Triumph für das Standardmodell der Physik
Nach jahrelanger Forschung am magnetischen Dipolmoment von Myonen konnten Theorie und Experiment nun endlich präzise verglichen werden – mit ausgezeichneter Übereinstimmung. Die TU Wien war beteiligt.
Eine der ganz großen Lücken der modernen Physik könnte nun geschlossen sein: Jahrelang rätselte man, warum die Messergebnisse zum magnetischen Moment von Myonen nicht zu den Berechnungen passen, die man aus dem allgemein akzeptierten Standardmodell der Teilchenphysik ableiten kann. Es schien eine Diskrepanz zu geben, die sich mit bekannten Ungenauigkeiten nicht erklären ließ.
Doch nun wurde in jahrelanger Arbeit die quantenphysikalische Berechnung verfeinert – mit maßgeblicher Beteiligung aus Österreich: Prof. Anton Rebhan (Institut für Theoretische Physik, TU Wien) war einer von zehn KoordinatorInnen für die vier Hauptkapitel des Projekts. Unter den über 200 Autor_innen der theoretischen Arbeit sind drei von der TU Wien, zwei von der Universität Wien und einer von der Universität Graz.
Die verbesserten Berechnungen – mit einer Präzision von zehn Nachkommastellen – stimmen mit den bekannten Messdaten (im Rahmen der erwartbaren Genauigkeit) überein, die lange vermutete Diskrepanz hat sich aufgelöst. Eine Woche nach deren Publikation lieferte auch das FermiLab (USA) verbesserte, noch genauere experimentelle Daten dazu, in einem 7 Jahre dauerndem Experiment, das nun seinen Abschluss fand. Es ist eine der bisher größten und wichtigsten Bestätigungen für das Standardmodell der Teilchenphysik.
Das magnetische Moment der Myonen
Myonen sind instabile Elementarteilchen, die den Elektronen ähneln, aber rund 200mal mehr Masse haben. Sie können beispielsweise entstehen, wenn kosmische Strahlung auf unsere Atmosphäre trifft, deshalb werden wir auch auf der Erdoberfläche ununterbrochen mit Myonen bombardiert.Wie stark sie mit Magnetfeldern wechselwirken wird durch eine Zahl beschrieben – durch das „magnetische Moment“.
„Das magnetische Moment der Myonen ist für die Teilchenphysik ganz besonders interessant, weil es durch die hohe Masse der Myonen sensitiv auf alle fundamentalen Kräfte des Standardmodells ist“, sagt Prof. Anton Rebhan von der TU Wien. „Man muss die Physik unterschiedlicher Teilchensorten und ihr Zusammenspiel also sehr gut verstehen, um das magnetische Moment von Myonen so präzise ausrechnen zu können.“ Daher gilt diese Zahl seit vielen Jahren als wichtiger Testfall, mit dem man untersuchen kann, ob das Standardmodell, das Fundament der modernen Teilchenphysik, tatsächlich stimmt.
Die scheinbare Diskrepanz
Jahrelang sah es aber so aus, als gäbe es hier ein Problem: Mehr als vier Standardabweichungen betrug die Diskrepanz zwischen den Daten des FermiLab, wo im Feld eines großen supraleitenden Magneten die Eigenschaften von Myonen gemessen wurden, und den besten verfügbaren Rechnungen – viel mehr als sich durch gewöhnliche Messungenauigkeit erklären ließe.
„Das magnetische Moment von Myonen ist aber nicht einfach eine Zahl, die man in einer simplen Rechnung aus den Formeln des Standardmodells ableiten kann“, erklärt Anton Rebhan. „Es gibt eine lange Liste komplizierter Effekte, die alle einen Einfluss auf das Ergebnis haben. Und es ist wissenschaftlich sehr herausfordernd, sie alle zu berücksichtigen und korrekt zusammenzufügen.“ Eine zentrale Rolle dabei spielen Quantenfluktuationen – zufällige Ereignisse, die sich im Vakuum ununterbrochen ereignen, und von allen Elementarteilchensorten abhängen, die es gibt.
Manche Parameter, die man für die Berechnung braucht, konnte man bisher gar nicht mathematisch ermitteln, sie wurden aus anderen Experimenten übernommen. Bei anderen Parametern muss man sich mit Näherungsrechnungen zufriedengeben. In den letzten Jahren gelangen in diesem Bereich aber große Fortschritte – etwa mit extrem aufwändigen Computersimulationen, deren Ergebnisse man heute in die Berechnung mit einbeziehen kann, sodass man nicht mehr auf experimentell gemessene Parameter zurückgreifen muss.
Hervorragende Übereinstimmung
Durch diese verbesserten theoretischen Arbeiten konnten frühere Berechnungen nun korrigiert werden – und das Ergebnis stimmt beeindruckend gut mit den bekannten Messdaten überein. Es lieferte die Vorhersage für das finale Ergebnis des Experiments am Fermilab, das eine Woche später diese Übereinstimmung nochmals erhärten konnte.
Und so zeigt sich nun: Theorie und Experiment stimmen hervorragend überein. Es ist ein weiterer Triumph für das Standardmodell. „Es zeigt, dass unser Standardmodell der Teilchenphysik eine extrem gute Beschreibung der Wirklichkeit ist“, sagt Anton Rebhan. „Darauf kann man wirklich stolz sein, dass wir als Spezies es geschafft haben, diesen Grad von Präzision zu erreichen. Wer weiß, vielleicht gibt es in unserer ganzen Galaxie keine Zivilisation, die es so weit gebracht hat.“
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Anton Rebhan
Institut für Theoretische Physik
Technische Universität Wien
+43 1 58801 13620
anton.rebhan@tuwien.ac.at
Originalpublikation:
A Aliberti et al., The anomalous magnetic moment of the muon in the Standard Model: an update
https://arxiv.org/abs/2505.21476
Weitere Informationen:
http://Presseaussendung der Experiment-Gruppe am Fermilab:
https://news.fnal.gov/2025/06/muon-g-2-most-precise-measurement-of-muon-magnetic-anomaly/
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