Aminosäureprofile als Biomarker für die Muskelgesundheit älterer Menschen
Der Verlust von Muskelmasse und -kraft ist eine ernsthafte Herausforderung für die alternde Gesellschaft. Das Team um Prof. Kristina Norman vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) hat nun gezeigt, dass Aminosäureprofile als vielversprechende Biomarker für die Muskelgesundheit älterer Menschen dienen könnten. Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten, um Personen mit erhöhtem Risiko für Sarkopenie frühzeitig zu identifizieren und gezielte Interventionsstrategien zu entwickeln, um die Lebensqualität im Alter zu verbessern. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal Biogerontology veröffentlicht.
Die Komplexität des Alterns
Das Altern ist gekennzeichnet durch eine allmähliche und unvermeidliche Abnahme der Muskelkraft und -masse, die zu Sarkopenie führen kann. Der Verlust der Skelettmuskulatur ist individuell und hängt von Faktoren wie der körperlichen Aktivität, dem Alter, dem Geschlecht und der Stoffwechselgesundheit ab, was die Komplexität des Alterns als vielschichtigen Prozess verdeutlicht.
Die Erstellung von Aminosäureprofilen kann als Instrument zur Bewertung der Gesundheit der Skelettmuskulatur bei älteren Menschen dienen. Freie Aminosäuren sind im Blutplasma und in den Zellen verteilt, wo sie durch Stoffwechselveränderungen, Ernährung, Lebensstil und genetische Faktoren beeinflusst werden. Obwohl sie nur zwei Prozent der gesamten Aminosäuren im Körper ausmachen, spielen diese zirkulierenden Aminosäuren eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung der Skelettmuskelfunktion und sind an verschiedenen biologischen Prozessen beteiligt, z. B. Entzündungen und Insulinempfindlichkeit. Zudem werden sie mit dem altersbedingten Muskelabbau und den bei Sarkopenie beobachteten Stoffwechselveränderungen in Verbindung gebracht.
Zirkulierende Aminosäuren als Schlüssel zur Muskelgesundheit
Die Skelettmuskulatur dient als primäre Quelle für zirkulierende Aminosäuren, wobei der Gehalt proportional zur Muskelmasse ist. Diese Beziehung unterstreicht die Bedeutung der zirkulierenden Aminosäurekonzentrationen als Indikatoren für die Aminosäurehomöostase im Muskelgewebe. Bekannt ist, dass ältere Erwachsene mit körperlicher Gebrechlichkeit und Sarkopenie ein anderes Aminosäureprofil als ihre gesunden Altersgenossen zeigen, was darauf hindeutet, dass sich metabolische Veränderungen in den Konzentrationen der zirkulierenden Aminosäuren widerspiegeln.
Prof. Kristina Norman, Leiterin der Abteilung Ernährung und Gerontologie am DIfE, und ihr Team haben sich das Ziel gesetzt, ein Aminosäuremuster bei gesunden älteren Erwachsenen zu identifizieren, um zukünftige Biomarker für die Verschlechterung der Muskelgesundheit zu ermitteln. Dafür haben sie in ihrer aktuellen Untersuchung die Zusammenhänge zwischen freien Aminosäuren, Entzündungsfaktoren sowie Muskelmasse und -funktion bei älteren im Vergleich zu jüngeren Personen überprüft.
Junge und ältere Erwachsene im Vergleich
Die Wissenschaftler*innen analysierten die Daten von 131 gesunden Männern und Frauen, davon 30 junge Erwachsene im Alter von 18 bis 35 Jahre sowie 101 ältere zwischen 65 und 85 Jahren. In die Auswertung flossen die Messwerte für Gewicht, Größe, Body-Mass-Index (BMI) und Handgreifkraft ein, sowie die mittels Bioelektrischer Impedanz-Analyse erfasste Körperzusammensetzung und die daraus abgeleitete Skelettmuskelmasse und der Skelettmuskelmassenindex. In den entnommenen Blutproben ermittelten die Forschenden u. a. die Entzündungsmarker C-reaktives Protein und Interleukin 6. In Kooperation mit der DIfE-Abteilung Molekulare Toxikologie bestimmten sie mittels Ultrahochleistungs-Flüssigkeitschromatographie und Massenspektrometrie die Konzentrationen ausgewählter essenzieller (EAA) und verzweigtkettiger Aminosäuren (BCAA).
