Die Pathologie ist für die Diagnose und Therapie seltener Erkrankungen unverzichtbar
Medienbriefing des Experten und DGP-Tagungspräsidenten Prof. Dr. Philipp Ströbel zur Unverzichtbarkeit der Pathologie für die Diagnose und Therapie seltener Erkrankungen am Beispiel Thymom
Am 28. Februar ist wieder der Tag der seltenen Erkrankungen. 6000 bis 8000 gibt es davon. Zum Beispiel erkranken jedes Jahr weniger als 200 Menschen in Deutschland an einem Thymom, einem Tumor im Brustkorb. Die Diagnose wird von Pathologen durch die Untersuchung einer kleinen Gewebeprobe des Tumors unter dem Mikroskop gestellt. Der Pathologe Prof. Dr. Philipp Ströbel, Direktor des Instituts für Pathologie der Universitätsmedizin Göttingen, untersucht die Gewebeproben von etwa 70 Prozent aller Thymom-Fälle in Deutschland. Denn die Pathologie in Göttingen ist derzeit die einzige Konsiliar- und Referenzpathologie für diese Gruppe von Tumorerkrankungen. Wir sprachen mit ihm über diesen seltenen Tumor, über die Rolle der Pathologie bei seltenen Erkrankungen und über die Zukunft seines Fachgebietes. „Mit der jetzigen Struktur der Pathologie halte ich es für nicht garantiert, dass die pathologische Versorgung der Bevölkerung in Zukunft funktionieren wird“, sagt er. Als Präsident der 108. DGP-Jahrestagung vom 12. bis 14. Juni 2025 in Leipzig regt Prof. Ströbel deshalb medizinische Fachgesellschaften, gesundheitspolitische Akteure, Kostenträger und Gesundheitspolitiker dazu an, die pathologische Diagnostik als unverzichtbaren Teil der Daseinsvorsorge anzuerkennen und ihre Zukunft gemeinsam zu diskutieren.
Zahlen – Daten – Fakten:
- Wenn weniger als 5 von 10.000 Menschen von einer Erkrankung betroffen sind, spricht man in der EU von einer seltenen Erkrankung. [1]
- 4 Millionen Menschen leiden allein in Deutschland an einer seltenen Erkrankung. [2]
- 6.000 bis 8.000 seltene Erkrankungen gibt es. [3], 300 davon sind seltene Krebserkrankungen. [3]
- Über 50 verschiedene raumfordernde Läsionen werden im menschlichen Körper allein im Mediastinum (Raum zwischen den Lungenflügeln, dem Brustbein und der Wirbelsäule) unterschieden – gutartige und bösartige. [4]
- Etwa 20 Prozent aller Läsionen im Mediastinum im Erwachsenenalter sind Thymome [5].
- Rund 180 Menschen erkranken in Deutschland jährlich neu an einem Thymom. [6] Etwa 20 verschiedene Subtypen von Thymomen und Thymuskarzinomen werden laut WHO-Klassifikation unterschieden. [5]
- Nur 1 Zentrum für Konsiliar- und Referenzpathologie für Thymome und Thymuskarzinome gibt es derzeit in Deutschland. [6]
Quellen:
[1] DocCheck
[2] Robert Koch-Institut
[3] European Reference Networks
[4] Springer Medizin
[5] International Thymic Malignancy Interest Group
[6] Institut für Pathologie der Universitätsmedizin Göttingen
Nachgefragt bei …Prof. Dr. Philipp Ströbel, Direktor des Instituts für Pathologie der Universitätsmedizin Göttingen und Tagungspräsident der 108. DGP-Jahrestagung vom 12. bis 14. Juni 2025 in Leipzig:
Vermutlich haben die meisten Menschen noch nie von einem Thymom gehört. Was ist das?
PS: Thymome sind seltene Tumoren und bilden sich im Thymusgewebe, einem Organ hinter dem Brustbein, das für unser Immunsystem zuständig ist. Hier werden Abwehrzellen – T-Lymphozyten – ausgebildet, um Krankheitserreger zu erkennen und zu bekämpfen. Im Mediastinum, dem Bereich zwischen den Lungenflügeln, dem Brustbein und der Wirbelsäule, unterscheidet man rund 50 verschiedene raumfordernde Läsionen, an denen ein Mensch erkranken kann. Thymome machen bei Erwachsenen etwa 20 Prozent dieser Läsionen aus, rund 180 Menschen in Deutschland erkranken jährlich daran. Das ist also eine seltene Tumorerkrankung, daneben weist sie auch eine enorme Variabilität auf: es existieren etwa 10 verschiedene Subtypen, die teilweise deutlich unterschiedlich therapiert werden. Die Diagnostik erfordert viel Erfahrung und teils spezialisierte Untersuchungsmethoden, die sich nur lohnen, wenn man häufiger mit diesen Tumoren zu tun hat.
