Gibt es steinzeitliche Megastrukturen am Ostseegrund? Neues Forschungsprojekt SEASCAPE startet mit Kick-off am IOW
Die westliche Ostsee birgt möglicherweise mehr kulturelles Erbe der Menschheit als bisher vermutet: Unterwasserlandschaften mit monumentalen, von steinzeitlichen Jägern und Sammlern errichteten Strukturen. Das interdisziplinäre Verbundforschungsprojekt SEASCAPE unter Federführung des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) will diesen einzigartigen Spuren nun nachgehen. Zum Auftakt der für drei Jahre geplanten Zusammenarbeit treffen sich heute Forschende aller beteiligten Partnerinstitutionen am IOW.
Ausgangspunkt des Projekts ist die Entdeckung einer etwa ein Kilometer langen Steinreihe am Grund der Mecklenburger Bucht vor Rerik in rund 21 Metern Wassertiefe, die an die Uferlinie eines versunkenen Sees grenzt. Erste Auswertungen deuten auf eine menschgemachte Jagdanlage aus dem späten Pleistozän hin, die vor ungefähr 11.000 Jahren entstand, als die Landschaft noch nicht überflutet war. Diese Hypothese soll nun im Rahmen des jetzt gestarteten Projekts mit Hilfe von geophysikalischen, geologischen und unterwasserarchäologischen Untersuchungen überprüft werden.
SEASCAPE widmet sich jedoch nicht nur diesem einzelnen Fundort. Ältere hydroakustische Aufnahmen geben Hinweise auf weitere potenzielle Megastrukturen in der Flensburger Förde und im Fehmarnsund, die bislang wissenschaftlich kaum erschlossen sind und die nun durch hochauflösende Kartierung eingehend analysiert werden sollen. Darüber hinaus sollen die damaligen Umweltbedingungen rekonstruiert und die Frage nach dem menschlichen Ursprung und der kulturellen Funktion dieser Anlagen geklärt werden. Ziel von SEASCAPE ist es, ein umfassenderes Bild der vormals terrestrischen Kulturlandschaften am Grund der heutigen Ostsee zu rekonstruieren und so neue Einblicke in die Lebensweise der frühsteinzeitlichen Jäger und Sammler zu gewinnen und damit auch neue Perspektiven auf die frühgeschichtliche Entwicklung Nordeuropas eröffnen.
„Mit SEASCAPE betreten wir wissenschaftliches Neuland – nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes unter der Meeresoberfläche, sondern auch durch die enge Verbindung sehr verschiedener Disziplinen – Geophysik, Archäologie und Paläo-Umweltforschung – ohne die eine sinnvolle Interpretation der Strukturen nicht möglich wäre“, hebt Jacob Geersen anlässlich des Auftaktreffens hervor. Geersen ist Meeresgeologe am IOW und leitet das Projekt. Weitere wissenschaftliche Partner neben dem IOW sind das Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA), die Universität Rostock und die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Darüber hinaus begleiten das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern sowie das Archäologische Landesamt Schleswig-Holstein das Vorhaben als verantwortliche Behörden für den Schutz des Kulturerbes. Beim heutigen Auftaktreffen mit Vorträgen und ausführlichen Diskussionen wollen sich die beteiligten Forschenden näher kennenlernen, schon durchgeführte, zum Projekt gehörende praktische Arbeiten vorstellen und zukünftige Aktivitäten vorbereiten.
SEASCAPE knüpft auch an frühere, am IOW durchgeführte Forschungsarbeiten an, bei denen bereits in den frühen 2000er Jahren versunkene Seen und alte Uferlinien am Ostseegrund geophysikalisch erfasst und kartiert wurden. Diese Untersuchungen lieferten wichtige Erkenntnisse über die Paläolandschaftsentwicklung der westlichen Ostsee und sind wertvolle Basis für SEASCAPE.
Das Projekt SEASCAPE wird im Rahmen der Förderlinie „Kooperative Exzellenz“ des Leibniz-Wettbewerbs gefördert, die gezielt Projekte unterstützt, für deren Gelingen kooperative Vernetzung eine wichtige Grundvoraussetzung ist, sowohl innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft als auch mit Institutionen außerhalb. Die Förderung beträgt knapp 1 Million Euro und ist für drei Jahre vorgesehen. Im Dezember 2024 wurde das Forschungsvorhaben von SEASCAPE bereits mit dem Anerkennungspreis des Norddeutschen Wissenschaftspreises ausgezeichnet – eine Wertschätzung für die visionäre Verbindung von Meeresgeologie, Archäologie und Kulturlandschaftsforschung.
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