Neuer Wirkstoff hemmt Staphylococcus aureus-Toxin – Hoffnungsträger bei Lungenentzündungen
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung entwickelt innovative Wirkstoffklasse zur Hemmung von Krankenhauskeimen
Eine internationale Forschungsgruppe unter Leitung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) hat einen vielversprechenden neuen Wirkstoffkandidaten gegen schwere Lungeninfektionen durch den Krankenhauskeim Staphylococcus aureus entdeckt. Die Studie, die gerade in Cell Host & Microbe veröffentlicht wurde, beschreibt erstmals, wie kleine Moleküle aus der Klasse der Quinoxalindione gezielt das bakterielle Toxin α-Hämolysin blockieren – einen zentralen Auslöser für Gewebeschäden und Entzündungen.
Lungenentzündungen mit dem Bakterium Staphylococcus aureus zählen zu den gefährlichsten Infektionen, die im Krankenhaus auftreten können. Besonders besorgniserregend sind multiresistente Stämme, gegen die viele Antibiotika nicht mehr wirken. Diese Erreger sind weltweit verbreitet und stellen selbst für moderne Gesundheitssysteme eine große Herausforderung dar. Trotz intensiver Therapie liegt die Sterblichkeit bei betroffenen Patientinnen und Patienten häufig über 20 Prozent.
„Selbst mit eigentlich wirksamen Antibiotika sind Infektionen mit Staphylococcus aureus oft schwer behandelbar“, sagt Prof. Mark Brönstrup, Letztautor der Studie und Leiter der Abteilung „Chemische Biologie“ am HZI. „Unsere neuartige Strategie greift daher nicht das Bakterium selbst an, sondern neutralisiert gezielt ein von ihm produziertes Toxin. Damit eröffnen wir eine neue therapeutische Perspektive – besonders für schwer erkrankte Menschen mit hohem Risiko.“
Es geht im neuen Forschungsansatz um die zielgerichtete Blockade des Schlüsselfaktors α-Hämolysin, eines Proteins, das in der Lunge Poren in Zellmembranen bildet und so zu Zerstörung von Lungengewebe und Immunzellen, Entzündung und letztlich zur Verschlechterung des Krankheitsverlaufs führt. Die Forschenden entwickelten ein miniaturisiertes Testsystem, mit dem sie über 180.000 Substanzen auf ihre Fähigkeit hin untersuchten, die Wirkung von α-Hämolysin zu blockieren. Wirkstoffkandidaten aus der Klasse der Quinoxalindione, insbesondere die Substanz H052, erwiesen sich dabei als hochwirksam, sowohl in Zellkultur als auch in Tiermodellen.
„Unser Ziel war es, einen niedermolekularen Wirkstoff zu entwickeln, der das Toxin unschädlich macht, bevor es Schaden anrichtet – und genau das leisten die Quinoxalindione“, sagt Dr. Aditya Shekhar, Erstautor der Studie. „Besonders beeindruckend war, dass wir nicht nur Zellen schützen, sondern auch bei infizierten Mäusen das Überleben signifikant verbessern konnten.“
Im Mausmodell konnte der Wirkstoff die Überlebensrate bei einer akuten Lungeninfektion mit dem hochvirulenten S. aureus-Stamm USA300 deutlich erhöhen, sowohl bei vorbeugender als auch bei therapeutischer Verabreichung. Gleichzeitig reduzierten sich Entzündungsmarker sowie die bakterielle Last in der Lunge von immunkompetenten Mäusen. Ebenfalls wirkungsvoll war die Kombination von H052 mit dem Antibiotikum Linezolid.
Neue Wege im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen
Das Konzept der sogenannten „Pathoblocker“, also Wirkstoffe, die bakterielle Virulenzmechanismen und nicht das Bakterium selbst hemmen, gilt als zukunftsweisend. Da kein Selektionsdruck auf das Bakterium ausgeübt wird, ist das Risiko für Resistenzentwicklung deutlich geringer.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich auch große bakterielle Toxine gezielt mit kleinen Molekülen hemmen lassen – das öffnet Türen für eine völlig neue Klasse von Antiinfektiva“, ergänzt Shekhar. Dank guter Herstellungsmöglichkeiten und Verträglichkeit könnte der Wirkstoffkandidat H052 insbesondere als Infusionspräparat in Kliniken eingesetzt werden – etwa zur Vorbeugung schwerer Lungenentzündungen bei Risikopatient:innen.