Welche Rolle spielen Pathologinnen und Pathologen bei der Diagnose und Therapieplanung von seltenen Erkrankungen wie Thymomen?
PS: Bei vielen Erkrankungen, aber auch und besonders bei den seltenen Tumoren, spielen spezialisierte Pathologinnen und Pathologen bei der Diagnosefindung eine ganz zentrale und manchmal auch entscheidende Rolle. Wir geben den Klinikern und den Betroffenen durch unsere Diagnose auch Hinweise darauf, welche Therapiearten einbezogen werden sollten. Das ist eigentlich nicht unsere Aufgabe, aber gerade bei seltenen Erkrankungen haben wir häufig eine Beratungs- und Lotsenfunktion für die Therapiesteuerung. Trotz dieser Bedeutung ist die spezialisierte Pathologie gefährdet. Die Mehrzahl der aktiven Pathologinnen und Pathologen ist über 55 Jahre alt. Gerade bei den seltenen Erkrankungen verfügt oft nur eine Hand voll Pathologinnen und Pathologen über das nötige Spezialwissen – beispielsweise sind wir in Göttingen derzeit die einzige etablierte Konsiliar- und Referenzpathologie für Thymome und Tumoren des Mediastinums in Deutschland. Ob in 10, 15 Jahren noch jemand auf Thymome spezialisiert sein wird, ist aus heutiger Sicht reiner Zufall und alles andere als sicher. In anderen Bereichen – der Kinderpathologie, Knochenpathologie usw. – sieht es ähnlich aus, weil die langfristige Sicherung der Spezialisierung nicht organisiert, strukturell unterlegt und auch finanziell nicht abgebildet ist. Tatsächlich ist Konsiliarpathologie aufgrund des sehr hohen Zeitaufwands und der umfangreichen Diagnostik in vielen Fällen für die Trägereinrichtung ein Verlustgeschäft. Wenn wir daran nichts ändern, wird die pathologische Spezialversorgung künftig möglicherweise nicht mehr in allen Bereichen funktionieren.
Was muss konkret getan und verändert werden?
PS: Wir müssen einiges ändern. Um die Situation zu verbessern, schlage ich vor, mit einem zentralen Mapping zu beginnen. Ein Register würde uns ermöglichen, die spezielle Expertise in verschiedenen pathologischen Bereichen und Zentren in Deutschland systematisch zu erfassen – etwas, das bisher fehlt. Gleichzeitig könnten wir so die sich abzeichnenden Lücken identifizieren. Basierend auf diesen Erkenntnissen können wir dann die Maßnahmen diskutieren und planen, um uns nachhaltig und zukunftssicher aufzustellen – die aktuellen Strukturreformen im Gesundheitswesen mit der Zuweisung von definierten Aufgaben, verbunden mit der Anerkennung von Vorhaltekosten für bestimmte Leistungen zeigen die Richtung. Diese Aufgabe können wir jedoch nicht allein bewältigen. Deshalb möchte ich die diesjährige DGP-Jahrestagung auch als Auftakt nutzen, um Fachgesellschaften, Kostenträger und die Gesundheitspolitik auf die Situation in der Pathologie aufmerksam zu machen. Pathologie muss stärker im Gesundheitswesen der Zukunft mitgedacht werden. Als kleines Fach werden wir oft übersehen, dabei ist unsere Bedeutung unbestreitbar: Ohne Pathologie gibt es keine moderne Medizin, keine spezialisierten Zentren, keine personalisierte Onkologie und keine Diagnose seltener Erkrankungen.
Zitat:
Prof. Dr. Philipp Ströbel, Direktor des Instituts für Pathologie der Universitätsmedizin Göttingen und Tagungspräsident der 108. DGP-Jahrestagung vom 12. bis 14. Juni 2025 in Leipzig:
„Es ist dringend notwendig, Lösungen zu entwickeln, wie wir künftig eine ausreichende und qualitätsgesicherte pathologische Diagnostik sowohl in der Breite als auch in der Tiefe gewährleisten können. In der aktuellen Struktur der Pathologie sehe ich keine Garantie dafür, dass die diagnostische Versorgung der Bevölkerung in allen Bereichen mit der notwendigen Expertise künftig sichergestellt ist. Ich rufe alle medizinischen Fachgesellschaften, Kostenträger und die Gesundheitspolitik dazu auf, die pathologische Diagnostik als essenziellen Bestandteil der medizinischen Daseinsvorsorge anzuerkennen und gemeinsam mit uns an einer nachhaltigen Sicherung zu arbeiten.“
Originalpublikation:
https://www.pathologie-dgp.de/die-dgp/monatsthemen/
Weitere Informationen:
http://Ansprechpartnerin für Medienanfragen:
http://Beatrix Zeller, Tel: +49 30 25760 727
http://geschaeftsstelle@pathologie-dgp.de
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