Zinsentscheidung: EZB sollte starkes Signal für die Wirtschaft setzen
Die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte heute den Einlagenzins um 25 Basispunkte auf 2,25 Prozent senken. Lena Dräger, Expertin für Geldpolitik, und Handelsforscher Julian Hinz sehen in der Maßnahme zwar einen weiteren Schritt zur geldpolitischen Lockerung, fordern jedoch ein stärkeres Signal angesichts der wirtschaftlichen Risiken für Realwirtschaft und Finanzmärkte, die sich insbesondere aus der eskalierenden Handelspolitik der USA ergeben.
„Die erwartete Zinssenkung ist kein Befreiungsschlag für die schwächelnde Konjunktur im Euroraum“, sagt Lena Dräger, Forschungsdirektorin der Gruppe Monetäre Makroökonomie am IfW Kiel. „Die Zentralbank folgt vielmehr ihrer bisherigen Linie, nach dem deutlichen Inflationsrückgang seit dem Höchststand Mitte 2023 allmählich auf ein normalisiertes Zinsniveau zurückzukehren. Durch die erratische Zollpolitik der US-Regierung haben sich jedoch die wirtschaftlichen Risiken für die Eurozone stark erhöht, weshalb ein größerer Zinsrückgang um 50 Basispunkte angemessen wäre.“
Die Inflationsrate in der Eurozone ist zuletzt wieder moderat zurückgegangen und lag im März 2025 bei 2,2 Prozent, also nahe dem Zielwert der EZB von 2 Prozent. Einzelne Gütergruppen wie Lebensmittel und Dienstleistungen verzeichneten höhere Preissteigerungsraten. Angesichts des schwachen Welthandels und der nach wie vor geringen Investitionsdynamik im Euroraum ist die wirtschaftliche Lage jedoch fragil. Vor allem Deutschland bleibt mit leicht negativen Wachstumsraten ein Sorgenkind.
Julian Hinz, Forschungsdirektor der Gruppe Handelspolitik am IfW Kiel, verweist auf die globalen Risiken: „Die Eskalation des Handelskriegs der USA mit China hat global die Risiken für Realwirtschaft und Finanzmärkte stark erhöht. Die zuletzt angekündigten US-Zölle von 10 Prozent auf die meisten EU-Produkte bleiben zwar hinter früheren Drohungen zurück, doch auch dieser Zollsatz ist fast fünf Mal so hoch wie bisher.“
Dies führe derzeit zu einem starken Euro sowie möglicherweise einer Zunahme an billigen Importen aus China nach Europa. Beides würde die Inflation in der Eurozone reduzieren. Eine Simulation zu den Effekten der Zölle auf Handelsströme mit dem KITE-Modell am IfW Kiel zeigt: Zölle von bis zu 145 Prozent auf fast alle US-Importe aus China und 10 Prozent auf alle übrigen Handelspartner könnten die Verbraucherpreise in der Eurozone um 0,2 bis 0,4 Prozent senken. Deutlichere Effekte ergeben sich laut der Simulation in China und den USA, wo die Preise um 2,7 Prozent fallen bzw. um etwa 5,5 Prozent steigen würden.
„Für extremere Zoll-Szenarien für die EU, wie die Anfang April verkündeten drastischen Zölle, zeigt die Simulation noch stärkere disinflationäre Effekte für die Eurozone“, so Hinz. „Neben diesen disinflationären Effekten belasten die Handelskonflikte insbesondere die exportorientierte Wirtschaft – die Rezessionsgefahr hat sich dadurch deutlich erhöht.“
Aus Sicht der EZB ebenso besorgniserregend sind die Effekte auf die Anleihen- und Aktienmärkte. Lena Dräger: „Auch wenn der Ernstfall zunächst abgewendet wurde, sind die Risiken für eine globale Finanzkrise so hoch wie zuletzt 2008 – oder sogar höher. Angesichts der negativen Aussichten für die Wirtschaft und die Finanzmarktstabilität sollte die EZB mit einem großen Zinsrückgang ein starkes Signal setzen.“
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