Workshop der Paul-Martini-Stiftung: Neue Wirkstoffe mit Naturvorbild
Am 10.04.2025 führt die Paul-Martini-Stiftung in Berlin den Workshop „Schatzsuche in der Natur: neue biogene Wirkstoffe für die antiinfektive und die Anti-Tumor-Therapie“ durch, geleitet von Prof. Dr. rer. nat. Rolf Müller vom Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS), Saarbrücken, und Prof. Dr. med. Stefan Endres vom Klinikum der LMU München. Es referieren und diskutieren Expertinnen und Experten aus Universitäten, Forschungsinstituten und Unternehmen mit weiteren Interessierten aus Forschung und Gesundheitswesen.
„Indem wir neue Naturstoffe identifizieren und ihre biologische Wirksamkeit aufklären, nutzen wir die Vorarbeit von vielen Millionen Jahren Evolution“, so Professor Müller. „Denn die Evolution hat Molekülstrukturen hervorgebracht, die an den unterschiedlichsten Stellen oft sehr gezielt in Lebensvorgänge eingreifen. Damit können sie Vorbild für neue Therapeutika sein.“
Etliche Medikamente aus dem 19. und 20. Jahrhundert enthalten Wirkstoffe, die Naturstoffen aus Bakterien, Pilzen oder Pflanzen nachgebildet sind oder sogar bis heute mit ihnen hergestellt werden. Die Pharmaforschung des 21. Jahrhunderts hingegen setzt zum größten Teil auf andere Strategien für die Entwicklung neuer Wirkstoffe. Doch in bestimmten pharmazeutischen Entwicklungsfeldern haben Naturstoffe weiterhin Relevanz, insbesondere wenn es um Infektionserkrankungen, Krebs oder Entzündungskrankheiten geht. Die Forschung dazu findet hauptsächlich in Forschungsinstituten und spezialisierten Biotech-Unternehmen statt – auch in Deutschland und Österreich, wie zahlreiche Vorträge des Workshops deutlich machen.
Antibiotika
Antibiotika mit neuen Wirkprinzipien werden gebraucht, um den zunehmenden Resistenzen gegen die zugelassenen Antibiotika begegnen zu können. Dass das natürliche Repertoire von antibakteriellen Substanzen bisher keineswegs ausgeschöpft wurde, zeigen Vorträge unter anderem anhand von Teixobactin-like Antibiotics die erst kürzlich aus Bodenbakterien identifiziert wurden. Sie greifen viele Bakterienarten auf neuartige Weise an ihren Zellwänden an. Ein weiterer Vortrag zeigt, wie andere ubiquitäre Raub-Bodenbakterien, die Myxobakterien, auf antibiotische Substanzen hin untersucht werden.
Im Fall von Tuberkulose ist der Einsatz der vorhandenen Antibiotika auch dann unbefriedigend, wenn die Erreger keine Resistenzen zeigen: Denn sie müssen monatelang eingenommen werden, mit meist unangenehmen Nebenwirkungen. Im Workshop wird daher auch vorgestellt, wie neue Tuberkulose-Wirkstoffe mit einer hochautomatisierten Technologie in Bodenbakterien gesucht werden.
Antikörper-Wirkstoff-Konjugate
Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (antibody drug conjugates, ADC) sind eine Klasse von Krebtherapeutika. Sie bestehen aus Antikörpern, an die ein oder mehrere Moleküle eines starken Zytostatikums gekoppelt sind. Der Antikörper ist jeweils so gewählt, dass er an ein Oberflächenprotein von Tumorzellen bindet. Werden ADCs als Infusion verabreicht, konzentrieren sie sich an den Tumorzellen und werden von diesen aufgenommen. Im Zellinnern werden die Zytostatika-Moleküle freigesetzt und schädigen die Tumorzelle, so dass diese abstirbt.
