Kleine Werkzeuge, große Tiere: 430.000 Jahre alte Schlachterei untersucht
Ein internationales Forschungsteam hat eine neue Studie zu einem der ältesten bekannten Fundorte für die Verarbeitung von Tierfleisch durch Menschen im südlichen Balkan veröffentlicht. In Marathousa 1 fanden Forschende nicht nur zahlreiche Steinwerkzeuge, die Hinweise auf das Verhalten früher Menschen geben, sondern auch Überreste eines ausgestorbenen Waldelefanten. Die in der Fachzeitschrift „PLOS ONE“ veröffentlichte Untersuchung unter der Leitung des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen zeigt, dass bereits vor etwa 430.000 Jahren verschiedene Techniken zur Werkzeugherstellung genutzt wurden – je nach Material und Zweck.
Der derzeit älteste bekannte archäologische Fundplatz Griechenlands liegt in der Region Megalopolis im zentralen Peloponnes (Arkadien, Griechenland). „Das unter freiem Himmel liegende Marathousa 1 wurde erst vor etwas mehr als zehn Jahren entdeckt und auf ein Alter von etwa 430.000 Jahre datiert“, erklärt Dalila De Caro, Erstautorin der Studie und Doktorandin in der Abteilung Paläoanthropologie der Universität Tübingen und fährt fort: „Die Fundstelle bietet eine seltene Gelegenheit, das Verhalten der Menschen im südlichen Europa während des Mittelpleistozäns zu erforschen.“
De Caro hat gemeinsam mit weiteren Forschenden der Universität Tübingen, des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (SHEP), der griechischen Universität Ioannina und der Abteilung für Paläoanthropologie und Höhlenforschung des Griechischen Ministeriums für Kultur und Sport Steinwerkzeuge aus der Fundstelle untersucht, die zusammen mit Tierknochen – vor allem mit Überresten von Ur-Elefanten – gefunden wurden. „Wir wollten herausfinden, wie frühe Menschen ihre Werkzeuge herstellten und deren Fertigung organisierten. Außerdem hat uns interessiert, welchen Einfluss die ressourcenreiche Umgebung des Megalopolis-Beckens – mit reichlich Wasser, Rohstoffen und Tieren – auf ihr Verhalten hatte“, legt De Caro dar.
„Die Knochen der tierischen Großfauna weisen Schnittspuren und Schlagmarken auf – klare Hinweise auf das Zerlegen und Verarbeiten der Tiere durch Menschen. Das macht den Fundplatz zu einem bedeutenden Zeugnis für die Lebensweise von Homininen im Mittelpleistozän“, fügt SHEP-Forscherin Prof. Dr. Katerina Harvati hinzu.
Durch die Kombination von technologischen Analysen, experimentellen Nachbildungen der Steinbearbeitung und der Untersuchung der verwendeten Rohmaterialien rekonstruierte das Forschungsteam die Herstellungsprozesse der Steinwerkzeuge am Fundplatz. Diese wurden überwiegend aus lokalem Radiolarit, einem sehr harten, für die Anfertigung der Abschläge geeignetes Gestein, gefertigt. Sie bestanden sowohl aus einfachen Abschlägen als auch aus nachbearbeiteten Werkzeugen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Menschen vor 430.000 Jahren verschiedene Techniken zur Herstellung kombinierten: Das sogenannte Freihandschlagen diente hauptsächlich zur Herstellung von kleinen, scharfkantigen Abschlägen, während die ‚bipolare Technik‘ – bei der der Stein auf einer Art Amboss liegt und von oben geschlagen wird – eingesetzt wurde, um das Rohmaterial möglichst effizient zu nutzen“, erläutert De Caro.
Besonders auffällig sei der direkte Schlag zur systematischen Herstellung kleiner Werkzeuge – nicht nur aus dem dominierenden Radiolarit, sondern auch aus Kalkstein, Feuerstein und Quarz, heißt es in der Studie. Die kleinen Abschläge waren offenbar vielseitig einsetzbar und bestätigen frühere Studien zur Effektivität dieser „Mikrolithe“. Experimente zeigen, dass diese Radiolarit-Splitter sehr effizient beim Zerlegen von Tieren sind. Teilweise wurden die Marathousa 1-Abschläge auch noch nachträglich gezielt weiterbearbeitet, um Werkzeuge wie Schaber, gezahnte Geräte oder Bohrer herzustellen. „Unsere Funde belegen, dass kleine Werkzeuge kein Zeichen primitiver Technik sind – im Gegenteil: Sie spiegeln eine durchdachte Anpassung an die Anforderungen der jeweiligen Umgebung wider“, ergänzt Letztautor Dr. Vangelis Tourloukis von den Universitäten Tübingen und Ioannina.
„Ein zentrales Ergebnis unserer Studie: Marathousa 1 weist eine direkte Verbindung zwischen kleinen Werkzeugen und den Überresten des Ur-Elefanten Palaeoloxodon antiquus auf. Das belegt eindeutig, dass das Zerlegen von Tierkörpern eine der wichtigsten Aktivitäten der damaligen Menschen am Ufer des prähistorischen Sees von Megalopolis war. Die Flexibilität in der Herstellung des hierfür benötigten Werkzeugs zeigt, wie gut sich frühe Menschen an ihre Umgebung anpassten und die verfügbaren Rohstoffe effizient nutzten“, fasst De Caro zusammen und gibt einen Ausblick: „Künftig möchten wir klären, wie sich solche Verhaltensmuster in anderen Teilen Eurasiens entwickelten und welche Rolle Umweltfaktoren dabei spielten.“
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dalila De Caro
Universität Tübingen
Tel. 07071 290
dalila.decaro@gmail.com
Originalpublikation:
De Caro D, Kuhn M, Thompson N, Panagopoulou E, Harvati K, Tourloukis V (2025): Small flakes for sharp needs: Technological behaviour in the Lower Palaeolithic site of Marathousa 1, Greece. PLoS One 20(6): e0324958. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0324958
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