Studie: Gehirn lernt mit der Zeit das Ausblenden störender Reize
Das menschliche Gehirn kann durch Erfahrung lernen, störende und ablenkende Reize, etwa durch eine grelle Werbetafel am Straßenrand oder ein blinkendes Banner im Internet, auszublenden. Forschende der Universität Leipzig und der Vrije Universität Amsterdam haben mithilfe von Gehirnstrommessungen (EEG) herausgefunden, dass sich frühe visuelle Verarbeitungsprozesse des Menschen durch wiederholte Erfahrung verändern. Ihre gemeinsame Studie haben sie soeben in der Fachzeitschrift „The Journal of Neuroscience“ veröffentlicht.
Oftmals wird ein Ablenkungsfaktor leichter ignoriert, nachdem man ihm mehrmals begegnet ist. Diese erlernte Unterdrückung ist eine wichtige Komponente des menschlichen visuellen Systems, das ansonsten stark von der willkürlichen Aufmerksamkeitssteuerung beeinflusst wird. In einer Reihe von EEG-Experimenten mit 24 weiblichen und männlichen Probanden untersuchten die Forschenden, wie das Lernen die Aufmerksamkeit gegenüber auffälligen Ablenkungsreizen verändert, wenn diese Ablenkungsreize häufig an bestimmten Stellen auftreten. „Wir fanden übereinstimmende Hinweise darauf, dass Lernen die frühen Reaktionen im visuellen System auf diese Reize verändert“, sagt Dr. Norman Forschack vom Wilhelm-Wundt Institut für Psychologie der Universität Leipzig, einer der Autoren der Studie.
Die Testpersonen in den Experimenten hatten die Aufgabe, ein bestimmtes Zielobjekt ausfindig zu machen, etwa einen grünen Kreis unter grünen Rauten. Dazu wurde ein ablenkendes Reizobjekt, zum Beispiel eine rote Raute, häufig an derselben Stelle platziert. Die Analyse der Hirnaktivität ergab, dass das Gehirn mit der Zeit diese Position bereits in den ersten Momenten der visuellen Verarbeitung abschwächte. Zudem waren die Testpersonen deutlich besser bei der Suche nach dem Zielobjekt, wenn der Störreiz an der erlernten Position erschien, als wenn dieser an anderer Stelle auftauchte. „Diese Erkenntnisse verdeutlichen, dass unser Gehirn nicht nur auf auffällige Reize automatisch reagiert, sondern durch Erfahrung lernt, ablenkende Reize effizient auszublenden“, erklärt Forschack weiter. „Interessanterweise zeigte sich auch bei Zielreizen eine abgeschwächte visuelle Verarbeitung, wenn diese an der Position gezeigt wurden, an der häufig der Störreiz erschien“, ergänzt er.
Es bleibe offen, wie sich diese gewohnheitsbedingte Abschwächung visueller Verarbeitung auch im Alltag auswirkt, etwa bei Pendler:innen, die immer dieselben Strecken fahren. Eine konsistente Gestaltung von Straßen und Verkehrsumgebungen könne hilfreich für die Verkehrssicherheit sein, so die Forschenden. Dock Duncan von der Vrije Universität Amsterdam, Erstautor der Studie, resümiert: „Klar ist, dass etablierte Benutzeroberflächen oder Layouts von Lehrbuchkapiteln von Menschen automatisch erlernt und als nützlich empfunden werden und dieser Effekt sich bereits in der grundlegenden visuellen Verarbeitung widerspiegelt."
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Norman Forschack
Wilhelm-Wundt-Institut für Psychologie der Universität Leipzig
Telefon: +49 341 97 39533
E-Mail: norman.forschack@uni-leipzig.de
Originalpublikation:
https://www.jneurosci.org/content/early/2025/04/03/JNEUROSCI.1973-24.2025.abstract Veröffentlichung in „The Journal of Neuroscience“, Doi: 10.1523/JNEUROSCI.1973-24.2025
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