Wie zu erwarten war, hatten die älteren Proband*innen einen höheren BMI sowie eine geringere Skelettmuskelmasse und Handgreifkraft. Die Entzündungswerte unterschieden sich nicht signifikant zwischen den Altersgruppen. „Die älteren Erwachsenen hatten niedrigere Werte an EAA und BCAA. Diese veränderten Aminosäureprofile gehen mit der im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen geringeren Muskulatur sowie veränderten Entzündungswerten einher“, fasst Prof. Kristina Norman die wichtigste Erkenntnis der aktuellen Untersuchung zusammen. Die Auswertung ergab, dass EAA und BCAA positiv mit dem Skelettmuskelindex und der Handgreifkraft bei älteren Erwachsenen korrelieren. Damit wurde ein eindeutiger Zusammenhang zwischen essenziellen und verzweigtkettigen Aminosäuren und der Gesundheit der Skelettmuskulatur sowie Entzündungsmarkern bei gesunden älteren Erwachsenen nachgewiesen.
Zukunftsperspektiven: Von Biomarkern zu Präventionsstrategien
Diese Ergebnisse bestätigen die Resultate aus früheren Forschungsarbeiten, die zeigen, dass zirkulierende Aminosäuren den Gesundheitszustand der Muskeln in älteren Bevölkerungsgruppen widerspiegeln. Erstautorin Donna Li erklärt: „Unsere Analyse zeigt, dass Aminosäureprofile potenziell als frühzeitige Biomarker dienen könnten, um eine Verschlechterung der Muskelgesundheit zu erkennen. Als nächstes müssen wir Personen mit einer Sarkopenie untersuchen, um auch krankhafte Veränderungen der Aminosäurekonzentrationen zu verstehen.“ Prof. Norman ergänzt: „Wir brauchen weitere Studien, um zu verstehen, wie unsere Erkenntnisse in präventive und therapeutische Ansätze zur Erhaltung der Muskelgesundheit im Alter übertragen werden können.“
Letztlich gehe es darum, individuelle Interventionsstrategien, z. B. auf der Grundlage von Ernährung und Bewegung, zu entwickeln, die auf den Aminosäurestoffwechsel abzielen und die Muskelgesundheit im Alter fördern. Auf diese Weise könnte die Lebensqualität vieler älterer Menschen verbessert werden.
Hintergrundinformationen
Sarkopenie
Der altersbedingte Verlust von Muskelmasse und Muskelkraft wird als Sarkopenie bezeichnet. Dieser Zustand ist ein natürlicher Teil des Alterungsprozesses, beginnt jedoch oft nach dem 30. Lebensjahr und beschleunigt sich ab dem 60. Lebensjahr. Sarkopenie kann zu einer eingeschränkten Mobilität, reduziertem Gleichgewichtssinn und einer erhöhten Anfälligkeit für Stürze führen. Diese Veränderungen wiederum können die Unabhängigkeit und die Lebensqualität von älteren Menschen erheblich beeinträchtigen. Faktoren wie körperliche Inaktivität, unausgewogene Ernährung, chronische Krankheiten und hormonelle Veränderungen können das Risiko für Sarkopenie erhöhen. Die Behandlung und Prävention konzentriert sich auf regelmäßige körperliche Aktivität, insbesondere Krafttraining, sowie eine adäquate Versorgung mit Proteinen und anderen essenziellen Nährstoffen.
Aminosäuren
Aminosäuren sind die Grundbausteine der Proteine, die an nahezu allen biologischen Prozessen unseres Körpers beteiligt sind. Von den etwa 270 bekannten Aminosäuren sind lediglich 20 im Erbgut des Menschen angelegt, die sogenannten proteinogenen Aminosäuren. Diese werden in essenzielle (Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan und Valin) und nicht-essenzielle Aminosäuren (Alanin, Arginin, Asparaginsäure, Asparagin, Cystein, Glutamin, Glutaminsäure, Glycin, Histidin, Prolin, Serin und Tyrosin) unterteilt. Selenocystein hat als einzige essenzielle Aminosäure (EAA) keinen eigenen DNA-Code. EAA müssen über die Nahrung zugeführt werden, da der Körper sie nicht selber bilden kann. Eine ausgewogene Ernährung mit tierischen und pflanzlichen Proteinquellen wie Fleisch, Fisch, Eier, Milch, Getreide, Nüsse und Hülsenfrüchte deckt den täglichen Bedarf an essenziellen Aminosäuren. Zu den verzweigtkettigen Aminosäuren (Branched-Chain Amino Acids, BCAA) gehören Isoleucin, Leucin und Valin.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Kristina Norman
Leiterin der Abteilung Ernährung und Gerontologie am DIfE
Tel: +49 33 200 88 - 2280
E-Mail: kristina.norman@dife.de
Originalpublikation:
Li, C. W. D., Herpich, C., Haß, U., Kochlik, B., Weber, D., Grune, T., Norman, K.: Essential amino acids and branched-chain amino acids are associated with skeletal muscle and inflammatory parameters in older age. Biogerontology 26(2):66 (2025). [Open Access]
https://doi.org/10.1007/s10522-025-10206-1
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