Für ADCs werden Zytostatika benötigt, bei denen schon wenige Moleküle für eine starke Zellschädigung ausreichen. Dafür haben sich Pharmaforscher:innen schon seit einigen Jahren vor allem an natürlichen Giftstoffen orientiert, wie sie etwa von bestimmten Bakterien, grünen Pflanzen oder Schnecken gebildet werden. Zu ADCs verarbeitet werden allerdings in der Regel nicht die Naturstoffe selbst, sondern synthetisch hergestellte Varianten davon.
Beim Workshop wird es unter anderem um neue Zytostatika-Komponenten für ADCs gehen, für die Giftstoffe aus Myxobakterien oder marinen Seehasen (die zu den Schnecken gehören) das Vorbild sind.
Wie man relevante Naturstoffe finden kann
Traditionell wurden pharmakologisch wirksame Naturstoffe meist dadurch gefunden, dass man Bakterien oder niedere Pilze im Labor kultivierte und dann die von ihnen gebildeten Stoffe analysierte. Seit längerem weiß man jedoch, dass der Forschung dabei viele Substanzen entgehen. Ein Grund ist, dass sich längst nicht alle diese Organismen mit klassischen Techniken im Labor halten lassen. Hier jedoch können neue Kultivierungs-Techniken den Suchraum wesentlich erweitern, wie sich etwa im Fall der Teixobactin-like Antibiotics gezeigt hat.
Ein zweiter Grund: Organismen bilden manche Substanzen nur in ganz bestimmten Situationen, etwa zur Verteidigung oder zur Kommunikation untereinander. Auch ist bei manchen Bakterienarten zu berücksichtigen, dass sie in der Natur in Symbiosen leben, etwa mit bodenlebenden Fadenwürmern, mit denen zusammen sie beispielsweise Insektenlarven töten. Im Workshop wird es unter anderem um geeignete Strategien gehen, mit denen man die Bildung der gesuchten Substanzen im Labor induzieren kann.
Statt nach den Substanzen selbst kann man auch die Gene identifizieren, mit deren Hilfe sie von einem Organismus gebildet werden. Ein Vortrag zeigt, dass dieses Genome-Mining auch auf prähistorische Organismen ausgedehnt werden kann, wenn von diesen noch DNA erhalten geblieben ist. Das weist den bemerkenswerten Weg zu Naturstoffen, die im Verlauf der Evolution verloren gegangen sind, aber für aktuelle medizinische Fragestellungen von Nutzen sein könnten.
Access- and Benefit Sharing
Mitunter verlangt diese Art von Forschung und Entwicklung nach einem Interessenausgleich zwischen einem Unternehmen, das ein Naturstoff-basiertes Produkt entwickelt hat, und traditionellen Nutzern desselben Naturstoffs oder den Ländern, in denen die Spezies beheimatet ist, von der dieser stammt. Dieses „Access and Benefit Sharing“ (ABS) wird im sogenannten Nagoya-Protokoll geregelt. Dieses enthält internationale Regeln für Gewährung und Erwerb von Nutzungsrechten an „genetischen Ressourcen“ (de facto: biologischen Ressourcen) und ist beispielsweise Grundlage für Lizenzverträge. Deutschland hat dieses Protokoll 2016 ratifiziert. Was es dabei für Arzneimittelentwickler zu beachten gilt, wird ein weiteres Thema des Workshops sein.
Die Paul-Martini-Stiftung
Die gemeinnützige Paul-Martini-Stiftung, Berlin, fördert die Arzneimittelforschung sowie die Forschung über Arzneimitteltherapie und intensiviert den wissenschaftlichen Dialog zwischen medizinischen Wissenschaftlern in Universitäten, Krankenhäusern, der forschenden Pharmaindustrie, anderen Forschungseinrichtungen und Vertretern der Gesundheitspolitik und der Behörden.
Träger der Stiftung ist der vfa, Berlin, der als Verband derzeit 46 forschende Pharma-Unternehmen vertritt.
Weitere Informationen:
https://www.paul-martini-stiftung.de/workshop/2025/materialien.html Abstracts von mehreren Vorträgen
https://www.vfa.de/adc zu Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten
https://www.cbd.int/abs/default.shtml zum Nagoya-Protokoll
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