Die Forschung wurde maßgeblich am HZI in Braunschweig und im Rahmen des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) in enger Partnerschaft mit dem Lead Discovery Center (LDC) in Dortmund durchgeführt. Dafür erhielt das Forschungsteam eine Meilenstein-abhängige Förderung von der gemeinnützigen Vereinigung CARB-X (Combating Antibiotic-Resistant Bacteria Biopharmaceutical Accelerator) in Höhe von bislang 4,9 Mio. US-Dollar; weitere Mittel bis zum Ende der Phase 1 der klinischen Prüfung stellt CARB-X je nach Projektfortschritt in Aussicht.
Hintergrund: Verantwortungsvoller Umgang mit Tierexperimenten
Die in dieser Studie eingesetzten Tierversuche mit Mäusen wurden ausschließlich unter strenger Einhaltung der geltenden gesetzlichen Vorschriften und ethischen Standards durchgeführt. Ziel war es, mit möglichst wenigen Tieren aussagekräftige Daten zu generieren, die zur Entwicklung neuer Therapieoptionen für schwerkranke Patientinnen und Patienten beitragen können. Die gewonnenen Erkenntnisse stellen einen wichtigen Schritt dar, um langfristig tierversuchsfreie Modelle und klinische Anwendungen zu entwickeln.
Über CARB-X:
Der „Combating Antibiotic-Resistant Bacteria Biopharmaceutical Accelerator“ (CARB-X) ist eine global agierende, gemeinnützige Förderinitiative der Universität Boston, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Entwicklung innovativer Antibiotika zu beschleunigen und neuartige Therapeutika, Impfstoffe und Diagnostika zur Bekämpfung arzneimittelresistenter bakterieller Infektionen zu entwickeln. Unterstützt werden Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die entsprechende Produkte in frühen Phasen bis hin zur klinischen Phase I entwickeln. CARB-X konzentriert sich dabei auf die gefährlichen Bakterien, die in den Prioritätenlisten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der US-amerikanischen Behörde für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC) aufgeführt sind. Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), fördert CARB-X seit Anfang 2019 und unterstützt auch in der zweiten Förderphase ab 2023 die Partnerschaft mit weiteren rund 40 Mio. EUR. Insgesamt hat CARB-X seit seiner Gründung rund 400 Millionen US-Dollar in 92 Projekte weltweit investiert und fördert somit die weltweit größte und innovativste Pipeline an präklinischen Produkten und Produkten in der frühen Entwicklungsphase gegen Antibiotika-resistente Infektionen. Unterstützt wird die Arbeit von CARB-X und den darüber geförderten Portfoliofirmen von lokalen Akzeleratoren. Als ein solcher CARB-X-Akzelerator konnte sich das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) mit seinen Partnern, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI), innerhalb des CARB-X Global Accelerator Network (CARB-X GAN) etablieren. https://carb-x.org/
Die in dieser Pressemitteilung beschriebene Forschung wird durch die Kooperationsvereinbarung Nr. IDSEP160030 von ASPR/BARDA und durch Fördergelder des Wellcome Trust, des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung und den UK Global Antimicrobial Resistance Innovation Fund (GAMRIF) unterstützt, die von CARB-X verwaltet werden. Der Inhalt liegt in der alleinigen Verantwortung der Autoren und gibt nicht notwendigerweise die offiziellen Ansichten des Department of Health and Human Services Office des Assistant Secretary for Preparedness and Response, anderer Geldgeber oder von CARB-X wieder.
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Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung:
Wissenschaftler:innen am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen in Braunschweig und an anderen Standorten in Deutschland bakterielle und virale Infektionen sowie die Abwehrmechanismen des Körpers. Sie verfügen über fundiertes Fachwissen in der Naturstoffforschung und deren Nutzung als wertvolle Quelle für neuartige Antiinfektiva. Als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) betreibt das HZI translationale Forschung, um die Grundlagen für die Entwicklung neuartiger Therapien und Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten zu schaffen. www.helmholtz-hzi.de
Ihre Ansprechpersonen am HZI:
Susanne Thiele, Pressesprecherin
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Dr. Andreas Fischer, Wissenschaftsredakteur
andreas.fischer@helmholtz-hzi.de
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH
Presse und Kommunikation
Inhoffenstraße 7
D-38124 Braunschweig
Tel.: 0531 6181-1400; -1405
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Mark Brönstrup
Leiter Chemische Biologie
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
mark.broenstrup@helmholtz-hzi.de
Originalpublikation:
Aditya Shekhar et al.: Highly potent quinoxalinediones inhibit α-hemolysin and ameliorate Staphylococcus aureus lung infections. Cell Host & Microbe (2025). https://www.cell.com/cell-host-microbe/fulltext/S1931-3128(25)00089-7.
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