische Einschluss so effektiv, dass man Exzitonen in verschiedenen atomar dünnen Schichten des Materials unterscheiden kann.“ In der Tat fand das Team heraus, dass Exzitonen an der Oberfläche deutlich andere Eigenschaften aufweisen als im Inneren des Materials.
Diese Ergebnisse eröffnen spannende Möglichkeiten für zukünftige spintronische Bauelemente und eine gezielte Steuerung von Phasenübergängen – eine einzigartige Perspektive für Technologien zur Informationsverarbeitung. Auch die neu beobachteten Oberflächen-Exzitonen könnten wesentlich zu diesen Fortschritten beitragen, da ihre unterschiedlichen Eigenschaften insbesondere für Sensoranwendungen von großer Bedeutung sind.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Rupert Huber
Lehrstuhl für Experimentelle und Angewandte Physik
Universität Regensburg
Tel.: 0941 943-2071
E-Mail: rupert.huber@ur.de
https://www.uni-regensburg.de/physics/huber/home/index.html
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1038/s41563-025-02120-1
https://doi.org/10.1038/s41563-025-02129-6
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