Antibiotikatherapie: Ist kürzer genauso wirksam?
Bei Kindern mit ambulant erworbener Lungenentzündung zeigt eine kürzere Antibiotikatherapie vergleichbare Erfolge wie eine längere. Eine generelle Aussage zu verkürzten Einnahmedauern ist jedoch nicht möglich.
Im Auftrag des IQWiG hat ein Wissenschafts-Team unter der Leitung der Universität Freiburg untersucht, ob eine verkürzte Einnahmedauer von Antibiotika zu vergleichbaren Behandlungsergebnissen wie eine längere führt. Demnach zeigt sich für die beiden im ThemenCheck-Bericht konkret untersuchten Erkrankungen folgendes Bild:
Es bleibt unklar, ob Kinder und Jugendliche mit einer akuten Mittelohrentzündung von einer kürzeren Antibiotikatherapie profitieren. Für Amoxicillin, dem Antibiotikum der ersten Wahl, braucht es weitere gute Studien.
Bei Kindern mit einer ambulant erworbenen Lungenentzündung ist der Therapieerfolg einer kürzeren Antibiotikatherapie vergleichbar gut wie bei einer üblichen Behandlungsdauer. Für Erwachsene und Jugendliche mit dieser Erkrankung fehlen jedoch entsprechende Studien. „Solche Studien wären aber dringend nötig und sind auch machbar, wie hier die Studienlage bei Kindern zeigt“, betont Corinna Schaefer, Leiterin des IQWiG-Ressorts Versorgung und Leitlinien. „Denn ein bewusster und möglichst sparsamer Umgang mit Antibiotika ist angesichts der zunehmenden Resistenzen wichtig.“
Ist kürzer besser, um Resistenzen zu vermeiden?
Antibiotika werden bei bakteriellen Infekten eingesetzt. Sie führen zu einer Symptomlinderung der Erkrankung und zu einer Beschleunigung der Genesung, indem sie das Bakterienwachstum hemmen oder Bakterien abtöten.
Die Anwendung von Antibiotika ist aber immer mit der Gefahr verbunden, dass sich Resistenzen entwickeln. Um dieses Risiko zu verringern, wurde von vielen in der Infektionsmedizin praktizierenden Ärztinnen und Ärzten angenommen, dass eine ausreichend lange Behandlung notwendig sei – auch dann, wenn die Symptome der Patientinnen und Patienten bereits abgeklungen sind. Mittlerweile propagieren viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber auch den Ansatz „shorter is better“.
In diesem Zusammenhang hatte ein Bürger dem IQWiG im Rahmen des ThemenCheck Medizin die Frage gestellt, ob eine kürzere im Vergleich zu einer längeren (üblichen) Einnahmedauer von Antibiotika zu vergleichbaren Behandlungsergebnissen führt.
Weitere Studien sind notwendig
Vor diesem Hintergrund untersuchte dieser ThemenCheck-Bericht den Vergleich einer kürzeren Antibiotikatherapie zu einer längeren Antibiotikatherapie bei den bakteriellen Infektionskrankheiten akute Mittelohrentzündung bei Kindern und ambulant erworbene Lungenentzündung bei Kindern und Erwachsenen.
Für die akute Mittelohrentzündung identifizierte das Team zwölf geeignete Studien, die sieben verschiedene in Deutschland zugelassene Antibiotika (z. B. Penicillin oder Amoxicillin) hinsichtlich der Auswirkungen verschiedener Einnahmedauern bei Kindern im Alter zwischen einem Monat und 14 Jahren untersuchten. Ihr Ergebnis nach der Auswertung dieser Studien: Weder für den Endpunkt Therapieerfolg, noch für die Endpunkte Widerauftreten der Infektion, unerwünschte Ereignisse oder Mortalität zeigt sich ein Anhaltspunkt für eine Nichtunterlegenheit der kürzeren Therapiedauer bei einem der untersuchten Antibiotika. Dies bedeutet aber nicht, dass die kürzere Therapiedauer unterlegen ist, sondern nur, dass es keinen sicheren Nachweis gibt, ob sie gleichwertig ist.
