Out now: Beyond Borders
Zur Krisenfestigkeit grenzüberschreitender Verflechtungsräume – neuer Arbeitsbericht der ARL 38 Open Access verfügbar
Der von Florian Weber und Julia Dittel herausgegebene Sammelband nimmt inter- und transdisziplinär die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in europäischen Grenzregionen in den Fokus und analysiert die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie sowie aktueller Krisen auf die Krisenfestigkeit grenzüberschreitender Kooperationen.
Grenzüberschreitende Kooperationen weisen zwar unterschiedliche Geschwindigkeiten und Formen auf, sind aber fester und zentraler Bestandteil des europäischen Integrationsprozesses. Die Grundzüge der ‚modernen‘ grenzüberschreitenden Kooperation starteten kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, um die Gefahr neuerlicher kriegerischer Auseinandersetzungen zu minimieren.
Im Zuge des europäischen Integrationsprozesses verloren Grenzregionen ihr Image als Peripherien und ihre Bedeutung nahm zu. Die Möglichkeiten, die sich mit der Ausweitung des Schengen-Raums in Verbindung mit den vier Grundfreiheiten der EU zu freiem Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit und freiem Kapital- und Zahlungsverkehr für wachsende Austauschbeziehungen eröffnen, wirkten und wirken für grenzüberschreitende Regionen ‚beflügelnd‘. Die Europäische Kommission veröffentlichte dazu 2019 Zahlen, die zeigen, dass Grenzregionen 40 % des Territoriums, 30 % der Bevölkerung und fast ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes der EU ausmachen.
Die Arbeitsgruppe ‚Beyond Borders – zur Krisenfestigkeit grenzüberschreitender Verflechtungsräume‘ des ARL-Forums Mitte-Südwest nahm zunächst den deutsch-französischen ‚Grenzraum‘ und hier vor allem die sog. Großregion und ergänzend die Oberrhein-Region in den Blick. Darüber hinaus beteiligten sich Mitglieder aus der Bodensee-Region sowie aus dem deutsch-polnischen Grenzraum und brachten die dort vorzufindenden grenzüberschreitenden Verflechtungsräume in die Arbeit und den Austausch der Arbeitsgruppe ein, was eine sehr viel umfassendere Analyse der Thematik ermöglichte und den Wissens- und Erfahrungsaustausch substanziell erweiterte.
Die Covid-19-Pandemie als Zäsur
In allen betrachteten Grenzregionen brachten die Covid-19-Pandemie und einhergehende Grenzreglementierungen vielfältige Herausforderungen mit sich. Bereits in der ersten Welle der Pandemie im Frühjahr 2020 waren Rufe von Verantwortlichen laut geworden, grenzüberschreitende Kooperation müsse krisenfester werden – hier klingt Widerstandsfähigkeit als ein Aspekt von Resilienz an. Doch die Gesundheitskrise barg neben Problemen auch Potenziale: Im Laufe der pandemiegeprägten Jahre wurden immer wieder zumindest zeitweise tragende Lehren aus den Erfahrungen gezogen.
Dieses politische und mediale Schlaglicht, das zeitweise auf die Grenzregionen fiel, begünstigte vielfältige Formen der Anpassung und Schritte im Sinne einer Weiterentwicklung von Kooperationen. Vor diesem Hintergrund beleuchten die Beiträge der Publikation, welche Aspekte für die Resilienz grenzüberschreitender Kooperationen entscheidend sind.
Ein erster Themenblock umfasst Beiträge, die mit politisch-administrativer Schwerpunktsetzung konzeptuelle Reflexionen zu Krisen und Resilienz und empirische Fallbeispiele aus verschiedenen Grenzregionen vorstellen.
Ein zweiter Block untersucht anhand der Themen grenzüberschreitende Arbeitsmärkte, Raumbeobachtung und Infrastrukturen, wie krisenfest sich grenzüberschreitende Kooperation hier gezeigt hat.
