Neue Studie zum EU-Emissionshandel: Was bringt der Kohleausstieg wirklich fürs Klima?
Eine neue Studie des Exzellenzclusters CLICCS an der Universität Hamburg analysiert die tatsächliche Klimawirkung des deutschen Kohleausstiegs bis 2038. Nationale Klimaschutzmaßnahmen entfalten oft nicht die gewünschte Wirkung, da sie nicht mit dem EU-Emissionshandel (ETS) abgestimmt sind. Der Kohleausstieg reduziert zwar die CO2-Emissionen in Deutschland, doch ein „internes CO2-Leck“ könnte die Einsparungen durch steigende Emissionen in anderen Ländern zunichtemachen. Zudem senkt der Kohleausstieg den Preis für Emissionsrechte, was andere Sektoren zu höheren Emissionen verleitet. Die Forscher plädieren für eine bessere Koordination nationaler und europäischer Klimapolitiken.
Text der Pressemitteilung:
Deutschland rühmt sich seines Kohleausstiegs bis 2038, doch dessen tatsächliche Klimawirkung ist umstritten. Eine neue Studie des Exzellenzclusters CLICCS der Universität Hamburg wirft ein überraschendes Licht auf solche nationalen Alleingänge. Die Forscher haben untersucht, wie sich überlappende Klimapolitik – also zusätzliche Maßnahmen einzelner Länder zu größeren politischen Beschlüssen wie dem EU-Emissionshandel (ETS) – auf die globalen Emissionen auswirken. Die Studie zeigt, was der Kohleausstieg wirklich gebracht hat – und wie zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen wirklich wirksam werden können.
„Einige nationale Klimaschutzmaßnahmen entfalten ihre volle Wirkung nicht, weil sie nicht mit dem ETS abgestimmt sind“, erklärt Studienautor Prof. Dr. Grischa Perino, außerdem Verfasser eines Gutachtens zum Kohleausstieg für das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Im ETS ist die Gesamtmenge an Emissionsrechten geregelt, die den Ausstoß von CO2 begrenzen. Diese Rechte können Unternehmen erwerben und handeln. Jahr für Jahr wird die Anzahl der Rechte verknappt. So soll eine Verringerung der Emissionen gemäß der EU-Klimaziele erreicht werden.
Parallel wurden Klimaschutzmaßnahmen wie der deutsche Kohleausstieg beschlossen – Fachleute sprechen hier von „überlappenden Klimapolitiken“. Die Ampelregierung zerbrach auch an der Frage, ob solche Maßnahmen zusätzlich zum ETS etwas bringen. So war die FDP der Meinung, es brauche neben dem ETS keine weiteren Maßnahmen. Zum Teil stimmt das sogar: „Wir müssen genau hinschauen, ob das, was national an Emissionen eingespart wird, nicht einfach woanders wieder freigesetzt wird“, sagt Klima-Ökonom Perino.
Perino und seine Kollegen beleuchten das Problem anhand von Beispielen weltweit, darunter auch des deutschen Kohleausstiegs. Für diesen ist das Ergebnis verhalten positiv: „Im rechtlichen Spielraum hat die Bundesregierung das Beste aus dem Gesetz gemacht. Zusammen mit den 2023 beschlossenen Änderungen auf EU-Ebene ist derzeit davon auszugehen, dass der deutsche Kohleausstieg zum Klimaschutz beiträgt“, erklärt Perino.
Leck im System
In Deutschland wurde der Kohleausstieg bis zum Jahr 2038 beschlossen. Grundsätzlich gibt es jedoch zwei Probleme: Schaltet Deutschland seine Kohlekraftwerke ab, verringert sich zwar hierzulande die schmutzige Stromproduktion. Weil aber Strom in einem vernetzten europäischen Markt gehandelt wird, können andere Länder mit ihren Kohlekraftwerken einspringen und die Lücke füllen. Dann wäre selbst ohne ETS die Klimawirkung in Wahrheit kleiner als man sie in Deutschland verbuchen würde – ein Phänomen, das die Forscher als „internes CO2-Leck“ bezeichnen.
Im schlimmsten Fall sind die anderen Kraftwerke weniger effizient oder nutzen schmutzigere Brennstoffe. Dann könnten die Emissionen sogar steigen. Für das Jahr 2020 beziffern die Forscher diese Verlustrate auf rund 55 Prozent. Das bedeutet, dass von jeder Tonne CO2, die Deutschland zu diesem Zeitpunkt einspart, mehr als die Hälfte durch zusätzliche Emissionen in anderen Ländern wieder zunichtegemacht werden können.
Der Wasserbett-Effekt
Das zweite Problem liegt im ETS: Der EU-Emissionshandel funktioniert wie ein Deckel auf den gesamten Emissionen von Sektoren wie Energie und Industrie. Wird in einem Land wie Deutschland die Nachfrage nach Emissionsrechten durch den Kohleausstieg reduziert, sinkt der Preis dieser Rechte. Das wiederum kann dazu führen, dass Unternehmen in anderen Sektoren oder Ländern mehr ausstoßen, da die Verschmutzung für sie billiger geworden ist.