Für die ambulant erworbene Lungenentzündung bei Kindern untersuchten sieben Studien die Einnahmedauer des Antibiotikums Amoxicillin. Durchschnittlich lag das Alter der eingeschlossenen Kinder in den meisten Studien bei ein bis zwei Jahren, wobei in den meisten Studien die maximale Altersgrenze für den Studieneinschluss zwischen fünf und zehn Jahren lag. Die eingeschlossenen Studien untersuchten fünf unterschiedliche Vergleiche von kurzer und längerer Antibiotikadauer (z. B. drei vs. fünf Tage oder fünf vs. zehn Tage).
Die Ergebnisse für diese Indikation: Bei Kindern mit ambulant erworbener Lungenentzündung führt eine kürzere Behandlungsdauer zu einem vergleichbaren Therapieerfolg wie eine längere Antibiotikabehandlung. Kinder hatten bei einer dreitägigen Behandlung weniger Nebenwirkungen, wie z. B. Magen-Darm-Infekte, als Kinder nach fünftätiger Behandlung. Für die Endpunkte Wiederauftreten und Mortalität zeigte sich kein Anhaltspunkt für eine Nichtunterlegenheit der kürzeren Antibiotikatherapie.
Für Erwachsene und Jugendliche mit ambulant erworbener Lungenentzündung fehlen Studien, in denen eine kürzere Antibiotikatherapie mit einer herkömmlichen Dauer verglichen werden.
Zusammenfassendes Fazit aus Sicht des IQWiG
Eine generelle Aussage zu einer verkürzten Einnahmedauer von Antibiotika ist derzeit nicht möglich. Auch für die im ThemenCheck-Bericht untersuchten Erkrankungen (akute Mittelohrentzündung und ambulant erworbene Lungenentzündung) zeigt sich kein einheitliches Bild.
Vor dem Hintergrund dieser unsicheren Ergebnisse ist für die Wahl des Therapieregimes - etwa bei akuter Mittelohrentzündung - eine gemeinsame Entscheidungsfindung nötig, bei der nicht nur individuelle (z. B. unerwünschte Wirkungen, Therapietreue, Therapieerfolg), sondern auch Public-Health-Aspekte eine Rolle spielen können:
Eine kürzere Antibiotikatherapie ist umwelt- und ressourcenschonend sowie ethisch, rechtlich und sozial vertretbar. Insbesondere das Prinzip des Antibiotic Stewardship mit dem Ziel, das Risiko von Resistenzen zu minimieren, könnte für eine verkürzte Therapie sprechen.
Gleichzeitig bleiben Fragen offen: Welche Einnahmedauer ist für weitere Antibiotika, Altersgruppen und Indikationen aus Perspektive der Nutzenbewertung und der gesundheitsökonomischen Bewertung optimal? Welche (verkürzte) Therapiedauer ist am geeignetsten? Hinsichtlich dieser letzten Frage könnte die im ThemenCheck-Bericht identifizierte laufende Studie aus Australien, die eine Behandlung über 2, 3, 4 und 5 Tage mit Amoxicillin bei Kindern mit ambulanter Lungenentzündung vergleicht, Ergebnisse und Aufschluss liefern.
Der ThemenCheck Medizin
Interessierte können im Rahmen des ThemenCheck Medizin Vorschläge für die Bewertung von medizinischen Verfahren und Technologien einreichen. In einem zweistufigen Auswahlverfahren, an dem auch Bürgerinnen und Bürger beteiligt sind, werden aus den eingereichten Vorschlägen pro Jahr bis zu fünf neue Themen ausgewählt, die für die Versorgung von Patientinnen und Patienten von besonderer Bedeutung sind. Die ThemenCheck-Berichte werden nicht vom IQWiG selbst verfasst, sondern von externen Sachverständigen. Deren Bewertung wird gemeinsam mit einer allgemein verständlichen Kurzfassung und einem IQWiG-Herausgeberkommentar veröffentlicht.
Die vorläufigen Ergebnisse des Berichts „Antibiotikatherapie: Führt eine verkürzte Einnahmedauer zu vergleichbaren Behandlungsergebnissen?“ hatte das Institut im Januar 2025 als vorläufigen ThemenCheck-Bericht veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Nach Ende des Stellungnahmeverfahrens wurde der Bericht überarbeitet und jetzt in seiner finalen Fassung veröffentlicht.
Originalpublikation:
https://www.iqwig.de/sich-einbringen/themencheck-medizin/berichte/t23-04.html
Weitere Informationen:
https://www.iqwig.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-detailseite_150282.html
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