Hemmende und fördernde Faktoren
Alle Grenzregionen weisen je historische Spezifika, Entwicklungspfade und Strukturen auf, gleichzeitig zeichneten sich in den Diskussionsprozessen der Arbeitsgruppe gewisse übergreifende Muster zu(un)gunsten der Resilienz heraus:
Zu den Faktoren, die negativ wirken und Resilienz einschränken können, zählen Sprachbarrieren, Vorurteile und Misstrauen. Hinzu kommen administrative und bürokratische Hemmnisse, wie begrenzte (finanzielle, personelle etc.) Kapazitäten, Herausforderungen im ‚Fördermitteldschungel‘, Verwaltungshürden und damit einhergehend Abstimmungsnotwendigkeiten im ‚Klein-klein‘. Grenzüberschreitende Kooperation wird so manches Mal im Verhältnis zu den ‚Pflichtaufgaben‘ nur als eine Aufgabe ‚on top‘ wahrgenommen, was gerade in Krisenfällen hemmend wirken kann. Zudem kann fehlendes grundlegendes wie persönliches Interesse an der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Krisenzeiten zur Herausforderung für Anpassungsbedarfe und Transformationspotenziale werden. Grenzregionale Belange müssen zudem mehr als ein ‚Elitenprojekt‘ sein. Wichtig ist es, Abstraktes greifbarer zu machen – so können bspw. zu wenige etwas mit der ‚Großregion‘ anfangen.
Resilienz positiv befördernd wirken enge persönliche Kontakte. Kennen Akteure einander, so ist es erheblich einfacher, auch in Krisenzeiten Handlungsfähigkeiten zu bewahren und Maßnahmen zum Umgang mit der Krise zu entwickeln bzw. umzusetzen. Damit verbunden sind grenzüberschreitende Akteursnetzwerke, die mit Nachdruck aufzubauen und aktiv zu halten sind, da ein regelmäßiger formeller wie informeller Austausch für gegenseitiges Vertrauen notwendig ist. Resümierend betrachtet kommen daher Kommunikation, Dialog und Vernetzung zentrale Bedeutung zu – und dies gilt über Akteure im grenzregionalen Kontext hinausgehend auch für Beziehungen zu Akteuren auf nationaler und europäischer Ebene.
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit erfordert Überzeugung und intrinsische Motivation gepaart mit gemeinsamen Themen, Zielen und Visionen, die von Toleranz, Respekt und gemeinsamen Werten getragen werden. Darüber hinaus braucht es Beharrlichkeit und einen ‚langen Atem‘, aber auch Kompromissbereitschaft und Offenheit für kreative und pragmatische Lösungen. Sollen Grenzregionen zu echten ‚living labs‘ europäischer Integration werden, benötigen sie noch stärkere europäische und nationale Unterstützung, immer gekoppelt an das Engagement bottom-up zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Kooperation.
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Die jetzt erschienene Publikation ist das Arbeitsergebnis einer inter- und transdisziplinär zusammengesetzten Arbeitsgruppe des ARL-Forums Mitte-Südwest, die den analytischen Blick bewusst geweitet und grenzüberschreitende Verflechtungsräume auch außerhalb der Bundesländer Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland – in welchen das ARL-Forum aktiv ist – untersucht und komparativ betrachtet hat. Die ARL – Akademie für Raumentwicklung der Leibniz-Gemeinschaft setzt sich aus exzellenten Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis zusammen. Gemeinsam erarbeiten wir zukunftsweisendes Wissen für die Gestaltung nachhaltiger Räume. Wir greifen gesellschaftliche Herausforderungen aus räumlicher Perspektive auf. Unser Wissenstransfer beginnt mit dem ersten Arbeitstreffen –kooperativ, praxisnah und wirkungsorientiert.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Fachliche Ansprechperson in der ARL
Dr. Martina Hülz
Tel. +49 511 34842-28
martina.huelz@arl-net.de
Originalpublikation:
Weber, F.; Dittel, J. (Hrsg.) (2025): Beyond borders – Zur Krisenfestigkeit grenzüberschreitender Verflechtungsräume. Hannover. = Arbeitsberichte der ARL 38. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0156-2502121443147.826053133975 https://doi.org/10.60683/f1pj-mh60
Weitere Informationen:
https://www.arl-net.de/de/projekte/lag-hessenrheinland-pfalzsaarland/blog Aktuelles aus dem ARL-Forum Mitte-Südwest
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