Dieser sogenannte Wasserbett-Effekt sorgte in der Vergangenheit dafür, dass Maßnahmen einzelner Länder oft wirkungslos blieben. „Wie bei einem Wasserbett, bei dem man eine Stelle herunterdrückt und sich dadurch eine andere Stelle anhebt“, sagt Prof. Grischa Perino. Durch die Einführung der Marktstabilitätsreserve (MSR) im EU-Emissionshandel, vergleichbar mit einem Überdruckventil im Wasserbett, ist dieser Effekt zeitweise verschwunden, da sie automatisch freiwerdende Emissionsrechte löscht. Die MSR wird sich aber in absehbarer Zeit selbst deaktivieren. Dann ist der Wasserbett-Effekt wieder zurück.
Um sicherzustellen, dass auch in Zukunft zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen zur Reduktion der Gesamtemissionen beitragen, müsste man – um im Bild des Wasserbettes zu bleiben – die entsprechende Menge Wasser ablassen, also die Emissionsrechte löschen, sobald die MSR – das Überdruckventil im ETS – dies nicht mehr automatisch macht. Der Kohleausstieg ist bis dato die einzige Klimaschutzmaßnahme, die dies vorsieht und damit die Wirkung der MSR sinnvoll ergänzt. Daher kommt Grischa Perino zu dem Schluss, dass „alle durch den deutschen Kohleausstieg erreichten CO2-Einsparungen seit 2021 sehr wahrscheinlich in vollem Umfang die Gesamtemissionen in der EU reduzieren.“
Wie lange die Marktstabilitätsreserve noch automatisch die eingesparten Emissionen vom Markt nimmt, hängt davon ab, wie sich der Markt entwickelt und ob die Regeln des EU-Emissionshandels fortbestehen. Ob die Bundesregierung sich an den eigenen Plan hält, selbst erforderliche Emissionsrechte zu löschen und auf die Einnahmen aus deren Versteigerung zu verzichten, bleibt abzusehen. Davon hängt entscheidend ab, ob der deutsche Kohleausstieg auch in Zukunft eine echte Klimaschutzwirkung hat.
Wie Klimaschutz wirklich wirkt
Die Studie zeigt außerdem, wie mit dem ETS überlappende Klimapolitik besonders wirksam ist: Maßnahmen wie die Förderung erneuerbarer Energien sind wirksamer als solche, die versuchen, Verschmutzer direkt anzugehen. Wenn Deutschland etwa massiv in Wind- und Solarenergie investiert, drückt das den Strompreis und kann so auch in Nachbarländern die Nachfrage nach schmutzigem Strom aus Kohle und Gas senken.
Grischa Perino und seine Kollegen plädieren für eine besser abgestimmte Klimapolitik zwischen nationaler und europäischer Ebene und einen verlässlichen Emissionshandel. Weitere Maßnahmen sollten Investitionsanreize für saubere Alternativen bieten und den sozialen Ausgleich für die Bürgerinnen und Bürger beinhalten.
Die Probleme im ETS wirken sich auch auf den privaten Klimaschutz aus: Bürgerinnen und Bürger können das Klima grundsätzlich schonen, indem sie etwas tun, das nicht dem ETS unterliegt – etwa weniger Fleisch essen. Derzeit hilft es noch, weniger Auto zu fahren, Strom zu sparen oder weniger zu heizen. In den nächsten zwei bis drei Jahren wird sich dies jedoch ändern, da die MSR endet und der ab 2027 geltende ETS 2 für die Sektoren Wärme und Verkehr anders aufgebaut sein wird.
„Diese Argumente werden – zum Teil zu Recht, zum Teil zu Unrecht – genutzt, um Maßnahmen zu torpedieren“, erklärt Perino. Aktuelle Beispiele dafür sind das heikle Lindner-Papier vom November 2024 und die kleine Anfrage der FDP an die Bundesregierung in diesem Jahr. Beides stellte effektive Klimaschutzmaßnahmen in Frage. „Für den Kohleausstieg scheint das BMWK bisher alles richtig gemacht zu haben – beziehungsweise wurden Verfahrensfehler für das Jahr 2021 von der MSR ausgebügelt“, sagt Perino. Ob das genauso für die neue Bundesregierung gilt, ist noch offen.
Möchte man mehr erreichen als der ETS allein, helfen vier Daumenregeln:
1. Prüfen: Bevor man sich für eine Klimaschutzmaßnahme entscheidet, muss man prüfen, ob die Marktstabilitätsreserve noch aktiv ist.
2. Schnell sein: Die Maßnahme sollte wirksam werden, solange die MSR noch aktiv ist – also besser noch in diesem Jahr.
3. Alternativen fördern: Es ist immer besser, die Nachfrage nach beispielsweise schmutzigem Kohlestrom zu reduzieren (etwa durch die Anschaffung einer Solaranlage), statt die Emissionsquelle einfach abzuschalten. Letzteres birgt die Gefahr, dass stattdessen andere – womöglich noch schmutzigere – Quellen zum Einsatz kommen.
4. Löschen: Ist die MSR nicht mehr aktiv, müssen Emissionsrechte direkt gelöscht werden. Privatpersonen und Firmen können dies bei entsprechenden Organisationen veranlassen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Grischa Perino
Universität Hamburg
Exzellenzcluster Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS)
+49 40 42838-8767
E-Mail: Grischa.Perino@uni-hamburg.de
Thomas Merten
Universität Hamburg
Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN)
Exzellenzcluster “Climate, Climatic Change, and Society” (CLICCS)
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel: +49 40 42838-2134
E-Mail: thomas.merten@uni-hamburg.de
Originalpublikation:
Fachpublikation:
Perino G, Ritz RA, van Benthem AA (2025): Overlapping Climate Policies, The Economic Journal, Oxford University Press. https://doi.org/10.1093/ej/ueaf021
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